Dieses Interview erschien erstmals im November 2017
SPOX: Herr Rauffmann, seit 20 Jahren leben Sie nun schon auf Zypern. 2009 haben Sie im SPOX-Interview gesagt, Zypern und Sie würden so gut zusammenpassen, weil beide verrückt sind. Gilt das immer noch?
Rainer Rauffmann: In den acht Jahren hat sich nicht viel verändert, daher trifft das noch zu. Der Lebensstil der Menschen hier ist sicherlich nicht normal, er passt aber hundertprozentig zu mir.
SPOX: Sie spielten ab 1997 sechs Jahre für Omonia Nikosia, schossen dort unglaubliche 181 Tore in 152 Partien, wurden Nationalspieler Zyperns und wie ein Heiliger verehrt. Hat dieser Zustand mittlerweile abgenommen?
Rauffmann: Es hat nicht mehr dasselbe Ausmaß wie früher, aber ich stehe bei den Leuten immer noch weit oben auf der Liste. Mein Karriereende hatte darauf keine Auswirkungen, ich werde immer noch erkannt. So viele Hässliche wie ich laufen auf Zypern ja nicht herum.
SPOX: Früher sollen Sie die Menschen geküsst oder Sie zum Getränk eingeladen haben, wenn Sie auf der Straße gesehen wurden.
Rauffmann: Das liegt einfach daran, dass mir diese Leistungen für Omonia gelungen sind. Das ist hier der größte Verein mit dem höchsten Zuschaueraufkommen, jede dritte Person ist Fan dieses Klubs. Ich war als Spieler für viele einfach das Idol. Man kommt nicht umhin, auf Omonia-Anhänger zu treffen. Und dann wird einem eben der Kaffee spendiert, auch wenn ich eher selbst gerne mal einen ausgebe. Das alles ist für mich natürlich eine unheimlich schöne Sache.
SPOX: War Ihnen diese Verehrung anfangs suspekt?
Rauffmann: Ja, ich war das ja aus Deutschland überhaupt nicht gewohnt. Dort ist ja meist Distanz angesagt. Lebt man hier allerdings ein paar Tage, nimmt man schnell Teile der Mentalität auf und kann diese Euphorie besser verstehen. Der Fußball bedeutet für die Menschen hier alles. Sie leben diesen Sport, das ist einfach Fakt und unglaublich.
SPOX: Ihre griechische Wikipedia-Seite spricht übrigens von 192 Toren in 153 Spielen. Was stimmt denn?
Rauffmann: Das weiß ich nicht genau. Was ich sicher sagen kann: Es waren auf Zypern 237 Tore in Liga, Pokal, Europacup und Länderspielen.
SPOX: Angefangen hat alles mit einem Anruf eines ehemaligen Omonia-Vorstandsmitglieds. Können Sie sich noch erinnern, was Sie damals gemacht und gedacht haben?
Rauffmann: Ich war in der Sommerpause in meiner bayerischen Heimat Amberg im Wirtshaus und habe ein Bier getrunken. Ich war ziemlich baff. Ich wusste über das Land nur, dass es geteilt und sehr warm ist. Dass man dort professionell Fußball spielen kann, darauf wäre ich nicht sofort gekommen. Deshalb dachte ich mir auch: Flieg mal drei Tage runter, knall dich an den Strand und dann geht's wieder nach Hause.
SPOX: Das war aber nicht.
Rauffmann: Mir war bewusst, dass dies meine letzte sportliche Ausfahrt war. Ich habe mir das alles daher schon seriös überlegt und schnell festgestellt, dass es wirklich mein Ding sein könnte. Die Umkleidekabine war ein schlichtes Zimmerchen. Das hatte alles aber etwas Romantisches, das mir einfach zugesagt hat.
SPOX: Wie ist man grundsätzlich überhaupt auf Sie gekommen, hat das Ihr Berater forciert?
Rauffmann: Ich hatte nie einen Berater. Vielleicht habe ich dadurch im Laufe meiner Karriere etwas Geld verloren, aber wenn ich zufrieden war, habe ich einfach unterschrieben. Das Omonia-Vorstandsmitglied hat jahrelang in Osnabrück gearbeitet und mich zu meiner Zeit beim SV Meppen in der 2. Liga verfolgt. Er war der Meinung, dass ich zum zyprischen Spielstil passen würde. Vielleicht hätte ich noch etwas in der deutschen 3. Liga finden können, aber wenn Omonia nicht gekommen wäre, hätte ich wohl mit 29 meine Karriere beendet und einen Trainerschein gemacht.
SPOX: Wie war Ihr erster Eindruck vom fußballerischen Niveau auf der Insel?
Rauffmann: Ich hatte schon noch so viel Selbstvertrauen, dass mir als ehemaliger Bundesligaspieler klar war, hier ein paar Buden erzielen zu können. In einer Partie schoss ich mal acht Tore, irgendwann ging einfach alles rein. Der Fußball war damals auch noch deutlich unprofessioneller als heute. Man hat vor allem dank vieler ausländischer Trainer mittlerweile gelernt, taktisch diszipliniert zu verteidigen. Zu meiner Zeit ist unser Libero teilweise neben mir im Sturm herumgeturnt.
SPOX: Sie wurden gleich in Ihrer ersten Saison mit 42 Treffern Torschützenkönig.
Rauffmann: Trotz der 42 Tore war ich aber der Grund, weshalb wir die Meisterschaft nicht gewonnen haben.
SPOX: Wie das?
