PSG-Trainer Christophe Galtier und sein dunkelstes Kapitel: Als im Vélodrome die Ananas flog

Nino Duit
07. März 202308:24
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Neulich beim Spitzenspiel gegen Olympique Marseille musste PSG-Trainer Christophe Galtier (56) von Ersatzspielern zurückgehalten werden, dass er nicht auf einen OM-Fan losgeht. Der Vorfall weckte Erinnerungen an das dunkelste Kapitel seiner Karriere.

"Galtier hinter Gitter", forderten Monacos Fans im April 2000 auf einem Transparent im Stade Louis II. Ins Gefängnis musste der damalige Co-Trainer von Olympique Marseille zwar nicht, aber immerhin wurde er für sechs Monate gesperrt. Der Grund: Galtier soll Monacos Mittelfeldspieler Marcelo Gallardo verprügelt haben.

Galtier stammt aus Marseille und natürlich liebt er OM. Seine Kindheit verbrachte er mit Eric Cantona. "Ab dem Alter von sieben Jahren haben wir fast alles zusammen gemacht - bis wir 1988 gemeinsam U21-Europameister wurden", bekundete Galtier später. Die beiden stammen aus dem gleichen Viertel, sind gleich alt - aber fußballerisch ungleich talentiert.

Cantona avancierte zum Superstar, als Stürmer auf dem Fußballplatz und als Schauspieler vor der Kamera. Sein Kosmos reicht von Manchester bis Hollywood. Innenverteidiger Galtier absolvierte immerhin hunderte Ligue-1-Spiele, die meisten davon für seinen Lieblingsklub, zu dem er nach seinem Karriereende als Co-Trainer zurückkehrte. Der Champions-League-Sieger von 1993 war in der Zwischenzeit tief gefallen, kämpfte in Galtiers ersten Saison im Betreuerstab 1999/00 um den Klassenerhalt.

Am 7. April ging es im heimischen Stade Vélodrome gegen die AS Monaco, die ihrerseits nur noch einen Sieg für den Titelgewinn brauchte. Marseille verhinderte mit einem 4:2-Triumph die vorzeitige Entscheidung, aber darum ging es nach dem Spiel nicht. Einziges Thema waren die Vorfälle in der Halbzeitpause. Monacos Marcelo Gallardo wurde mit Verletzungen am ganzen Körper ins Krankenhaus eingeliefert, so viel ist klar. Aber wie es dazu kam? Darüber kursierten verschiedene Versionen.

Nach langen Jahren als Assistent ist Christophe Galtier seit 2009 als Cheftrainer in der Ligue 1 tätig: Zunächst für die AS Saint-Etienne, dann für OSC Lille und OGC Nizza und seit vergangenen Sommer für Paris Saint-Germain.imago images

Gallardo und Galtier: Die Versionen gehen auseinander

Der prekären Tabellensituation und der südfranzösischen Rivalität entsprechend war die Stimmung im Stadion aufgeheizt - auf den Rängen, aber auch auf dem Platz. Marseille ging zwar 1:0 in Führung, geriet durch eine Rote Karte für Iván de la Peña aber in Unterzahl. Kurz vor der Pause herrschte zumindest numerisch wieder Gleichstand: Monacos Philippe Léonard musste mit Gelb-Rot ebenfalls runter.

Sein Teamkollege Gallardo war auf dem Platz in ein paar Scharmützel verwickelt. Gelb-vorbelastet machte er sich auf den Weg in die Kabine - und traf in den Katakomben auf Galtier. "Ich habe einen sehr heftigen Schlag in den Nacken gespürt. Galtier packte mich an den Haaren und am Nacken", berichtete Gallardo. In seiner Autobiografie beschuldigt er Galtier später, auch eine herumliegende Ananas nach ihm geworfen zu haben.

Schnell sollen sich weitere OM-Betreuer sowie -Spieler am Angriff an Gallardo beteiligt haben. Der damals 24-jährige Argentinier habe Schläge ins Gesicht und in den Bauch kassiert. "Wenn nicht drei von meinen Jungs dazwischen gehen, kommt Gallardo da nicht lebend raus", sagte Serge Marchetti, der damalige Sicherheitschefs des Stade Vélodrome, später der L'Equipe.

"Ich war wehrlos", berichtete Gallardo. "Es dauerte 20 Sekunden, aber es kam mir ewig vor." Monacos Sportdirektor Henri Biancheri schimpfte über "Lynchjustiz". Galtiers Version hörte sich gänzlich anders an: Gallardo habe ihn "beleidigt und geschlagen. Es war ein Reflex der Selbstverteidigung."

