Ein größenwahnsinniger Präsident, der sich mit dem FC Bayern und dem BVB anlegte, ein polarisierender Trainer und haufenweise Brasilianer: Deportivo La Coruna avancierte um die Jahrtausendwende zum spanischen Spitzenklub. So rasant der Aufstieg verlief, so rasant erfolgte aber auch der anschließende Fall bis in die Drittklassigkeit.
A Coruna liegt malerisch in die galicische Küstenlandschaft eingebettet auf einer Halbinsel. Bei klarem Himmel scheint die Sonne morgens auf die südöstliche Seite mit seinem kleinen Hafen und den zahlreichen Cafes. Während die Gallegos hier mit Sonnenbrille frühstücken, ruht der hunderte Meter lange Sandstrand auf der gegenüberliegenden Seite im Nordwesten der Stadt noch im Schatten.
Erst im Laufe des Vormittags kämpft sich die Sonne über die dazwischen liegenden Häuser der Altstadt, erst dann scheint sie auch auf die Heimspielstätte von Deportivo La Coruna. Das Stadion ist nur eine Straßenüberquerung vom Strand entfernt, tatsächlich trägt es sogar seinen Namen: Riazor. Nach Jahren des metaphorischen Nachmittags voller Sonnenschein herrschte hier zuletzt lange Dauer-Schatten.
Zur Jahrtausendwende war Deportivo nicht Deportivo, sondern nur: Superdepor! Wie aus dem Nichts stürmte der unscheinbare Provinzklub an die spanische und europäische Spitze. Pokalsieger 1995 und 2002. Meister 2000. Champions-League-Halbfinalist 2004. So rasant der Aufstieg verlief, so rasant erfolgte aber auch der anschließende Fall bis in die Drittklassigkeit. Aktuell spielt La Coruna in einer Liga mit der Reserve des Erzrivalen Celta Vigo - aber immerhin ist Besserung in Sicht.
Augusto Cesar Lendoiro war Deportivos Alleinunterhalter
Die Geschichte von Deportivo La Coruna ist auch die Geschichte von Augusto Cesar Lendoiro. Er heißt nicht nur wie römische Imperatoren, er verhielt sich auch so. Lendoiro war Macher, Entscheider, Alleinunterhalter. Er war Deportivo. Schon mit 15 begann der spätere Politiker seine Karriere als Sportfunktionär und übernahm das Präsidentenamt bei einem lokalen Amateurklub. 1988 kam er bei Deportivo an die Macht.
Der Klub hatte davor zwar auch schon mal in der Primera Division mitgespielt, das war damals aber schon 15 Jahre her. Stattdessen stand er hoch verschuldet vor dem Abstieg in die Drittklassigkeit. Nachdem diese neuerliche Demütigung abgewendet war, kehrte Deportivo unter dem neuen Präsidenten in die Primera Division zurück. Lendoiro hatte Gefallen gefunden am Erfolg, also begann er in die Mannschaft zu investieren - und zwar mit einem besonderen Ansatz. Was heute im Fußballgeschäft alltäglich ist, war damals revolutionär: Systematisch Brasilianer nach Europa holen!
gettyHaufenweise Brasilianer für Deportivo
1992 reiste Lendoiro nach Rio de Janeiro, um Bebeto von einem Wechsel zu überzeugen. Der 28-jährige Stürmer von Vasco da Gama stand eigentlich schon bei Borussia Dortmund im Wort. Doch dann berichtete ihm Deportivos Präsident vom schauderhaften Wetter in Deutschland. Von bitterkalten Wintern, gar von Schnee und Eis.
Unerwähnt ließ Lendoiro, dass A Coruna ganz im Nordwesten Spaniens gelegen zu den kältesten Regionen des Landes zählt. Oft regnet es hier, meistens stürmt es - und bald stürmte dort auch Bebeto. Tatsächlich ließ er sich von Lendoiro umstimmen, die Dortmunder Wut war entsprechend groß. "Wir haben damals zwar die FIFA eingeschaltet und auch eine Entschädigung, aber nicht den Spieler bekommen", erinnerte sich der damalige Dortmund-Manager Michael Meier später bei SPOX und GOAL.
