Wer etwas über den Fußball in Tadschikistan herausfinden will, der muss auf jeden Fall weite Wege gehen. Entweder im wahrsten Sinne des Wortes: rund 4500 Kilometer Luftlinie von Deutschland nach Zentralasien. Oder im übertragenen Sinne des Wortes: durch mit kyrillischen Schriftzeichen gefüllte Tiefen des postsowjetischen Internets.
Fünf große Zeitungen gibt es laut Wikipedia in Tadschikistan. Auf der Website von Khalkovozi datiert der letzte Sport-Inhalt vom Februar 2019 und handelt vom Asien-Cup-Sieg Katars. Der Konkurrent Sadoi Mardum scheint auf Online-Sport-Berichterstattung zu verzichten, Kurer Tadzhikistana sowie Tojikiston gar gänzlich auf eigene Internetauftritte. Jumhuriyat versorgt den interessierten Leser dagegen regelmäßig mit aktuellen Artikeln zum Thema Sport, stets verfasst von Reporter Mahmud Bahrom.
"Ich war selbst mal Fußballspieler", erwähnt er im erstaunlich problemlos arrangierten WhatsApp-Chat mit SPOX und Goal durchaus stolz. An der bisher äußerst unerfolgreichen Fußballgeschichte seines Landes konnte aber auch Bahrom als Aktiver nichts ändern: Noch nie qualifizierte sich die tadschikische Nationalmannschaft für die Endrunde eines Asien Cups geschweige denn einer Weltmeisterschaft, noch nie ein tadschikischer Klub für die Gruppenphase der asiatischen Champions League.
Coronakrise in Tadschikistan: Keine Fälle, kaum Maßnahmen
Aktuell aber hat dieses kleine, von Usbekistan, Kirgisistan, China und Afghanistan umschlossene Land mit seinen rund neun Millionen Einwohnern die große Fußball-Bühne fast für sich allein: Während auch in den umliegenden Ländern die Ligen ausgesetzt sind, begann vor knapp zwei Wochen trotz der Coronakrise die neue Saison der zehn Klubs umfassenden Vysshaya Liga. Wobei: Trotz der Coronakrise ist in Tadschikistan relativ, einen bestätigten Fall gibt es dort nämlich noch nicht.
"Die Fans sind froh, dass die Saison normal angefangen hat", sagt Bahrom. In die Stadien dürfen sie jedoch nicht, denn die Spiele werden ohne Zuschauer ausgetragen. Dies ist eine von nur sehr wenigen Corona-Maßnahmen des seit 1994 autoritär regierenden Präsidenten Emomalij Rahmon. Kritik an seinem wenigstens in dieser Hinsicht liberalen Regierens gibt es anders als beispielsweise in Weißrussland aber kaum - laut Bahrom weder von Spielern, Fans noch Durchschnittsbürgern.
"Ich bin froh, dass hier in Tadschikistan auf Quarantäne verzichtet wird und der Ligabetrieb normal läuft", sagte etwa der ukrainische Verteidiger
von Istiklol Dushanbe der ukrainischen Website sport.ua und gestand, "keine Angst" vor dem Coronavirus zu haben. Und überhaupt: "Ohne Fußball wären wir alle ruiniert." Pflichtbewusst fügte Larin aber noch an, sich öfter die Hände zu waschen, Menschenmengen zu meiden und nach einem Kaffeehaus-Besuch in der Stadt sei er neulich sogar extra "direkt anschließend nach Hause" gegangen.Istiklol Dushanbe: Der junge Serienmeister
Larins Klub Istiklol aus der Hauptstadt Dushanbe ist aktuell das Maß aller Dinge im tadschikischen Fußball - doch das war nicht immer so. Als das Land noch eine Teilrepublik der Sowjetunion war, dominierte meist der Lokalrivale ZSKA Pamir Dushanbe den tadschikischen Fußball und schaffte es als einziger tadschikischer Klub sogar in die erste sowjetische Liga.
Nach der Unabhängigkeit 1991 und des anschließenden knapp fünfjährigen Bürgerkrieges verlor ZSKA seine Vormachtstellung aber. Zuletzt holte das erst 2007 gegründete Istiklol sechs Meistertitel in Folge und gewann im vergangenen Jahr sogar das nationale Triple. Auch der Start in die neue Saison verlief durchaus famos: Nach zwei Spieltagen rangiert der neuerliche Titelfavorit mit zwei Siegen und 9:0 Toren an der Tabellenspitze.
Sheriddin Boboevs Shirt sagt: "With love, from Tajikistan"
Am vergangenen Spieltag besiegte Istiklol ZSKA im direkten Duell mit 2:0, den zweiten Treffer erzielte der erst 20-Jährige aber bereits zweimalige tadschikische Torschützenkönig Sheriddin Boboev. Beim Torjubel zog er sich sein Trikot aus und präsentierte ein T-Shirt mit der Aufschrift: "We are one. Peace and Health to the whole World. With love, from Tajikistan".
Boboev sah dafür natürlich standesgemäß die Gelbe Karte, den tadschikischen Fußballfans sprach er mit dieser Botschaft jedoch aus dem Herzen. Die wünschen sich nämlich innigst ein Ende der Coronakrise in Europa, sagt Journalist Bahrom, "um endlich wieder die großen europäischen Ligen und die Champions League sehen zu können." Bis dahin bleiben ihnen nur die wrestlingartige Volkssportart Gushtigiri sowie der fußballerische Siegeszug von Istiklol. Am Sonntag um 16 Uhr unserer Zeit steht immerhin das Top-Spiel gegen Verfolger Khatlon an.