Thiago Almada: Kommt der nächste argentinische Topstar aus der MLS?

Von Constantin Eckner
Thiago Almada, Lionel Messi
© getty

Momentan reift in Atlanta ein neues argentinischen Offensivtalent heran. Der 21-jährige Thiago Almada ging aus seinem Heimatland nicht den direkten Weg nach Europa, sondern legte einen Umweg über die Major League Soccer ein. Sein Spielstil auf dem Rasen ist derweil enorm geradlinig.

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Thiago Almada ist nur 1,71m groß, aber bereits zum zweiten Mal in seiner Karriere zu gigantisch für seine Umgebung. "Er entwuchs der argentinischen Liga, wechselte danach aber erstaunlicherweise in die MLS, für die er auch zu groß scheint", berichtet ein Scout, der Almadas Werdegang seit längerem verfolgt. Acht Scorerpunkten in fünf MLS-Partien für Atlanta United sowie sein Debüttreffer für die argentinische Nationalmannschaft im März hatten die internationale Aufmerksamkeit für den 21-Jährigen erheblich erhöht. Nun wird Almada mit einem Wechsel nach Europa in Verbindung gebracht, aber so manch einer wird trotzdem noch fragen: ¿quién?

Der junge Offensivspieler wuchs wie Carlos Tévez zwei Jahrzehnte zuvor im Problemviertel Fuerte Apache in Ciudadela unweit von Buenos Aires auf und begann als Kind seine Karriere ebenso wie Tévez bei Santa Clara. Doch schon mit fünf Jahren hatten die Scouts von Vélez Sarsfield, einem etablierten Erstligaverein und zehnfachen Meister aus der Hauptstadt, Almada entdeckt und an die Jugendakademie geholt. Bei Vélez spielte er sich durch die Nachwuchsteams bis zu seinem Profidebüt unter Trainer Gabriel Heinze im Alter von 16 Jahren. Heinze setzte Almada vornehmlich als Außenstürmer ein, während Nachfolger Mauricio Pellegrino das junge Eigengewächs als offensiven Mittelfeldspieler betrachtete.

Die Scorerquote Almadas stieg an bis auf acht in 20 Partien der Liga Profesional in seiner letzten Saison in Argentinien 2021. Es waren aber bei weitem nicht nur rudimentäre Statistiken, die viele Clubs auf Almada aufmerksam machten. Seine Spielweise, gerade seine enge und flache Ballführung (auf gutem Geläuf) sowie seine Dynamik im linken Halbraum, zogen potenzielle Abnehmer an. In Atlanta war in der ersten Jahreshälfte 2021 Gabriel Heinze Trainer und er soll bei der Clubführung rund um Darren Eales ebenso in höchsten Tönen von seinem ehemaligen Schützling berichtet haben.

Statt wie viele Landsmänner den Weg aus der argentinischen Liga nach Europa, vornehmlich nach Spanien oder Italien, zu nehmen, entschied sich Almada für einen Wechsel zu Atlanta United, das rund 16 Millionen Dollar an Vélez Sarsfield bezahlte. Almada wurde zum Rekordtransfer der MLS und direkt im zweiten Monat Stammspieler. Er steuerte in seiner ersten Saison 13 Scorerpunkte, davon sechs Tore, bei. Allerdings war die Mannschaft von Atlanta unter Heinze-Nachfolger Gonzalo Pineda nur bedingt konkurrenzfähig gegen die Top-Teams der MLS. Es reichte lediglich für Platz 11 von 14 in der Eastern Conference. In der nun angebrochenen Saison 2023 wartete Almada schon wieder mit krassen Aktionen auf und der Weg nach Europa scheint mittlerweile vorbestimmt.

Thiago Almada
© getty

Sucht immer das Tor und selten die Verlagerung

Jedoch bleiben bei allen spielerischen Glanzpunkten und Highlight-Treffern auch Fragezeichen auf und neben dem Rasen. Da wäre zunächst die Frage, inwieweit sich Almada aufgrund seiner kleinen und schmächtigen Statur in einer Top-Liga behaupten könnte. Er verfügt über einen dynamischen ersten und zweiten Schritt, wenngleich er kein endschneller Spieler ist, was während seiner Zeit auf der Außenbahn immer mal wieder deutlich wurde. Doch der kurze Antritt kann ihm in engen Zwischenräumen vor der Abwehr, in denen sich Almada gerne bewegt, die nötige Separation von Gegenspielern ermöglichen.

