Außerdem erzählt Zeidler aus der gemeinsamen Zeit mit Thomas Tuchel und erklärt, warum ein Trainer bei manchen Spielern auch gegen die Wand rennt.
Herr Zeidler, in der Abschlusstabelle der Schweizer Super League hatten die Mannschaften auf den Plätzen drei bis sechs alle 46 Punkte auf dem Konto. Ausgerechnet Sie sind mit dem FC. St. Gallen als Letzter des Quartetts hauchdünn an der Quali für Europa vorbeigeschrammt. Wie verrückt ist die Schweizer Liga?
Peter Zeidler: Schon sehr verrückt. Die Einführung der Relegation war aus meiner Sicht eine Zäsur. Wir haben nur zehn Teams in der Liga, davon sind mit YB und Basel zwei außer Konkurrenz an der Spitze und die anderen acht prügeln sich um die restlichen Plätze. Zwischen Rang drei und acht waren es am Ende drei Zähler - Wahnsinn. Natürlich war es extrem bitter, dass meine Jungs in der Nachspielzeit den Ball nicht ins Tor bekommen haben. Ein Tor mehr und wir hätten jetzt 3,3 Millionen Euro Antrittsgeld sicher gehabt in der EL-Gruppenphase. Wenn wir in der nächsten Saison die EL-Spiele im Fernsehen sehen, werden wir wohl erst richtig realisieren, was wir für eine Chance verpasst haben. Ein paar Spiele hätten wir in der EL auch gewinnen können, das hat Zürich in der vergangenen Saison gezeigt. Auf der anderen Seite hätten wir auch noch nach unten in Gefahr geraten können, wenn wir am vorletzten Spieltag nicht zuhause Bern geschlagen hätten. Das muss man auch sehen. Und absteigen darfst du in der Schweiz auf keinen Fall, dann spielst du nämlich in der nächsten Saison in Chiasso oder Kriens.
Sie sind in St. Gallen angetreten, um eine neue attraktivere Spielphilosophie in den Klub und in die Mannschaft zu bringen. Sind Sie zufrieden mit dem ersten Jahr?
Zeidler: Wir haben teilweise sehr attraktiven Fußball gespielt. Aber ich musste auch realisieren, dass es doch etwas länger dauert, meine Art Fußball spielen zu lassen zu installieren. Eine Handschrift war erkennbar, aber es sind auch noch einige Wünsche offen geblieben, da verlange ich auch von mir als Trainer mehr. Unsere besten Spiele haben wir eigentlich schon im August gemacht, danach hat Konstanz und Stabilität gefehlt. Wir haben uns zu leicht von Kleinigkeiten aus dem Konzept bringen lassen.
Peter Zeidler über Tranquillo Barnetta: "Es war ähnlich wie bei Ribery und Robben"
Tranquillo Barnetta war mit 34 Jahren nochmal eine zentrale Figur.
Zeidler: Es war ganz entscheidend, dass wir Tranquillo Barnetta wieder in unser Spiel eingebunden haben. Barnetta konnte sein Knie gar nicht mehr richtig beugen und war weg vom Fenster, bis er ein individuelles Trainingsprogramm absolviert hat. Am Anfang habe ich ihn dann noch auf die falsche Position gestellt, er ist kein Achter, er muss in der vordersten Linie spielen. Für die Erkenntnis habe ich ein paar Wochen gebraucht, aber als wir es dann umgestellt haben, war Barnetta fantastisch. So viele Tore wie in dieser Saison bei uns hatte er nirgendwo in seiner Karriere erzielt. Sein Abschied hier beim letzten Heimspiel in St. Gallen mit einem Tor war dann ähnlich wie der von Ribery und Robben in München. Tränen vor dem Spiel, Tränen während des Spiels, Tränen nach dem Spiel. Sprechchöre noch lange nach Abpfiff - da hat man gespürt, was für eine besondere Verbindung die Fans zum FC St. Gallen haben. Fußball ist den Menschen hier extrem wichtig, der FC St. Gallen ist Kulturgut. Das hört sich jetzt pathetisch an, aber wenn ich durch die Stadt laufe, egal ob nach Sieg oder Niederlage, dann höre ich nur: "Hopp St. Gallen!"
Wie würden Sie denn den Schweizer Fußball aktuell einschätzen?