Sperren und Geldstrafen: Die Konsequenzen aus dem Eklat

Videoaufnahmen gibt es keine, weil die Kameras laut Gallardo "auf mysteriöse Art und Weise verschwunden" seien. Monegassische Kollegen oder Betreuer kamen nicht zu Hilfe, weil OM-Spieler vorsätzlich den Katakomben-Eingang abgesperrt hätten. "Es war offensichtlich, dass sie den Angriff vorbereitet haben", sagte Gallardo bei So Foot. Ein "sehr argentinisches Verhalten" sei das gewesen, ergänzte er in Bezug auf die durchaus ruppigen Verhältnisse in seinem Heimatland später scherzhaft: "Zum Glück war ich noch daran gewöhnt."

Während Gallardos Verletzungen in der Kabine behandelt wurden, zeigte ihm der Schiedsrichter seine zweite Gelbe Karte. Platzverweis. Gallardo konnte diese Entscheidung nach eigener Auskunft "gar nicht glauben". Weiterspielen hätte er aber sowieso nicht können, er musste ins Krankenhaus.

Die Verbands-Bestrafungen legten nahe, welche Version als glaubwürdiger eingestuft wurde. Gallardo wurde für ein Spiel gesperrt, Galtier für sechs Monate. OM bekam die bis dato höchste Geldstrafe der Verbandsgeschichte in Höhe von umgerechnet 75.000 Euro - und freute sich danach auch noch über das "milde" Urteil. "Das ist gut für uns, denn es hätte ja auch eine Platzsperre geben können", sagte Klubpräsident Yves Marchand.

Monaco kürte sich am darauffolgenden Spieltag zum Meister, Marseille schaffte den Klassenerhalt und Galtier kehrte nach abgesessener Sperre für einige Monate wieder in den Trainerstab zurück. Er beharrt weiterhin auf seiner Version, sagte 2014 etwa bei beIN: "Ich wurde hart sanktioniert, obwohl es keine Videoaufnahmen gibt. Ich habe noch nie jemanden geschlagen."

Der argentinische Regisseur Marcelo Gallaro spielte von 2000 bis 2003 für die AS Monaco. Die längste Zeit seiner aktiven Karriere verbrachte er bei seinem Heimatklub River Plate, den er als Trainer später zu zwei Copa-Libertadores-Titeln führte.imago images

Wie Christophe Galtier beim großen Rivalen landete

Seitdem entwickelte sich Galtier zu einem angesehenen Trainer. Nach Co-Trainer-Stationen in Griechenland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, England und Frankreich übernahm er 2009 den Chefposten bei der AS St-Etienne. In acht Jahren gewann er einen Ligapokal und formte angehende Superstars wie Pierre-Emerick Aubameyang oder Dimitri Payet.

Seinen nächsten Arbeitgeber OSC Lille führte Galtier zum Meistertitel, ehe er nach einer Saison bei OGC Nizza im vergangenen Sommer zu PSG wechselte. Ausgerechnet zum großen Rivalen seines Lieblingsklubs OM also. "Ich bin Marseillais", sagte er noch während seiner Zeit in Lille ganz offen und zwar in einem markanten südfranzösischen Akzent. "In einem Classique ist es unmöglich, nicht Anhänger von dem Verein zu sein, bei dem ich enorm viele tolle Momente erlebt habe."

Für viele OM-Fans dürfte Galtiers Wechsel zu PSG entsprechend einem Verrat gleichkommen. Womöglich ging es darum, als sich Galtier vergangenes Wochenende beim 3:0-Sieges gegen seinen Lieblingsklub mit einem OM-Fan direkt hinter der Trainerbank anlegte. PSG-Ersatzspieler hielten ihn gerade noch so zurück und verhinderten 23 Jahre später am selben Ort somit einen neuerlichen Gewalt-Eklat.

Eine Sperre bekam Galtier diesmal nicht, dafür muss er aber eine baldige Entlassung befürchten. Im Pokal scheiterte seine Mannschaft ausgerechnet an OM. Die Ligue 1 führt sie zwar noch an, leistete sich zuletzt aber ungewöhnlich viele Patzer. Ein Ausscheiden in der Champions League gegen den FC Bayern München am Mittwoch (Hinspiel 0:1) könnte Galtiers Ende als PSG-Trainer bedeuten.

Ligue 1: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.PSG2666:254163
2.Olympique Marseille2649:252455
3.Monaco2655:361951
4.Lens2640:211951
5.Rennes2645:291646
6.Lille2646:331345
7.Nice2634:221242
8.Reims2634:26840
9.Lorient2638:36240
10.Olympique Lyonnais2639:281139
11.Clermont2626:34-834
12.Toulouse2641:46-532
13.Montpellier2641:46-530
14.Nantes2627:34-728
15.Brest2627:42-1523
16.Strasbourg2630:44-1422
17.Auxerre2623:49-2622
18.Ajaccio2620:47-2721
19.Troyes2636:57-2120
20.Angers SCO2621:58-3710