Während zwölf Spitzenklubs aus Italien, Spanien und England eine milliardenschwere Super League aufbauen wollen, winken mit dem BVB, dem FC Bayern und Paris Saint-Germain drei europäische Schwergewichte ab. Angesichts der Chance aufs große Geld stellt sich eine Frage: Warum?
Allein die Uhrzeit der Verkündung ließ ausreichend Raum für Interpretationen: Um 0.22 Uhr in der Nacht von Sonntag auf Montag bliesen die zwölf sogenannten "Gründungsmitglieder der Super League" ihre offiziellen Pressemitteilungen kollektiv in den virtuellen Äther. Eine Uhrzeit, zu der viele Werktätige im europäischen Raum bereits im Bett liegen.
Anderswo, beispielsweise in den USA, war es mitten am Tag (Westküste) oder maximal früher Abend (Ostküste), die chinesische Bevölkerung war soeben erwacht. Die Nacht-und-Nebel-Aktion des "dreckigen Dutzend", wie der wutschnaubende UEFA-Präsident Aleksander Ceferin die abtrünnigen Klubs nur wenige Stunden später nennen sollte, richtete sich nicht an die Fan-Basis, sie zielte auf die Bewohner der "neuen", lukrativen Märkte.
Kein Wunder, haben doch sowohl der Geldgeber des Kommerz-Spektakels (JPMorgan) als auch etliche Besitzer der teilnehmenden Vereine auf der anderen Seite des Atlantiks oder eben im Nahen oder fernen Osten ihren Wohn- und Firmensitz. Der FC Arsenal, Liverpool, Manchester United und die AC Mailand sind in der Hand US-amerikanischer Investoren, Inter Mailand gehört dem chinesischen Industriekonzern Suning Group.
Der Ärger der eigentlich Betroffenen brach sich erst später, am Montagmorgen, Bahn. Fans protestierten gegen das Vorgehen, einige veröffentlichten Kündigungsschreiben ihrer Mitgliedschaft, an der legendären Anfield Road, der Kult-Spielstätte des FC Liverpool, wurden Banner aufgehängt.
Super League: BVB, Bayern und PSG nicht dabei
Auch ehemalige und aktive Fußballer positionierten sich deutlich gegen die Pläne. Der Grundtenor: Die Vereine verraten mit der Einführung der Super League ihre Werte, vertreten nur noch wirtschaftliche Interessen, stellen sich bewusst gegen ihre Anhänger.
Drei europäische Schwergewichte veröffentlichten in jener Nacht keine Pressemitteilung. Der französische Dauer-Primus Paris Saint-Germain, Deutschlands Rekordmeister Bayern München und Borussia Dortmund zählen nicht zum erlauchten Kreise derer, die fortan auf internationalem Parkett unter sich bleiben möchten.
Doch warum verzichtet das Trio, das mit Blick auf seine Strahlkraft enorm interessant für die Initiatoren der Super League wäre, auf eine Teilnahme?
PSG-Investor ist wie gemacht für Super League, aber ...
PSG hat eines mit vielen der Super-League-Klubs gemein: Auch der Hauptstadtklub befindet sich in den Händen eines ausländischen Investors. Der katarische Geschäftsmann Nasser Al-Khelaifi, Vorsitzender der Beteiligungsfirma Qatar Sports Investment, ist Präsident und Vorstandsvorsitzender in Personalunion bei den Parisern.
Er pumpte in den vergangenen Jahren Unsummen in den Klub, zeichnete verantwortlich, dass Superstar Neymar mit einer Ablösesumme von 222 Millionen Euro zum teuersten Fußballer aller Zeiten avancierte.
Eigentlich sollte die Super League wie gemacht für Al-Khelaifi sein, dessen bisheriges Schaffen sich nicht von der Arbeit der Bosse unterschied, die aufgrund der Super-League-Pläne nun am Pranger stehen. Der ehemalige Tennisspieler hat mit seinen Millionen ein Konstrukt geschaffen, das auf maximalen Erfolg ausgerichtet ist. Seit Jahren gilt der Champions-League-Pokal als heiliger Gral für PSG, alles wird dem Erfolg in der Königsklasse untergeordnet.
