Nach zwölf Jahren beim KSC waren Sie noch in Stuttgart und Berlin tätig, ehe Sie ins Ausland gingen. Ihre erste Station dort war die Nationalelf von Kamerun, die Sie von 2001 bis 2004 betreuten. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Schäfer: Meine Zeit in Kamerun war sehr turbulent. Ich erinnere mich noch, dass wir 2002 fünf Tage zu spät zur WM nach Japan und Südkorea gereist sind, weil der Sportminister zunächst nicht die längst fälligen Prämien für die Spieler rausrücken wollte, die ihnen durch die Qualifikation für das Turnier zustanden. Es war eine Farce, von der wohl am meisten die Deutschen profitierten, weil sie auch dadurch Erster in unserer Gruppe wurden. Wir waren damals vor dem Turnier richtig gut drauf. Aber äußere Einflüsse sind gerade in solchen Ländern oft ein großes Hindernis. So viele Streiks wie in Kamerun habe ich an keinem anderen Ort erlebt. Unvergessen bleibt in diesem Zusammenhang auch das Länderspiel gegen Deutschland im November 2004 in Leipzig.
Erzählen Sie.
Schäfer: Um 17 Uhr, knapp dreieinhalb Stunden vor Anpfiff, war die Mannschaftsbesprechung im Hotel angesetzt. Die Spieler kamen in den Besprechungsraum und sagten: "Coach, wir spielen nicht." Ich dachte, es würde sich um einen schlechten Scherz handeln. Doch sie waren wieder nicht bezahlt worden. "Dann machen wir uns hier halt einen schönen Abend", sagten sie und verschwanden in ihren Zimmern. Daraufhin nahm ich Kontakt mit dem DFB auf, um den kamerunischen Verbandspräsidenten zu erreichen, der mit den deutschen Verantwortlichen beim Abendessen saß. Der konnte mir aber auch nicht helfen, weil der Sportminister irgendwo in Kamerun saß und den Hörer nicht abnahm. Am Ende sicherte uns ein Mann von unserem Hauptsponsor Puma zu, dass die Spieler ihr Geld erhalten würden. Es wäre zu einer Blamage für den kamerunischen Fußball gekommen, wenn ich an diesem Abend nicht rumtelefoniert hätte. Am Ende zogen sich meine Spieler im Bus auf dem Weg ins Stadion um. Verrückt.
Schäfer: "Dafür ist mir Eto'o bis heute dankbar"
Sind Ihnen die Spieler der "Unzähmbaren Löwen" auf der Nase herumgetanzt?
Schäfer: Nein, überhaupt nicht. Afrikaner sind nun einmal sehr stolze Menschen, die schnell in den Streik gehen, wenn sie ihre Bezahlung nicht erhalten. Ich hatte dafür aber vollstes Verständnis. Es ging so einfach nicht weiter, sie mussten ein Exempel statuieren und Charakter zeigen. Meine Erinnerungen an die damalige Mannschaft sind durchweg großartig, der Kader war mit vielen erstklassigen Spielern bestückt. Was ihnen leider manchmal fehlte, war die nötige Disziplin auf dem Platz. Viele spielten in erster Linie nicht für die Mannschaft, sondern für sich, um einen neuen Vertrag bei ihrem Verein zu bekommen. Das wussten sie aber auch selbst. Bevor ich als Nationaltrainer anfing, besuchte ich die wichtigsten Spieler: Marc-Vivien Foe, Samuel Eto'o, Rigobert Song, den Kapitän, und noch ein paar andere. Sie alle sagten mir: "Coach, das einzige, was wir brauchen, ist Disziplin auf dem Platz."
War nicht auch die eine oder andere taktische Veränderung nötig?
Schäfer: Doch. Kamerun spielte damals im 3-5-2 und bekam meist über die Außenbahnen Gegentore. Also trichterte ich den Spielern mit mehreren Videoanalysen ein, im Spiel gegen den Ball hinten eine Viererkette zu bilden, um die Außen besser dicht zu machen. Das funktionierte von Spiel zu Spiel besser. Ich weiß noch, wie Kapitän Song schon nach meinem ersten Spiel im Amt, einem 0:0 in Polen, in die Kabine kam und mit geballter Faust sagte: "Boys, very good tactics, very good tactics." Damit hatte ich die Mannschaft schnell auf meiner Seite.
