Mino Raiola hatte in diesem Sommer zwei schwierige Aufgaben zu lösen: Der 53 Jahre alte Italiener musste zwei Sorgenkinder unterbringen.
Für einen Spielberater, der unter anderem Kaliber wie Erling Haaland, Zlatan Ibrahimovic, Paul Pogba oder Marco Verratti zu seinen Mandanten zählt, gehört es sich natürlich, dass jedes seiner Schäfchen wohlbehütet und versorgt ist. Ein Raiola-Spieler muss glücklich sein. Zur Hilfe eilten ihm die türkischen Klubs.
Das eine Schäfchen war Mario Balotelli, den er bei Adana Demirspor mit einem üppigen Vertrag unterbrachte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat sich Balotelli inzwischen recht gut eingefunden und fällt neben einigen Eskapaden auch mit Toren auf. Beim anderen Schäfchen könnte Raiola kurz nervös geworden sein.
Der Mann, der den größten Klubs dieser Welt ihre Preise diktiert, musste nun Telefonate in einer anderen Stimmlage führen. Bloß nett sein, um mögliche Abnehmer für Emre Mor (24) nicht zu verschrecken. Ende August erklärte sich dann der türkische Erstligist Karagümrük zu einem Leihgeschäft bereit.
Wenn er den Ball hat - man kann einfach nicht wegsehen
Es spricht Bände, dass das einstige Wunderkind Emre Mor inzwischen einen Berater wie Raiola braucht, um irgendwo unterzukommen. Sein Stammverein Celta Vigo wollte Mor nicht mehr haben. Er war der teuerste Zugang der Vereinsgeschichte, bekam für Celta-Verhältnisse ein Luxus-Gehalt, aber was dabei heraussprang, konnte man unter Fehlinvestition verbuchen.
Wie schon in Dortmund oder wie schon bei Galatasaray und Olympiakos, wohin er jeweils von Celta ausgeliehen wurde. Und auch diesmal ist es ein Leihgeschäft. Höchst ungewöhnlich für einen Spieler, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft. Aber was ist bei diesem Emre Mor schon gewöhnlich ...
Mor manipuliert die Menschen, weil er zu einer Spezies Fußballer gehört, die einem den Atem berauben können. Im Fall von Mor passiert das zwar in immer größeren Intervallen, aber sein explosiver Antritt, sein schnelles Dribbling, diese Anarchie, wenn er den Ball hat - man kann einfach nicht wegsehen.
Daher wird irgendjemand immer wieder auf Mor reinfallen. Es wird immer einen Klub-Boss geben, der nichts von Disziplin, Defensivarbeit und Beständigkeit hören will und Mor mit einem Vertrag ausstattet. Wenn selbst ein Raiola schwach wird, obwohl er es nicht nötig hätte, sagt das viel aus. Warum also nicht noch unzählige Klubs, bis es irgendwo wirklich funktioniert?
BVB-Flop Mor hat sein nächstes Opfer gefunden
Wie sehr man bei Karagümrük auf Mor reingefallen ist, beweist Klub-Präsident Süleyman Hurma. Der 56-Jährige ist ein gewiefter Geschäftsmann und mit allen Wassern gewaschen. So leicht kann man einen Hurma nicht austricksen. Denkt man.
Aber Hurma, der nicht nur Präsident, sondern auch Eigentümer von Karagümrük ist und als eisenharter Verhandlungspartner gilt, sagt: "Es wäre dumm von uns gewesen, es mit Emre nicht zu versuchen. Auch wenn der Versuch uns am Ende nur Geld kostet, ist es kein Problem. Wir müssen es probieren."
Mor hat also sein nächstes Opfer gefunden. Er ist wie ein Trickbetrüger, der durch seinen Charme die Begeisterung seiner Opfer ausnutzt und sich ihr Hab und Gut aneignet. Hurma vergleicht ihn sogar mit den Besten dieser Welt: "Für mich gibt es vom Talent her zwischen Emre Mor und Lionel Messi keinen Unterschied. Vielleicht hat Emre sogar physische Vorteile. Von einem Spieler mit seiner Qualität hätten wir nur träumen können."
Aber Qualität reicht eben nicht aus. Auch bei Karagümrük nicht: Bisher reichte es nur zu drei Kurzeinsätzen. Das höchste der Gefühle waren 18 Minuten beim Auswärtsspiel gegen Besiktas. 18 Minuten, in denen Mor durchaus andeutete, was er kann.
Er setzte zu temporeichen Dribblings an, zog immer wieder schnell Richtung Strafraum. Ob es die große Bühne war, die ihn erstrahlen ließ? In den 13 Minuten gegen Yeni Malatyaspor und in den drei Minuten gegen Sivasspor war von Emre Mor nichts zu sehen.
Emre Mor: Bitte keine Vergleiche mit Lionel Messi!
Aber bei Karagümrük gibt man die Hoffnung nicht auf. "Hätte Emre den Karriereweg genommen, den man ihm zugetraut hätte, wäre er irgendwohin für 150 Millionen Euro gewechselt. Wenn er es ernst meint, können wir ihn der Fußballwelt erneut präsentieren."
Doch meint er es ernst? Und wenn ja, wie lange? Dass zumindest ein Umdenken stattgefunden hat, deutete Mor in einem Interview mit dem dänischen Sender Viaplay Sport an: "Ich habe Fehler gemacht und muss klüger werden. Ich muss meine Wut unter Kontrolle bekommen, aber da sind wir auf einem guten Weg."
Mor lässt auch durchblicken, dass ihm seine Rolle als Superstar mitunter zu viel wurde und erinnert an Dortmunder Zeiten: "Vom Jungen aus dem Ghetto wurde ich plötzlich jemand, den jeder auf der Straße erkannte. Ich konnte mich nicht normal verhalten - es war schwer. Am Anfang gefiel es mir, dass man mich erkannte, und es erfüllte mich mit Stolz, aber dann wurde es zu viel. Denn ich merkte, dass ich niemals ein freier Mensch sein werde."
Die Sehnsucht nach Freiheit, die vielen Eskapaden und Undiszipliniertheiten in seiner noch jungen Karriere, standen ihm bisher im Weg. Doch noch scheint der Filigrantechniker nicht aufgegeben zu haben. Vielleicht erkennt der Trickbetrüger, dass er doch anders kann und gibt auch wieder etwas zurück. Nur eine Bitte hat er: "Die Leute vergleichen mich mit Messi. Aber das will ich nicht. Ich bin Emre Mor und habe meinen eigenen Weg." Noch ist der Weg frei - er muss ihn nur gehen.