Rauffmann: Ich verschoss im letzten Saisonspiel gegen Anorthosis Famagusta beim Spielstand von 2:1 für uns in der 75. Minute einen Elfmeter, quasi im Gegenzug glichen die dann aus. Wir hätten einen Sieg benötigt, durch das Remis wurde aber Anorthosis Meister. Das hatte bei mir drei schlaflose Nächte zur Folge. Ich war mit 42 Buden der Depp vom Dienst, das muss man erst einmal hinkriegen. Die Fans haben mich mit Tränen in den Augen trotzdem gefeiert, aber ich habe mehr geweint als sie. Das können Sie mir glauben.
SPOX: Sie galten in Deutschland nach Ihren Stationen in Meppen, bei Eintracht Frankfurt und Arminia Bielefeld nicht gerade als Musterprofi. Wenn man dann in Zypern auf Anhieb so erfolgreich ist, wie groß war die Gefahr, dabei abzuheben?
Rauffmann: Die war definitiv da, aber Gott sei Dank lernte ich schnell meine Frau kennen. Sie hat mich gezähmt, ich bin richtig ruhig geworden. (lacht) Wir haben eine Familie gegründet und ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Das hat sich auf den Fußball übertragen. Ansonsten hätte ich es hier wohl genauso krachen lassen wie in Deutschland. Dort war mein Name einfach komplett verbrannt, nächtliche Ausflüge gab es auch regelmäßig. Das kann man sich als Profifußballer in Deutschland einfach nicht erlauben.
SPOX: Nur drei Monate nach Ihrer Ankunft Ihre jetzige Frau Maria kennen gelernt zu haben, war sicherlich mitentscheidend für Ihre schnelle Integration. Wie wäre das wohl ohne sie gewesen?
Rauffmann: Das will ich mir gar nicht ausmalen. Sie ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte. Sie hat mir schnell die Mentalität nahegebracht, denn hier denkt man etwas quer. Die Lebensfreude ist enorm ausgeprägt, diese positive Einstellung will man auch an Touristen weitergeben. Man will zufriedene Gesichter sehen und an nichts Schlechtes denken. Maria war Omonia-Fan, hatte aber keine Ahnung, dass ich Fußballer bin. (lacht) Sie war nie im Stadion, sondern hat uns nur nebenher im Radio verfolgt. Irgendwann sagte ich ihr: Ich bin der mit den vielen Toren. Das hatte sie mir zunächst gar nicht geglaubt.
SPOX: Die Heirat im Juni 2002 ermöglichte es Ihnen, nach zweijähriger Wartezeit Staatsbürger Zyperns zu werden. Sie haben sich griechisch-orthodox taufen lassen und den Namen Markos angenommen. Wie kam das zustande?
Rauffmann: Der Pfarrer sagte, er würde uns trauen, aber es wäre gut, wenn ich griechisch-orthodox getauft würde. Er hatte gerade eine neue Kirche namens "Apostolos Markos" eröffnet und fragte mich, ob ich nicht diesen Namen annehmen möchte. In Deutschland bin ich aus der Kirche ausgetreten und hatte keinen Glauben. Nachdem ich die Sprache verstand, bin ich hier ein paar Mal in die Kirche gegangen. Was der Pfarrer da erzählt hat, gefiel mir eigentlich ganz gut. Ich bin kein potentieller Kirchengänger am Sonntagmorgen, aber es ist gut, jemanden da oben zu haben, der für einen da ist. Das hilft schon.
SPOX: Mittlerweile sprechen Sie fließend Griechisch. Kam das irgendwann automatisch?
Rauffmann: Ich habe nie einen Kurs besucht, sondern es mir vor allem über das Fernsehen und meine Frau beigebracht. Der Anfang war aufgrund der komischen Buchstaben schwierig, es hat insgesamt auch vier Jahre gedauert, bis ich es fließend konnte. Ich wollte die Sprache auf Anhieb lernen, da mir schnell klar war, dass ich hierbleiben möchte. Das war für mich eine Frage des Respekts gegenüber dem Land. Erst Recht, als ich Nationalspieler Zyperns wurde.
SPOX: Wenn Ihnen 1996 jemand gesagt hätte, dass Sie ein Jahr später 42 Saisontore in Zypern schießen, dort Nationalspieler werden und für immer bleiben, was hätten Sie entgegnet?
Rauffmann: Den hätte ich einweisen lassen. 1996 spielte ich noch für Arminia Bielefeld. Das war die schlimmste Entscheidung meines Lebens, auch wenn ich daran wohl selbst etwas schuld war.
SPOX: Dort gerieten Sie mit Trainer Ernst Middendorp aneinander, weil der Sie nach einem Trainingsspiel Strafrunden drehen ließ, bis Sie sich übergeben mussten.
Rauffmann: Middendorp war als Trainer ein Typ, mit dem keiner klar kam. Wir hatten acht gegen elf gespielt. Ich war im Team in Unterzahl und wir führten gegen die Startelf des kommenden Wochenendes mit 3:0. Ich habe Libero gespielt, als mich Middendorp anschrie, ich solle auf meinen Platz im Sturm gehen. Ich erwiderte, dass ich lieber das Spiel gewinnen möchte. Er ließ mich dann laufen - und vergaß mich. Nach zweieinhalb Stunden und mehrmaligem Übergeben holte mich der Zeugwart herein. Er war der einzige, der noch am Gelände war, der hatte sogar schon die Wäsche erledigt. Das war mein letztes Training in Bielefeld.
SPOX: Woher kam denn Ihr teils rebellisches Verhalten?
Rauffmann: Ich wollte einfach leben, meinen Spaß haben und nichts verpassen. Ich habe mit Freunden richtig Karten gezockt, nebenher ein paar Bierchen getrunken, schon immer geraucht und bin nicht immer zeitig ins Bett gegangen. Irgendwann hängt man dann da und merkt, dass es so eigentlich nicht weitergehen kann. Der vielzitierte falsche Freund, das war ich selbst.