Welche Erinnerungen haben Sie an Samuel Eto'o?
Schäfer: Samuel war unglaublich schnell und torgefährlich. Sein Problem war, dass er sehr früh der Meinung war, schon zu den ganz Großen zu gehören. Er trainierte nicht immer mit vollem Einsatz, als er bei uns war. Also nahm ich ihn mir vor einem Spiel beim Afrika-Cup 2002 zur Brust. "Samuel", sagte ich, "stell dir vor, in drei Jahren sagt jemand über dich: 'Der Eto'o war vielleicht mal ein talentierter Spieler! Was macht der heute eigentlich?' Willst du wirklich, das so über dich gesprochen wird?" Er schüttelte mit dem Kopf und krempelte seine Ärmel endlich hoch. Für diesen Klaps auf die Ohren ist er mir noch heute dankbar.
Schäfer: "Foe war ein außergewöhnlicher Kerl"
Welchem Spieler mussten Sie noch eine derartige Standpauke gehalten?
Schäfer: Pierre Wome. Man hätte ihn zu Beginn des Afrika-Cups auch Bruder Leichtfuß nennen können. Ich knöpfte ihn mir nach dem zweiten Spiel vor versammelter Mannschaft vor, obwohl wir gewonnen hatten. "So geht es nicht weiter. Wenn du nicht endlich bereit bist, auf der linken Seite für das Team zu arbeiten, bist du raus", sagte ich zu ihm. Die Message kam an. Und wir starteten richtig durch.
Mit Kamerun erlebten Sie auch den traurigsten Moment Ihrer Trainer-Laufbahn: den plötzlichen Tod von Marc-Vivien Foe, der beim Halbfinale des Confed Cups im Juni 2003 gegen Kolumbien ohne Fremdeinwirkung aufgrund eines Herzversagens kollabierte und eine Stunde später verstarb.
Schäfer: Es war ein Trauma für alle Beteiligten. Ich kann mich noch erinnern, dass Marc mit dem Ball lief, ihn verlor und während der Rückwärtsbewegung plötzlich umfiel. Dann winkten die Spieler von Kolumbien und Schiedsrichter Dr. Markus Merk unseren Mannschaftsarzt Dr. Heinz-Walther Löhr auf den Platz. Niemand glaubte im ersten Moment an etwas Schwerwiegendes. Ich ging zu den anderen hin, gab Marc einen Klaps auf die Schulter und sagte dann so etwas wie "Kopf hoch, das wird schon wieder". Ich konnte gar nicht realisieren, was da passierte oder bereits passiert war. Später sah ich Marc dann auf einer Trage in einem Raum liegen. Zum letzten Mal. An seiner Seite: seine Frau und seine Mutter, schluchzend. Es war tragisch.
Denken Sie noch oft daran?
Schäfer: Sehr oft. Ich vermisse ihn. Marc war nicht nur ein außergewöhnlicher Fußballer, er war auch ein außergewöhnlicher Kerl. Er war innerhalb der Mannschaft anerkannt, unser Stabilisator im Mittelfeld und Kapitän ohne Binde. Und er kümmerte sich vorbildlich um seine gesamte Familie. Dazu gehörten nicht nur Mama, Papa, Geschwister und Großeltern. Er ernährte an die 30 Personen aus seinem Umfeld mit, war stets hilfsbereit und gütig. Sein Tod wird mir für diese wunderbare Familie immer leidtun.
Die Trainer-Stationen von Winfried Schäfer
Station | Zeitraum |
Borussia Mönchengladbach | 1982 - 1986 |
Karlsruher SC | 1986 - 1998 |
VfB Stuttgart | 1998 |
Tennis Borussia Berlin | 1998 - 2001 |
Kamerun | 2001 - 2004 |
Al-Ahli Dubai | 2005 - 2007 |
Al-Ain | 2007 - 2009 |
FK Baku | 2010 - 2011 |
Thailand | 2011 - 2013 |
Muangthong United | 2013 |
Jamaika | 2013 - 2016 |
FC Estgehlal | 2017 - 2019 |
FC Baniyas | 2019 - heute |