Warum den großen Traum von der europäischen Krone nicht einfach auf einen anderen, einen nominell noch prestigeträchtigeren Wettbewerb projizieren? Der Hauptgrund dürfte banaler Natur sein: Al-Khelaifi ist neben seinen diversen Ämtern CEO der beIN Media Group, einem katarischen Medienkonzern, der im Mittleren Osten, Nordafrika, der Türkei und in vielen einwohnerstarken Ländern des asiatischen Raumes die Rechte an der Übertragung der Champions League hält.
gettyPSG schiebt Super-League-Teilnahme endgültig Riegel vor
Dementsprechend groß ist Al-Khelaifis Bestreben, eine gleichermaßen attraktive wie lukrative Champions League zu schaffen.
Würde sein Klub PSG sich ebenfalls aus der Champions League verabschieden, hieße das im Umkehrschluss, dass populäre Spieler wie Neymar oder Kylian Mbappe, die auf dem gesamten Globus eine breite Anhängerschaft - gerade in der jüngeren Generation - hinter sich geschart haben, nicht mehr bei beIN Sports zu sehen wären - was ganz offensichtlich negative Auswirkungen auf die Einschaltquoten und damit verbundene Einnahmen hätte, den Wettbewerb vielleicht sogar gänzlich obsolet für viele potenzielle Zuschauer machen würde.
Blieb PSG zunächst ein offizielles Statement schuldig, meldete sich am Dienstagnachmittag Al-Khelaifi doch noch zu Wort. "Paris Saint-Germain ist der festen Überzeugung, dass Fußball ein Spiel für alle ist. Ich war von Anfang an konsequent. Als Fußballverein sind wir eine Familie und eine Gemeinschaft, die auf unseren Fans fußt. Ich glaube, das sollten wir nicht vergessen", sagte er - und schob einer Teilnahme an der Super League damit endgültig einen Riegel vor.
FC Bayern: Super League wäre gänzlich kontraproduktiv gewesen
Ein schwerer Schlag für die neugeschaffene Elite-Liga: Sie muss ohne den amtierenden Champions-League-Sieger auskommen. Der FC Bayern signalisierte deutlich, dass er keinerlei Interesse daran hat, der Super League beizutreten.
"Der FC Bayern hat sich an den Planungen einer Super League nicht beteiligt. Wir sind davon überzeugt, dass die aktuelle Statik im Fußball eine seriöse Basis garantiert", wurde Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in einer Pressemitteilung des Klubs am Montag zitiert.
Weiter hieß es unter anderem: "Ich glaube nicht, dass die Super League die finanziellen Probleme der europäischen Klubs lösen wird, die durch Corona entstanden sind." Rummenigge appellierte an "alle Vereine in Europa" und forderte, "dass die Kostenstruktur, insbesondere die Spielergehälter und die Honorare für die Berater, den Einnahmen angepasst" werde.
Ein weiterer Schritt Rummenigges, der womöglich noch größeren Symbolcharakter als sein Statement ausstrahlte: Der 65-Jährige zog als Vertreter der Europäischen Klub-Vereinigung ECA am Dienstag in das UEFA-Exekutivkomitee ein und beerbte damit Juventus-Chef Andrea Agnelli, der seinen Posten aufgrund seiner Super-League-Machenschaften räumen musste.
Damit stärkte Rummenigge dem europäischen Fußballverband den Rücken und vermittelte: Der FC Bayern steht weiterhin bedingungslos zur UEFA und zu ihrer am Montag beschlossenen Champions-League-Reform, die Rummenigge als "richtigen Schritt" bewertet.
Hainer und Rummenigge berufen sich auf Bewusstsein für Fans
Daraufhin legten die Bayern am Dienstag sogar noch einmal in aller Deutlichkeit nach: "Ich darf im Namen des Vorstandes ausdrücklich feststellen, dass der FC Bayern nicht an der Super League teilnimmt. Der FC Bayern steht solidarisch zur Bundesliga. Es war und ist für uns immer eine große Freude, als deutscher Vertreter in der Champions League spielen zu können", sagte Rummenigge in einer weiteren Pressemitteilung des Klubs.
Dass das sportliche Aushängeschild des deutschen Fußballs sich nicht für die Super League gewinnen ließ, hat aber sicherlich noch andere Hintergründe. In der Bundesrepublik herrscht unter den Fans, so verfeindet sie auch sein mögen, Konsens bezüglich derartiger Eliteliga-Modelle, die das Aus für das verbliebene Quäntchen des traditionellen Fußballs bedeuten würden.
Anders als beispielsweise in England, wo mittlerweile finanzkräftigte Investoren aus dem Ausland die Mehrheiten an vormaligen Traditionsklubs besitzen, stehen die meisten Klubs hierzulande noch weitestgehend auf "eigenen" Beinen. Die Bayern haben verinnerlicht, dass die Super League und ein damit verbundener Boykott der eingefleischten, ohnehin oftmals kommerzkritischen Fanszene gänzlich kontraproduktiv für den Verein wäre.