Zeitgleich mit Bebeto wechselte auch sein brasilianischer Landsmann Mauro Silva zu Deportivo, ein defensiver Mittelfeldspieler. Die Ankunft des Duos gilt als Ausgangspunkt des Erfolgslaufs: Bebeto wurde gleich in der ersten Saison Torschützenkönig, die Mannschaft landete auf Platz drei. Im Jahr darauf verhinderte nur ein verschossener Elfmeter am letzten Spieltag den Meistertitel. Stattdessen jubelte Johan Cruyffs Dreamteam vom FC Barcelona. 1995 gelang mit dem Triumph in der Copa del Rey schließlich der erste wichtige Titel der Klubgeschichte.
Bebeto kehrte ein Jahr später in seine brasilianische Heimat zurück, womöglich hatte er genug von den überraschend frostigen galicischen Wintern. Dafür wählte ein anderer Brasilianer A Coruna als erste europäische Station: Bevor Rivaldo bei Barca zum Star wurde, bevor er die Weltmeisterschaft gewann und mit dem AC Milan die Champions League, stürmte er ein Jahr lang für Deportivo. Eine wichtige Rolle in Sachen Transfers spielte mittlerweile ein Halb-Deutscher. Ricardo Moar wuchs in Lippstadt auf, ehe er als aktiver Spieler in seine Geburtsstadt A Coruna zurückkehrte und 1994 den Posten des Sportdirektors übernahm.
gettyErfolgstrainer Javier Irureta führte Deportivo zum Meistertitel
Rivaldo sorgte in A Coruna für etwas Glamour, Erfolg brachte aber ein Baske namens Javier Irureta. Mit seiner Brille und Halbglatze sah Irureta unscheinbar aus, tatsächlich war er aber ein Mann der Polarisierung. Als einziger Trainer der Geschichte stand er bei beiden baskischen Erzrivalen Athletic Bilbao und Real Sociedad San Sebastian sowie beiden asturischen Deportivo und Celta Vigo unter Vertrag. Selbstverständlich jeweils direkt hintereinander. Einmal wanderte er den legendären Jakobsweg nach Santiago de Compostela, die Pilgerstadt unweit A Corunas. Wollte er etwa um Verzeihung bitten für seine unerhörten Klub-Wechsel?
Nachdem Irureta Celta zum erst zweiten Mal in der Klubgeschichte in den internationalen Wettbewerb geführt hatte, unterschrieb er 1998 bei Deportivo. Rivaldo hatte er zwar nicht mehr zur Verfügung, dafür aber den brasilianischen Regisseur Djalminha. In A Coruna nannten sie ihn "El Mago", den Magier. An seiner Seite spielten Routinier Mauro Silva und die Identifikationsfigur aus der eigenen Jugend Fran, davor jagte der niederländischen Stürmer Roy Makaay Tore.
Sie alle standen auf dem Platz, als sich Deportivo am letzten Spieltag der Saison 1999/00 den ersten Meistertitel der Klubgeschichte sicherte: vor dem amtierenden Meister Barcelona von Louis van Gaal und vor den beiden Champions-League-Finalisten FC Valencia und Real Madrid. Mit einer Einwohnerzahl von nur rund 250.000 avanciert A Coruna nach San Sebastian zur zweitkleinsten Meisterstadt Spaniens.
Fünf Jahre in Folge spielte Deportivo anschließend in der Champions League. Superdepor stand für Spektakel: Eine 1:4-Hinspielniederlage gegen Milan wurde im Rückspiel per 4:0 gedreht, gegen die AS Monaco setzte es dagegen eine 3:8-Pleite. 2004 stürmte die Mannschaft ins Halbfinale, wo sie nur knapp an Jose Mourinhos FC Porto scheiterte. Mittlerweile hatte Deportivo neue Helden: Regisseur Juan Carlos Valeron zum Beispiel oder Linksaußen Albert Luque. Nicht mehr dabei war Toptorjäger Makaay, der im Sommer davor zum FC Bayern München gewechselt war - mit Nebengeräuschen.
Roy Makaays turbulenter Wechsel zum FC Bayern
Aufmerksam wurde der FC Bayern auf Makaay, als er Deportivo in der Champions League mit einem Dreierpack zu einem 3:2-Auswärtssieg in München schoss. Was folgte, war ein wochenlanger Transfer-Hickhack. Als Bedingung für eine Freigabe soll Lendoiro vom Stürmer gar einen Verzicht auf dessen letzten Gehalts gefordert haben. "Er hat Makaay regelrecht erpresst. Der hat die Leute aufgehetzt und Makaay nur madig und mies gemacht. Das war unterste Schublade", sagte Rummenigge nach Vollzug des Transfers der Bild.
