Wenn ich jetzt diese Prinzipien mit einer Mannschaft bespreche: Welche Fragen stelle ich den Spielern? Kann ich manche Dinge überhaupt jeder Mannschaft zutrauen?
Tedesco: Generell würde ich hoffen, dass sich jede Mannschaft drei Prinzipien merken kann. Die Fragen gehen dann noch mehr ins Detail. Machen wir ein Beispiel: Wir nehmen uns vor, egal in welcher Situation wir uns im Ballbesitz befinden, zu versuchen, den Stürmer zu finden. Das ist für jeden klar. Egal, ob du Sechser oder Außenverteidiger bist, dein erster Blick geht zum Stürmer. Nehmen wir an, Sie sind jetzt der Außenverteidiger und Sie finden den Stürmer aber nie.
Was sagen Sie mir?
Tedesco: Ich sehe zum Beispiel im Video, dass Sie den Stürmer gar nicht anschauen. Dann sage ich: Hey, was ist da los? Bitte schau den Stürmer an, das ist wichtig. Ich will, dass du schaust, wo der Stürmer ist, bevor der Ball überhaupt ankommt, und wenn du ihn anspielen kannst, will ich, dass das auch passiert. Solche Themen sind wichtig.
Domenico Tedesco über seinen Besuch bei Massimiliano Allegri
Was machen Sie mit mir, wenn ich es ein paar Mal richtig mache, irgendwann aber wieder schlampig werde oder vielleicht keine Lust mehr auf die Nummer habe?
Tedesco: Wenn es ein, zwei, drei Mal funktioniert, bin ich erstmal schon zufrieden, weil es der Spieler dann ja offensichtlich verstanden hat. Schlechter wäre es, wenn es gar nicht umgesetzt wird, dann muss ich mir ernsthaftere Gedanken machen. Ich muss natürlich die Spieler so gut kennenlernen, dass ich weiß, wie ich jeden Einzelnen packen kann. Ich mache darüber keine empirische Studie, aber häufig reichen ja kurze Gespräche beim Training, um zu erfahren, wie die Jungs ticken. Das merkt man recht schnell. Eigentlich würde man meinen, der Spieler muss ja im Endeffekt nur seinen Job erledigen, den ich ihm auftrage, aber so einfach ist es nicht. Es geht auch um Emotionen. Die Mannschaft muss mich als Trainer akzeptieren, keine Frage, aber die Mannschaft muss auch sonst Bock auf mich haben. Das ist die emotionale Komponente, die nicht weniger wichtig ist als die fachliche.
Wenn Sie auf die taktischen Entwicklungen im Fußball blicken in den vergangenen Jahrzehnten, was erkennen Sie?
Tedesco: Es ist ganz interessant, weil ich in der Coronapause relativ viele große Spiele aus den Achtzigern und Neunzigern gesehen habe. Und siehe da, damals gab es auch schon hervorragendes Gegenpressing. Es hieß nur noch nicht so. Irgendwann wurde es mit einem neuen schicken Namen versehen und neu verkauft. Der Fußball ist natürlich schneller und athletischer geworden, aber die grundsätzlichen Elemente sind seit langem die gleichen. Und das ist auch gut so, das Rad muss nicht immer neu erfunden werden.
Nach Ihrer Zeit auf Schalke haben Sie bei Juve-Coach Massimiliano Allegri in Turin reingeschnuppert. Was waren die Erkenntnisse?
Tedesco: Allegri ist ein sehr charismatischer Coach. Die Art und Weise, wie er mit der Mannschaft umgeht, hat mir richtig gut gefallen. Er hat viel laufen lassen im Training, es wurde viel Fußball gespielt und er hat einen guten, trockenen Humor. Wenn Cristiano Ronaldo über den Ball haut, bekommt er auch einen Spruch. Das war alles sehr interessant zu sehen.