Ankaras langjähriger Bürgermeister Melih Gökcek wollte seiner Stadt und sich selbst einst einen erfolgreichen Fußballverein schenken - und dem Verein volle Tribünen. Die Geschichte des letztlich gescheiterten Projekts Osmanlispor.
Melih Gökcek ist ein Mann der kreativen Ideen und während seiner Zeit als Ankaras Bürgermeister von 1994 bis 2017 hatte er Macht und Mittel, um einige davon umzusetzen. Mitten in der türkischen Hauptstadt ließ er etwa eine riesige Roboter-Statue aufstellen und keiner wusste so wirklich, warum. Als es Beschwerden darüber gab, ersetzte sie Gökcek kurzerhand durch eine Tyrannosaurus-Rex-Statue.
Irgendwann beschloss der AKP-Mann und Vertraute des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan dann eben, seiner Stadt den großen Fußball zu schenken. Also: Was tun? Traditionell gibt es in Ankara drei Profiklubs: Ankaraspor, Ankaragücü und Genclerbirligi. Die meisten Fans gibt es beim Traditionsklub Ankaragücü und somit auch die Aussicht auf den meisten Ruhm.
Gökcek also nahm sich 2009 der Sache an und machte seinen Sohn Ahmet zum Präsidenten. Zunächst stand eine Fusion mit dem 1978 gegründeten Ankaraspor, dem traditionell schlecht unterstützten Verein der Stadtverwaltung, im Raum. Diese scheiterte jedoch am Veto des türkischen Verband TFF, der Ankaraspor kurz darauf sogar zwangsrelegierte. Der Verband wollte keine zwei Klubs im Einflussbereich Gökceks in der ersten Liga spielen sehen.
imago imagesAnkaragücü unter Gökcek: Tabellenmittelfeld trotz Vassell
Viele der besten Spieler Ankaraspors wechselten daraufhin kurzerhand zu Ankaragücü und außerdem schenkte Gökcek dem Klub zwei prominente Namen von prominenten Vereinen: Jerome Rothen von Paris Saint-Germain und Darius Vassell von Manchester City. Die Mannschaft sollte um den Titel spielen, doch in der ersten Saison landete sie lediglich auf Platz elf. Rothen und Vassell erzielten zusammengerechnet vier Tore und waren nach einem Jahr wieder weg.
Die Schulden des Klubs wuchsen unterdessen angeblich von rund 22 auf 95 Millionen türkische Lira, die Fans wendeten sich gegen die Gökceks und erwirkten bereits nach etwa einem Jahr deren Abschied. Kurz darauf wurde der Klub bis in die dritte Liga durchgereicht.
Dem zuvor zwangsrelegierten Ankaraspor erging es sogar noch schlechter: Mangels finanzieller Mittel und verfügbarer Spieler nahm der Klub zwei Saisons lang gar nicht am Profispielbetrieb teil und startete erst 2013 wieder in der zweiten Liga.
Wie aus Ankaraspor Osmanlispor wurde
Das traf sich gut, denn Gökcek hatte nach dem gescheiterten ersten Versuch wieder Lust auf Fußball. 2014 übernahm er als Ehrenpräsident bei Ankaraspor das Kommando und machte wie schon bei Ankaragücü seinen Sohn Ahmet zum Präsidenten. Diesmal beließ es Gökcek aber nicht bei Umbauarbeiten in der Mannschaft, diesmal baute er den ganzen Klub um.
Als großer Nostalgiker und Bewunderer des bis 1922 bestehenden Osmanischen Reichs veranlasste er eine Umbenennung des Vereins von Ankaraspor in Osmanlispor FK. Unterstrichen sollte die neue Identität des Vereins auch durch die Dekoration des Stadionareals werden. Vor dem Eingang wurden sechs Meter hohe Statuen von Janitscharen aufgestellt, zu Zeiten des osmanischen Reichs die Leibwächter des Sultans. Die Vereinsfarben änderte er von blau-weiß in lila-gold, das Logo gestaltete er neu.
Auch sportlich war Osmanlispor zunächst eine Erfolgsgeschichte. Der Klub stieg gleich in der ersten Saison unter den Gökceks in die Süper Lig auf, landete auf Platz fünf, qualifizierte sich somit für die Europa League und überwinterte dort sogar.
