"Ihr schlaft nicht mehr, es ist kein Traum", hieß es am Mittwochmorgen auf dem Twitter-Account der PSV Eindhoven. Mario Götze, der berühmte Siegtorschütze des WM-Finals von 2014, hat also tatsächlich einen Zweijahresvertrag bei der deutlich weniger berühmten PSV unterschrieben und die drängendste Frage stellte der Klub gleich selbst: Warum?
Kurz nach dem Kein-Traum-Tweet veröffentlichte PSV ein mehrminütiges Begrüßungs-Interview mit dem unverhofften Neuzugang und nannte es: Warum PSV, Mario Götze? "Ich bin sehr überrascht, dass das so passiert ist", gibt Götze darin zu und dann nennt er nach und nach die Gründe, die ihn zu diesem Schritt bewogen.
Mario Götze: Die Gründe für den Wechsel zur PSV
"Ich fühle mich hier sehr willkommen und wertgeschätzt", erklärte Götze, "und das ist eine gute Sache für einen Spieler." Vor allem für einen Spieler wie Götze, der seit diesem einen Julitag 2014 in Deutschland vergeblich nach Wertschätzung sucht. Beim FC Bayern München fand er sie nicht und auch nicht nach der Rückkehr zu seinem Jugendklub Borussia Dortmund.
Beim FC Bayern hätte Pep Guardiola statt ihm lieber Neymar verpflichtet, seine Trainer in Dortmund, vor allem Thomas Tuchel und Lucien Favre, vertrauten ihm kaum. Götze war nie der umworbene Wunschspieler, der er jetzt bei PSV unter seinem Landsmann Roger Schmidt zu sein scheint.
Mit dem Wechsel in die Niederlande entzieht er sich gleichzeitig etwas der deutschen Öffentlichkeit und spielt künftig in einer weniger körperbetonten und technisch anspruchsvollen Liga, die Offensivspielern entgegenkommt. "Ich denke, ich bin am richtigen Ort für meinen Spielstil", sagte Götze. Damit meinte er die Eredivisie generell und PSV im speziellen, denn dort entsteht gerade Spannendes.
PSV Eindhoven bediente sich in der Bundesliga
Als die Eredivisie im vergangenen März abgebrochen wurde, rangierte PSV auf einem enttäuschenden vierten Platz und qualifizierte sich damit lediglich für die Europa League. Es folgte ein großer Umbruch: Schmidt übernahm das Traineramt, etliche Spieler verließen den Klub und etliche neue kamen - einige davon aus der Bundesliga.
Zu den bereits unter Vertrag stehenden Lars Unnerstall (ehemals FC Schalke 04) und Timo Baumgartl (ehemals VfB Stuttgart) kamen vor Götze die beiden Keeper Yvon Mvogo von RB Leipzig (per Leihe) und Vincent Müller von den Würzburger Kickers (für 500.000 Euro), Linksverteidiger Philipp Max vom FC Augsburg (für acht Millionen Euro) und Adrian Fein vom FC Bayern (per Leihe).
Ablösefrei verpflichtete PSV darüber hinaus den 33-jährigen israelischen Stürmer Eran Zahavi, den Schmidt von seinem letzten Trainer-Engagement bei Beijing Guoan bestens kennt. Zahavi stürmte für den Rivalen Guangzhou R&F und schoss in vier Jahren in 117 Spielen beeindruckende 103 Tore.
Das vermeintliche Wunderkind Mohamed Ihattaren
Die Neuzugänge ergänzen eine Gruppe junger, talentierter Niederländer. Kapitän Denzel Dumfries, Rechtsverteidiger der niederländischen Nationalmannschaft und mit 24 Jahren bereits PSV-Kapitän. Mittelstürmer Donyell Malen, ebenfalls Nationalspieler und erst 21 Jahre alt. Und vor allem: Mohamed Ihattaren, das vermeintliche Wunderkind aus der eigenen Jugend.
Mit 16 debütierte Ihattaren für PSV, mit 17 wurde er Stammspieler und neulich mit 18 erstmals in die niederländische Nationalmannschaft berufen. "Er ist ein genialer Fußballer, ein Straßenfußballer", sagt Peter Hyballa, Trainer, Experte für niederländischen Fußball und Buchautor, im Gespräch mit SPOX und Goal. "Ihattaren ist gut im Dribbling und im Abschluss, kann schnelle Rhythmuswechsel mit dem Ball und Schnittstellenpässe spielen."
Einer wie Götze also? "Ja, auf jeden Fall", sagt Hyballa. "Beide sehen Räume und spielen risikofreudig. Mario ist aber eher der Passspieler, während Ihattaren öfter selbst den Abschluss sucht." Hyballa kann sie sich gemeinsam in der Startelf von PSV vorstellen, die Schmidt für gewöhnlich in einem zentrumslastigen 4-2-2-2 formiert: Götze und Ihattaren hinter Zahavi und Malen wäre eine denkbare Formation. Schmidt hat aber noch etliche andere Optionen zur Verfügung, die Offensive ist in der Spitze und Breite gut besetzt.
PSV unter Schmidt: Freiheiten und Pressing
Ob des eng getakteten Spielplans wird Schmidt in dieser Saison wohl viel rotieren, was seine Spieler auf dem Platz übrigens auch dürfen. Freiheit ist ein Teil von Schmidts Spielidee. "In seinem System kannst du dir deine Plätze selbst suchen, da bist du nicht so positionsgebunden wie beispielsweise im klassischen 4-3-3", erklärt Hyballa, der Götze einst zwei Jahre in der Dortmunder U19 trainierte. "Das kommt Mario entgegen, er braucht ein bisschen eine freie Rolle."
Bei gegnerischem Ballbesitz vertraut Schmidt wie bei seinen Stationen bei RB Salzburg und Bayer Leverkusen auch in Eindhoven auf ein hohes und intensives Pressing. "Es war bisher zwar noch nicht ganz sein gewohntes Highspeed-Pressing. Aber es waren schon Spielzüge dabei, an denen man erkennt, wo Roger hinwill", sagt Hyballa.
Obwohl Götze seit Jahren mit Fitnessproblemen zu kämpfen hat und seit seinem Vertragsende in Dortmund vor über drei Monaten an keinem Mannschaftstraining mehr teilgenommen hat, erachtet ihn Hyballa als idealen Baustein für dieses System: "Mario ist zwar kein Dauerläufer, aber ein guter Sprinter. Kurze Sprints über vier, fünf Meter mag er viel lieber als lange Läufe über 40, 50 Meter. Und wenn du ein gutes Pressing spielst, dann hast du genau diese kurzen Sprints. Außerdem kann Mario gut antizipieren und Passwege schließen."
Mario Götze spielt mit PSV nur in der Europa League
Ab wann er das auch auf den Platz bringen kann, ist noch unklar. Nach der Länderspielpause trifft der aktuelle Tabellenzweite PSV (zehn Punkte aus vier Spielen) auswärts auf PEC Zwolle, dann geht es zum Auftakt der Europa League gegen den FC Granada (Omonia Nikosia und PAOK Saloniki sind die übrigen Gegner in der Gruppenphase).
Sein großes Ziel für die restliche Karriere kann der 28-jährige Götze zumindest in dieser Saison also nicht mehr erreichen. "Ich will unbedingt noch die Champions League gewinnen", sagte er neulich in einem Interview mit der Bild. Anders als Götze hat PSV aber immerhin schon einmal die Königsklasse gewonnen: 1988 setzte sich die Mannschaft von Trainer Guus Hiddink im Finale von Stuttgart im Elfmeterschießen gegen Benfica Lissabon durch.