Letztlich wechselte Makaay für die damalige klubinterne Rekordsumme von rund 20 Millionen Euro zum FC Bayern. Für Rummenigge war das Thema damit aber noch nicht abgeschlossen, stattdessen erwog er wie einst Dortmund rechtliche Schritte gegen Deportivo und Lendoiro: "Wir wollen ein offizielles Verfahren. Da sind Dinge passiert, die werden diesem Herren noch leid tun." Rummenigge forderte die FIFA darüber hinaus auf, "mal genau in die Bücher von Deportivo" zu schauen.
getty2013 schlitterte Deportivo in die Insolvenz
Zu einem tatsächlichen Verfahren kam es zwar nicht, die Bücher von Deportivo dürften aber schon damals alarmierende Zahlen beinhaltet haben. Lendoiro führte seinen Klub über den eigenen Verhältnissen, am Leben hielten ihn lediglich die Einnahmen aus der Champions League. Ähnlich wie bei Leeds United in England brach das spekulative Konstrukt auch bei Deportivo mit dem erstmaligen Nicht-Erreichen der Königsklasse in sich zusammen.
2005 verpasste die Mannschaft die Champions-League-Qualifikation, das Unheil nahm seinen Lauf: Erfolgstrainer Irureta verließ den Klub, Spieler gingen und kamen und gingen wieder. Irgendwann gab es gar kein Geld mehr für Neuzugänge, in Ermangelung an Alternativen rief der Präsident einen Jugend-Kurs aus.
Die Mannschaft schlitterte erst ins Tabellenmittelfeld, dann in den Abstiegskampf, 2011 in die Zweitklassigkeit und 2013 in die Insolvenz. Über die exakte Höhe der Schulden gab es unterschiedliche Angaben: Waren es 34 Millionen Euro? 94? Oder gar 160? Monatelang wurden alle Einnahmen von der Steuerbehörde beschlagnahmt.
Spitzenplatz in der dritte Liga und eine starke Jugend
"Das Ergebnis des Lendoirismus ist die mögliche Auflösung des Klubs", sagte Ex-Trainer Arsenio Iglesias, der Deportivo 1995 zum Sieg in der Copa des Rey geführt hatte. Zur Auflösung kam es zwar nicht, Anfang 2014 trat Lendoiro aber schließlich zurück. 68 Jahre war er mittlerweile alt. Er übergab den Klub, wie er ihn 26 Jahre früher übernommen hatte: als hochverschuldeten Zweitligisten.
In einem emotionalen Abschiedsbrief schrieb Lendoiro von den sagenhaften Erfolgen und den anschließenden Fehlern. "Wir möchten ihnen sagen, dass wir an keinem einzigen Tag, nicht einmal in einer einzigen Sekunde die Illusion verloren haben, La Coruna zu einem großen Klub zu machen." Und: "Wir versichern, dass wir immer alles mit dem festen Ziel getan haben, unser Deportivo so weit oben wie möglich zu sehen." Vielleicht war aber genau das das Problem: Größenwahn.
Wenige Monate nach Lendoiros Abschied kehrte Deportivo zwar in die Primera Division zurück, stieg 2018 unter Trainer Clarence Seedorf aber erneut ab. Und zwei Jahre später wieder. Vor leeren Rängen, Mitten in der Corona-Pandemie. In der ersten Drittligasaison verkaufte der Klub über 20.000 Jahreskarten - und die Mannschaft verlor gegen die Reserve des Erzrivalen Celta Vigo.
Es war der Tiefpunkt, der mittlerweile überwunden ist. Aktuell liegt Deportivo nur wegen der schlechteren Tordifferenz gegenüber Tabellenführer Racing Santander auf Platz zwei seiner Drittliga-Staffel. Hoffnung macht auch die eigene Nachwuchsabteilung: Als nationaler Jugendmeister qualifizierte sich Deportivo für die diesjährige UEFA Youth League, scheiterte dort aber in der Zwischenrunde an Dynamo Kiew. Nach langem Schatten könnten es die ersten Sonnenstrahlen über dem Riazor gewesen sein.