Anders als Ankaragücü fehlten Osmanlispor aber die Fans. Das rund 20.000 Zuschauer fassende Osmanli Stadion war meist fast leer. Keiner war da, um die gegnerischen Anhänger zu übertönen, wenn sie bei Spielen gegen Osmanlispor die Schlacht bei Ankara von 1402 besangen. Damals, als das Osmanische Reich eine schwere Niederlage gegen die zentralasiatischen Timuriden erlitt und der Sultan sogar in Gefangenschaft geriet.
imago imagesOsmanlispor-Fans: "Wir werden zum Spielbesuch gezwungen"
Um eine feierliche Kulisse für seinen Erfolgslauf zu schaffen, beschloss Gökcek also, Fans zu beschaffen. In seinem Buch "Welcome to Hell? In Search of the Real Turkish Football" berichtet der englische Autor John McManus, wie das gewährleistet wurde. Demnach mussten sich alle Mitarbeiter der für die Stadtverwaltung tätigen Security-Firma ANFA vertraglich dazu verpflichten, eine gewisse Anzahl an Osmanlispor-Spielen zu besuchen. Publiziert wurden diese Verträge zwar nie, ihr Bestehen gilt jedoch als offenes Geheimnis.
"Das sollte zwischen uns bleiben, aber wir werden zum Spielbesuch gezwungen", wird ein ungenannter "Fan" in McManus' Buch zitiert. Die Menschen jedenfalls wurden für die Spiele mit gratis Bussen der Stadtverwaltung zum Stadion, das weit außerhalb im Nordosten der Stadt liegt, und nach Spielende wieder zurückgebracht. Einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung zufolge sollen sie teilweise traditionelle osmanische Kleider getragen haben und im Stadion von Propaganda-Liedern der AKP beschallt worden sein.
Als Sportdirektor fungierte von 2015 bis 2017 der Deutsche Jürgen Röber, der sich auf Nachfrage von SPOX und Goal zurückhaltend äußert: "Ich kann mir vorstellen, dass es den Menschen nahegelegt wurde, zu den Spielen zu gehen. Aber nicht, dass sie gezwungen wurden." Als Osmanlispor 2016 zu einem Spiel der zweiten Europa-League-Qualifikationsrunde zum moldawischen Verein FC Zimbru Chisinau reiste, freute sich Röber gegenüber der Berliner Zeitung: "Wir haben immer mehr Anhänger, sogar nach Chisinau waren 600 Fans mitgereist."
gettyDer Aufschwung Osmanlispors währte nur kurz
Bei seiner alltäglichen Arbeit stimmte sich Röber vor allem mit Manager Ender Yurtgüven ab, wie er am Telefon erzählt: "Mit dem Bürgermeister Melih Gökcek hatte ich als Sportdirektor kaum etwas zu tun, den habe ich selten gesehen. Federführend geleitet hat den Klub sein Sohn Ahmet, der schon ein bisschen Ahnung von Fußball hatte. Im Hintergrund haben noch einige seiner Freunde und Bekannte mitgewirkt."
Der Aufschwung Osmanlispors währte aber nur kurz, ein angedachter Titelkampf mit den Istanbuler Großklubs Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas sollte nie zustandekommen. In der Saison 2016/17 landete Osmanlispor lediglich auf Platz 13, im Sommer verließ Röber den Verein trotz Vertrags bis 2018.
In Hinblick auf die Perspektiven des Klubs aber viel tragischer: Gökcek zerstritt sich mit seinem Förderer Erdogan, musste auf dessen Anweisung im Oktober 2017 seinen Bürgermeisterposten aufgeben und somit auch seinen Einfluss. Finanzielle Zuwendungen der Stadt wie die bis dahin praktizierte kostenlose Stadionnutzung wurden gestrichen, der Zuschauerschnitt fiel um mehr als ein Drittel.
Im darauffolgenden Frühling stieg Osmanlispor aus der Süper Lig ab und sollte bis heute - mittlerweile von den Gökceks an einen Investor verkauft - auch nicht mehr zurückkehren. Im Gegensatz zu Ankaragücü, das sich in der Zwischenzeit von der dritten Liga in die Süper Lig zurückgearbeitet hat.