"Das ist das erste Interview. Und auch das letzte." Gelächter. "Das ist mein Ernst." Gelächter vorbei. Mario Balotelli machte zu Beginn seiner Zeit bei Adana Demirspor in der Türkei gleich mal reinen Tisch. Die Trainingseinheit Mitte Juli 2021 war schon im Gange, als der Italiener zu den wartendenden Journalisten kam, um ein paar Fragen zu beantworten.
Sein erster Eindruck von der Mannschaft? "Wir haben keine Superstars, aber wir haben ein gutes Klima." Der erste Gegner in der Süper Lig heißt Fenerbahce. Seine Meinung? "Ich weiß nur, dass Mesut Özil dort spielt." Seine Erlebnisse? "Ich habe noch nicht einmal trainiert und muss mich erstmal einfinden." Dann sagte Balotelli, dass er gehen muss. Und ging.
Eine versteinerte Miene setzte er in der kurzen Medienrunde nicht auf, aber dennoch wirkte er in der Trainingseinheit dann deutlich glücklicher. Wer eine besonders große Interpretationsgabe hat, dürfte zu dem Schluss kommen, dass sich Balotelli nur aufs Wesentliche konzentrieren will. Arbeiten statt Reden. Tore statt Schlagzeilen.
Balotelli: Ein mannschaftsdienlicher Egoist
Nach knapp einem halben Jahr in der Türkei kann man konstatieren, dass ihm dieses Vorhaben gelungen ist. Balotelli machte beim türkischen Aufsteiger 18 Spiele, schoss sieben Tore und legte zu zwei weiteren Treffern Assists auf. Balo is back, wie es einst in einer berühmten Schlagzeile der Gazzetta dello Sport hieß. Sein Beitrag ist aber nicht nur in Zahlen zu bewerten. Balotelli fügt sich dem ein, was Trainer und Mannschaft wollen, ohne dabei seine eigenen Stärken zu ignorieren. Ein mannschaftsdienlicher Egoist sozusagen.
Als Balotelli damals nach Adana kam, war all das so nicht zu erwarten. Ein berühmt berüchtigtes Entfant terrible in der verrücktesten Stadt der Türkei? Wie soll das gutgehen? Und anfangs fühlten sich die Skeptiker sogar bestätigt. Hier eine Eskapade, da ein Wutanfall. In einem Testspiel zu Saisonbeginn soll er sich auswechseln lassen haben, weil ihn ein gegnerischer Spieler provoziert habe und ihm ein Treffen vor der Kabine angedroht habe. Auch von kleineren Starallüren war die Rede.
"Es sind keine großen Respektlosigkeiten, die er zeigt", sagte Samet Aybaba, der Adana Demirspor bis Ende August trainierte: "Wir werden mit ihm sprechen und drücken oft ein Auge zu." Doch Aybaba, ein alter Haudegen der Süper Lig mit vielen Stationen und Erfahrungswerten, hielt es mit seiner Zuneigungsstrategie nicht lange aus.
Präsident tobte: "Dann kann er gleich zuhause bleiben"
Als Balotelli nach Auswechslungen wiederholt abfällige Gesten zeigte und seine Unzufriedenheit über anfangs schwache Leistungen demonstrativ zur Schau trug, platzte Aybaba der Kragen: "Es heißt, dass wir einen Weltstar geholt hätten. Ja, er ist eine Marke, aber wir haben ihn aus der 2. Liga Italiens geholt. Adana ist eine Chance für ihn - die sollte er nutzen." Kurze Zeit später war der Aufstiegscoach seinen Job los.
Dass die Entlassung Balotelli ausgelöst hat, wollte Klub-Präsident Murat Sancak aber so nicht stehen lassen. "Das hat mit keinem Fußballer zu tun. Niemand ist größer als der Klub. Auch Balotelli nicht." Dem Italiener, der damals eine Länderspielpause für einen kurzen Heimaturlaub nutzte, schickte Sancak einen Gruß hinterher: "Ich habe ihm gesagt, dass er gleich zuhause bleiben kann, wenn er sich so verhält."