Zeidler: Wir müssen unterscheiden zwischen der Schweizer Liga und der Nationalmannschaft. Bis auf YB und Basel hat kein Team Bundesliga-Niveau. Ich würde sagen, dass wir mit dem FC St. Gallen in der zweiten deutschen Liga gut mitspielen könnten. Die Nationalmannschaft spielt stabil auf gutem Niveau, nicht top, aber gut, schlägt eigentlich alle Kleinen und kann auch mal wie gegen Belgien gezeigt die Großen ärgern. Aber die Mannschaft ist geprägt von den Legionären. Xherdan Shaqiri ist ein Heiliger in der Schweiz. Es gibt drei Heilige. Shaqiri, Yann Sommer und Lucien Favre. (lacht) Der vielleicht am meisten unterschätzte Spieler ist aber Remo Freuler von Atalanta. Er wird noch eine ganz prägende Rolle einnehmen.
Ihr Weg hat Sie zuletzt über Salzburg, Sion und Sochaux nach St. Gallen geführt. Wie wichtig war denn im Nachhinein die Salzburg-Episode?
Zeidler: Generell hatte ich in meiner Karriere Glück, in Hoffenheim und Salzburg Stationen zu erleben, bei denen so früh schon anders und sehr fortschrittlich gedacht wurde. Das hat mir enorm geholfen. Meine erfolgreichste Zeit war für mich bei der zweiten Mannschaft von Red Bull Salzburg in Liefering. Zsolt Löw war damals mein Co-Trainer und ist es jetzt bei Thomas Tuchel bei PSG, er ist ein perfekter Assistent. Als ich dann Cheftrainer bei RB geworden bin, war es für mich eine ganz schwierige Situation. Ich war nicht erste Wahl damals und bin total unvorbereitet in die Position gekommen. Außerdem war es gerade die Phase, als viele wichtige Spieler nach Leipzig gezogen wurden. Und dann war ich selbst auch nicht in Topform, da ist vieles zusammengekommen. Mit dem negativen Höhepunkt der mal wieder gescheiterten CL-Quali gegen Malmö, obwohl wir die im Hinspiel noch vorgeführt hatten. Egal wie sehr meine Frau Schweden mag, dorthin werden wir nie wieder in Urlaub fahren, das steht fest. (lacht)
Peter Zeidler: "Ich habe mich zu sehr beeinflussen lassen"
Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie waren nicht in Topform?
Zeidler: Ich muss mir vorwerfen, dass ich mich damals zu sehr habe beeinflussen lassen von anderen Personen. Es gab zum Beispiel einen Vorfall mit einem Spieler. Mit meiner Pädagogik hätte ich ihn trotzdem spielen lassen, aber von anderer Seite wurde mir nahegelegt, dass ich ihn rausschmeißen solle. Als ich in Salzburg entlassen wurde und acht Monate lang ohne Job dastand, war das ein schwerer Schlag für mich. Salzburg wäre für mich die große Chance gewesen, auf europäischer Bühne mitzumischen. Aber die Zeit hat mich gelehrt, noch viel konsequenter meine eigene Linie zu verfolgen. Meine Spielphilosophie. Meine Taktik. Meine Pädagogik.
Wie ging es nach Salzburg weiter?
Zeidler: Ich wäre fast in Ungarn gelandet, weil mich Bernd Storck für die U21 gewinnen wollte. Das war schon fast fix, als ich einen Anruf aus Sion bekam. Nach Sion ins Wallis gehen zu können, war für mich als Französisch-Liebhaber natürlich ein Traum. Da hat alles gepasst. Wir haben gleich zu Beginn elf Spiele in Serie nicht verloren und sind vom vorletzten Platz auf Rang zwei nach vorne gestürmt. Präsident Christian Constantin hat mich dann auf Platz drei liegend entlassen - dabei standen wir sogar auch noch im Pokalfinale. Er hat den Fehler inzwischen eingesehen und ich werde heute noch in Sion gefeiert, wenn ich als Gästetrainer dort auftauche. Manchmal ist mir das fast schon ein wenig peinlich, aber andererseits ist es schön, weil es zeigt, dass ich da meine Spuren hinterlassen habe. Ich habe einfach perfekt ins Wallis gepasst. Danach kam Sochaux. Das war grandios, leider auch grandios chaotisch mit den chinesischen Besitzern, die da tätig waren. Wenn ich jetzt auch sehe, dass der Verein in die dritte Liga zwangsabsteigen muss, war es sicher richtig, dass ich meine Ausstiegsklausel gezogen habe und nach St. Gallen gehen konnte.
Peter Zeidlers letzte Stationen
TSG 1899 Hoffenheim (Co-Trainer) | 2008-2011 |
FC Tours | 2011-2012 |
FC Liefering | 2012-2015 |
Red Bull Salzburg | 2015 |
FC Sion | 2016-2017 |
FC Sochaux | 2017-2018 |
FC St. Gallen | 2018- |