Sie wirken wie jemand, der später selbst mal Trainer werden könnte. Ist das ein Ziel?
Görtler: Ich kann mir das in der Tat sehr gut vorstellen, bin aber auch zwiegespalten. Auf der einen Seite bin ich mir ziemlich sicher, dass mir der Trainerberuf eines Tages Spaß machen würde. Ich denke auch, dass ich Talent dafür hätte, weil ich ein guter Kommunikator bin, gerne die Menschen um mich herum besser mache und da gewisse Fähigkeiten besitze. Gleichzeitig weiß ich, dass die eine große negative Sache im Fußball, dass du nämlich jedes Wochenende fremdbestimmt bist, natürlich als Trainer genauso da ist wie als Spieler. In gewisser Weise sogar noch schlimmer. Will ich das? Ich bin wahrscheinlich der Typ, der nach der aktiven Karriere erstmal ein oder zwei Jahre auf Reisen gehen und die Welt sehen will. Aber vielleicht reicht mir das auch wieder nach einem Jahr und ich bin heiß auf eine Rückkehr in den Fußball. Gut möglich.
Noch haben Sie viele Jahre als Spieler vor sich, Sie sind mit 28 Jahren jetzt im besten Fußballer-Alter, wie man so schön sagt. Sie sind ein Star in der Schweiz. Wie sehr wünschen Sie sich den Schritt in eine größere Liga, gerade die Bundesliga?
Görtler: Ich bin jemand, für den eine ehrliche Kommunikation ganz wichtig ist. Ich habe der Vereinsführung in St. Gallen gesagt, dass ich unglaublich glücklich hier bin. Ich hatte als Fußballer noch nie ein so hohes Standing wie hier. Ich fühle mich pudelwohl und kann mir vorstellen, sehr lange hier zu bleiben, deshalb habe ich auch einen langfristigen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Ich muss sicher nichts Verrücktes machen, um meine Karriere irgendwie zu pushen. St. Gallen hat die Latte sehr hoch gelegt, da muss schon etwas sehr Besonderes kommen. Aber die ehrliche Antwort ist auch, dass ich mich als Fußballer unglaublich entwickelt habe und dass ich natürlich ehrgeizig bin. Wenn eines Tages ein Angebot kommt, das mich sportlich und finanziell nochmal auf eine andere Ebene hieven würde, dann höre ich mir das sicher an. Und dass für mich als Deutscher die Bundesliga reizvoll wäre, ist auch kein Geheimnis. Aber ich bin nicht auf der Suche.
Sie glänzen in St. Gallen nicht nur spielerisch und als Captain, Ihnen liegt auch das Thema Umwelt sehr am Herzen. Warum engagieren Sie sich so?
Görtler: Der Klimawandel ist das große Thema unserer Generation. Ich mache mir große Sorgen, dass wir in eine Katastrophe hineinschlittern, wenn wir nicht schleunigst Dinge verändern. Ich mache mir Sorgen, dass wir in 25 Jahren dastehen, uns anschauen und sagen müssen: Wie konnten wir nur so dumm sein? Aber dann ist es vielleicht zu spät und wir können nichts mehr ändern. Ich sehe auch jeden Tag, dass das Thema zwar schon viel Aufmerksamkeit bekommt, aber dass es doch nicht zu allen durchdringt.
Wie meinen Sie das?
Görtler: Wenn ich mir meine Altersgruppe anschaue oder vor allem die Altersgruppe eins drunter, die jungen Spieler bei uns in der Mannschaft, dann muss ich leider feststellen, wie wenige das Thema überhaupt auf dem Schirm haben. Wie Kleinigkeiten als selbstverständlich angenommen werden, die aber einen großen Schaden anrichten können. Es ist unglaublich schwierig, Menschen dazu zu bringen, zu verzichten. Da muss auch jeder für sein Leben entscheiden, was für ihn ein Kompromiss sein kann, aber ich versuche einfach, bei einigen Punkten mit einem guten Beispiel voranzugehen und Dinge vorzuleben. Vielleicht kann ich damit ein paar Leute inspirieren.
Haben Sie Beispiele?
Görtler: Als ich nach St. Gallen gekommen bin, habe ich mich dafür eingesetzt, dass wir Plastikflaschen aus dem Klub verbannen. Ich habe ausgerechnet, dass wir pro Jahr rund 15.000 PET-Flaschen verbrauchen - das ist doch verrückt. Da ist es doch viel sinnvoller, wenn jeder Spieler eine eigene Alu-Flasche bekommt und wir einen Wasserspender installieren. Deshalb bin ich zum Präsidenten nach oben ins Büro gegangen und habe das vorgeschlagen. Seitdem sind die Plastikflaschen bei uns Geschichte.