Balotelli kam zurück und ist seither wie ausgewechselt. Klar, hier und da kommt es noch zu Verstimmungen, aber ein Problemfall, denn man die Heimreise androhen muss, ist er nicht mehr. Das liegt zum einen am Präsidenten selbst. Sancak ist selbst kein Kind von Traurigkeit. Ein erfolgreicher, aber auch wortreicher Geschäftsmann. "Ich mag ihn, er ist sehr lustig", sagt Balotelli.
Montella: "Die Türkei hat Balotelli gutgetan"
Und letztlich ist er auch dafür verantwortlich, dass er sich das Abenteuer angetan hat. "Die Verhandlungen haben nicht lange gedauert", erzählt Balotelli. "Der Präsident ist ein direkter Typ, ich bin direkt und mein Berater (Mino Raiola, Anm. d. Red.) ist es auch. Da mussten wir nicht lange reden und waren uns einig."
Daher war Balotelli auch nicht sauer, als er vom Präsidenten angezählt wurde. Als der Italiener zurück in Adana war, gab es eine entscheidende Wendung in der noch kurzen Türkei-Karriere. Sancak holte als Nachfolger für Aybaba Balotellis Landsmann Vincenzo Montella. Atmosphärische Störungen gab es seitdem nicht mehr. Montella lässt Balotelli seine Freiheiten in der Sturmspitze. Das Spiel ist auf ihn zugeschnitten, aber Balotelli zahlt das Vertrauen auch mit viel Hingabe zurück.
Hört man rein in Adana, hat er einen guten Draht zu seinen Kollegen, besonders zu den jungen Spielern, denen er mit Rat und Tat zur Seite steht. Dank seiner klugen Spielweise als Wandspieler, glänzen auch seine schnellen Hinterleute. "Die Türkei hat ihm gutgetan", sagt Trainer Montella: "Es war eine gute Entscheidung, hierher zu kommen. Die Mentalität ist der italienischen sehr ähnlich."
Zurück zu Roberto Mancini?
Aber Balotelli will sich in der Türkei auch nicht nur einfach nur wohlfühlen, sondern arbeitet an großen Zielen. Da ist die WM, für die sich Italien über den Umweg Playoffs zwar erst noch qualifizieren muss, aber Balotelli will im Fall der Fälle dabei sein: "Er hat die Obsession, in die Nationalmannschaft zurückzukehren. Er ist sehr motiviert, er hat den Glauben, aber er weiß auch, dass er sehr hart arbeiten muss, um Roberto Mancini zu überzeugen", so Montella.
Sein vorerst letztes Spiel für die Squadra Azzurra bestritt er im September 2018 gegen Polen. Seither hat sich viel getan. Italien nennt sich längst Europameister und fast alle Positionen sind top besetzt. Aber Balotelli hat vor großen Aufgaben noch nie gekuscht. Er weiß, dass Mancini seit seiner Zeit bei Galatasaray ein Auge auf die Süper Lig hat und mit Montella einen Ansprechpartner, wenn Informationen benötigt werden. Der wird Mancini sagen, dass Balotelli "so motiviert ist, wie noch nie in seiner Karriere".
Dass Balotelli so gut drauf ist, hat sich auch in der Fußballwelt rumgesprochen. "Wir haben viele Angebote für ihn. Zuletzt wurden 6,5 Millionen Euro Ablöse geboten", sagt Präsident Sancak. Zu wenig. "Die Interessenten müssen schon zehn Millionen Euro in ihre Tasche stecken, damit wir reden. Seine festgeschriebene Ablöse liegt zwar darunter, aber Mario wird nicht gehen, wenn ich ihm das nicht sage. Wir sind wie Brüder. Er mag mich, ich mag ihn."
Balotelli sagt selbst - nichts. Wie im Juli angekündigt, gibt er keine Interviews. Nur in einem türkischen Werbespot ist er derzeit häufiger zu sehen. Ein Rockmusiker spricht vermeintlich italienisch mit ihm. Balotelli sagt dann: "Ich verstehe gar nichts." Und nennt den Sponsor. Shakehands, Lächeln. Fertig. Alles erledigt in ein paar Sekunden. Mehr war nicht drin, Balo hat etwas zu tun.