"Wir sind nicht dabei, weil wir es nicht wollen. Wir sind glücklich, in der Bundesliga zu spielen, in unserem Brot-und-Butter-Geschäft, zusätzlich genügt uns die Champions League", erklärte Rummenigge in einem Interview mit dem Corriere della Sera und schob nach: "Wir vergessen auch nicht unsere Verantwortung gegenüber unseren Fans, die gegen eine solche Veränderung sind."
Präsident Herbert Hainer sagte: "Unsere Mitglieder und Fans lehnen eine Super League ab. Es ist unser Wunsch als FC Bayern und unser Ziel, dass die europäischen Vereine diesen wunderbaren emotionalen Wettbewerb Champions League leben und zusammen mit der UEFA entwickeln. Der FC Bayern sagt Nein zur Super League."
BVB: Rückzieher von Super-League-Absage bedeutet irreparablen Schaden
Ganz ähnliche Gründe hat auch die Nicht-Teilnahme von Borussia Dortmund an der Super League. Der Traditionsklub aus dem Ruhrgebiet stimmte in Person von ECA-Vorstand Hans-Joachim Watzke für die Champions-League-Reform ab, was vielen Fans bitter aufstieß, gleichzeitig erteilte der Klub aber somit der Super League eine Absage.
"Die Mitglieder des Boards der European Club Association haben sich am Sonntagabend zu einer virtuellen Konferenz zusammengeschlossen und bekräftigt, dass der Board-Beschluss nach wie vor Gültigkeit hat", sagte Watzke in einem Statement, das auf der offiziellen Klubwebseite veröffentlicht wurde. "Dieser Beschluss besagt, dass die Klubs die geplante Reform der UEFA Champions League umsetzen wollen. Es war die klare Meinung des ECA-Boards, dass man die Pläne zur Gründung einer Super League ablehnt."
Bei der Entscheidung seien die Auffassungen der beiden deutschen Klubs Borussia Dortmund und FC Bayern "zu 100 Prozent deckungsgleich" gewesen. Manchem Dortmund-Anhänger reichte die Watzke-Aussage noch nicht aus, die Ultragruppierung "Unity" forderte den Verein dazu auf, eine Teilnahme an der Super League noch entschiedener auszuschließen.
"Klare Worte, statt leere Zeilen: ESL-Absage jetzt und für immer", hieß es auf einem Banner der Gruppe, das gegenüber der BVB-Geschäftsstelle an einem Zaun befestigt wurde.
BVB-Rechtsform der Grund für keine klare Ablehnung der Super League
In den Worten schwang die Befürchtung mit, dass die Schwarz-Gelben den Avancen der Spitzenklubs doch noch folgen könnte. Der Spiegel, dem der Rahmenvertrag der Super League vorliegen soll, hatte nämlich berichtet, dass sowohl Dortmund als auch Bayern und PSG eine Mitgliedschaft angeboten werden soll. Demnach hätten ebenjene Vereine 30 Tage Zeit, der Eliteliga trotz zunächst erfolgter Absage doch noch beizutreten.
Dass die Borussia-Verantwortlichen tatsächlich noch "umkippen" und von ihrem Standpunkt abrücken, ist unwahrscheinlich. Dortmund würde sein Gesicht verlieren, der BVB kann es sich nicht leisten, seine Basis, sprich die Fans, zu vergraulen. Dies würde mit Sicherheit geschehen, sollte der Champions-League-Viertelfinalist der Super League nachträglich beitreten. Einen derart irreparablen Schaden werden die Westfalen nicht in Kauf nehmen.
Aber: Die Situation ist beim BVB anders als bei PSG oder Bayern, weshalb es nach wie vor keine klare Absage in Form eines Statements gibt. Die Dortmunder haben die Rechtsform einer börsennotierten Kommanditgesellschaft auf Aktienbasis (KGaA) und sind somit verpflichtet, im Sinne ihrer Aktionäre zu handeln.
Die Ablehnung von durch die Super League garantierten Einnahmen in Höhe von 200 Millionen Euro könnte angesichts coronabedingter Verluste im Geschäftsjahr von bis zu 75 Millionen Euro börsenrechtliche Folgen haben, weshalb keine klare Ablehnung kommuniziert werde. Allerdings gibt es nach Angaben des kicker und der Ruhr Nachrichten intern die klare Meinung, auf keinen Fall an der Super League teilnehmen zu wollen.