Fahren Sie nur noch mit dem Rad zum Training?
Görtler: Ja, ich fahre fast immer mit dem Rad. Wenn wir nachts von einem Spiel aus Sion wieder mit dem Bus am Trainingsgelände ankommen, liebe ich es, die zehn Kilometer zu mir nach Hause zu radeln. Als ich bei einem Spiel in Vaduz mal gesperrt war, bin ich die 60 Kilometer auch mit dem Rad zum Spiel gefahren und danach wieder zurück. Wir hatten im Klub sogar Fahrräder, aber die noch nicht richtig in Gebrauch waren. Zusammen mit einem Mannschaftskollegen habe ich sie dann aufgepumpt und hergerichtet, einmal kamen immerhin zwölf Jungs mit dem Fahrrad. Damit retten wir nicht die Welt, aber würde jeder Mensch jeden Tag 1,6 Kilometer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurücklegen, wie es der Durchschnitt in Dänemark tut, könnten wir jährlich 400 Millionen Tonnen CO2 sparen. In den Niederlanden liegt der Durchschnitt übrigens sogar bei 2,6 Kilometern, es ist also möglich.
Görtler: "Da kann ich schlecht auf andere Leute schimpfen"
Sie haben auch Ihre Ernährung umgestellt, Sie sind seit einigen Jahren Vegetarier und ernähren sich oft vegan.
Görtler: Ich habe vor sechs Jahren damit angefangen, weniger Fleisch zu essen und mit der Zeit generell auf tierische Lebensmittel zu verzichten. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass mir gar nichts fehlt. Im Gegenteil. Ich habe mich nicht mehr so müde gefühlt, ich war sogar energetischer. Das heißt aber auch nicht, dass ich davor total kaputt war und ohne Fleisch laufe ich nur noch Marathons, so ist es natürlich nicht. Aber es hat mir gutgetan. Ich bin aber niemand, der mit dem moralischen Zeigefinger auf andere Menschen zeigt. Ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Ich reise zum Beispiel sehr gerne.
Also fliegen Sie viel.
Görtler: Ich fliege ab und zu, darauf will ich auch nicht verzichten müssen. Da kann ich aber dann schlecht auf andere Leute schimpfen, die Fleisch essen, aber dafür vielleicht nicht in den Urlaub fliegen. Aber wenn ich ein paar Leute zum Nachdenken anrege und sie statt an fünf Tagen in der Woche nur noch an zwei Tagen Fleisch essen, hat das auch schon einen Effekt. Es gibt eine Alternative, wenn die Menschen das verstehen, reicht es mir schon.
Wir haben am Anfang des Gesprächs über das Thema Glück gesprochen. Sie haben in St. Gallen eine Aktion ins Leben gerufen, die kranken Kindern hilft. Worum geht es da?
Görtler: Das Projekt heißt "sangallä bewegt". Entstanden ist die Idee zu meiner Zeit in Utrecht, als wir pro Jahr ein paar Mal das Kinderkrankenhaus besuchten. Diese Besuche haben mir sehr viel bedeutet und gegeben. Ich habe realisiert, wie ich mit ganz wenig Aufwand, nämlich einfach mit ein paar Stunden meiner Zeit, Kindern, denen es gerade nicht so gut geht, den schönsten Tag ihres Lebens schenken kann. Ich habe auch in St. Gallen immer wieder mal kranke Kinder zum Training eingeladen, wenn ich von ihren Geschichten erfahren habe. Ich wollte aber, dass es erstens nicht meine Geschichte ist, sondern dass es eine Geschichte der ganzen Mannschaft wird. Und ich wollte es größer machen und organisierter. So ist "sangallä bewegt" entstanden. In diesem Jahr haben wir über Events, Verlosungen oder Versteigerungen 50.000 Schweizer Franken an Spenden für ein Kinderspital eingenommen. Ich habe alles selbst organisiert und muss zugeben, dass ich etwas unterschätzt habe, wie groß so ein organisatorischer Aufwand sein kann. Aber es ist es wert. Deshalb werden wir es auch auf jeden Fall irgendwie weiterführen, es gibt einem so unendlich viel.