Zudem ist er als Spielertyp noch nicht vollends greifbar. Denn, obwohl Almada auf dem Papier ein offensiver Mittelfeldspieler ist, der beispielsweise auf der Zehn im 4-2-3-1 oder auch der vorgezogenen Acht im 4-3-3 spielen kann, ist er kein Strukturgeber oder dergleichen. Sein Blick geht in der Regel nach vorn auf der Suche nach einem Abschluss oder einem finalen Pass durch eine sich bietende Schnittstelle. Das kann vor allem in Diensten eines Umschaltteams oder einer vertikal ausgerichteten Ballbesitzmannschaft schon funktionieren, aber beispielsweise in der Bundesliga erwarten viele Cheftrainer von ihren Zehnern ein Auge für Gesamtlage auf dem Feld vor und im Moment der Ballannahme.

Almadas Vororientierung ist ausbaufähig und seine Entscheidungsfindung doch recht abschlussorientiert, was das Ausführen von "Key Passes" miteinschließt. Statistisch schneidet er zum Beispiel bei den Kolleginnen und Kollegen von FBref.com hervorragend ab. Mit fast 9 progressiven Pässen sowie 6,75 Schuss-kreierenden Aktionen pro 90 Minuten gehört er zu den obersten drei Perzentilen - allerdings in den sogenannten "Next 8 Competitions". Diese schließen die MLS, die brasilianische Serie A, die mexikanische Liga MX, die niederländische Eredivisie, die portugiesische Primeira Liga, die Copa Libertadores, die UEFA Conference League und die zweite englische Liga mit ein. Das ist nicht automatisch das Who's Who des Fußballs.

So stellt sich ohnehin eine zweite fußballerische Frage: Wie sind Almadas Leistungen gegen die teils zweitklassigen Defensivreihen in den USA zu bewerten? Die MLS hat in der Vergangenheit schon starke Offensivspieler hervorgebracht, aber oftmals erhielten diese ihren finalen Schliff in Europa, wie Alphonso Davies und andere Beispiele zeigen. Die Kollegen von Goalimpact versuchen mit ihrem mehrfach weiterentwickelten Modell die Leistungsfähigkeit von Spielern anhand deren Beteiligung am Torverhältnis zu messen, wobei unter anderem auch die Stärke der Gegner in die Bewertung einfließt. Die untenstehende Grafik sorgt keineswegs für Schnappatmung - ein Alphonso Davies lag bereits frühzeitig bei einem Peak-Goalimpact von 180.

Quelle: Goalimpact
© SPOX
Quelle: Goalimpact

Vergewaltigungsvorwürfe und rassistische Torjubel

Natürlich sind solche Zahlenmodelle nicht alles und viele Sportdirektoren wie auch Trainer werden in erster Linie jede Menge Potenzial im 21-jährigen Argentinier erkennen. Nicht zuletzt Nationaltrainer Lionel Scaloni ermöglichte ihm die Teilnahme an der Weltmeisterschaft, während welcher Almada im Gruppenspiel gegen Polen sechs Minuten zum Einsatz kam.

Bedenken kommen vielleicht noch auf wegen so mancher Schlagzeile, in der Almada verschuldet oder unverschuldet aufgetaucht ist. Im Februar 2021 wurden er sowie Mitspieler Miguel Brizuela beschuldigt, auf einer Party, die im Dezember des vorherigen Jahres von Juan Martín Lucero organisiert worden war, eine 28-jährige Frau vergewaltigt zu haben. Brizuela und Almada wurden daraufhin von Vélez suspendiert, aber eine Woche später nach dem Auftauchen "neuer Beweis, Einschätzungen und Aussagen" wieder zum Team zurückgeholt. Der Anwalt des angeblichen Opfers jedoch behauptete, dass sich an der Beweislage nichts geändert habe.

Dieser ganze Vorgang sorgte übrigens dafür, dass Atlanta den Transfer nicht schon früher im Jahr 2021 vollziehen konnte oder wollte. Nachdem der Transfer doch über die Bühne gegangen war, kamen wiederum Vorwürfe gegen Almada auf wegen eines von ihm gezeigten Torjubels, bei dem er seine Augen breit zog, was in Teilen Asiens sowie auch in den Asian Communities der USA als provokativ beziehungsweise rassistisch angesehen wird. Vélez Sarsfields Fans praktizieren diesen Torjubel zuweilen und argumentieren, dass man damit den Gewinn des Intercontinental Cups, dem Vorläufer der FIFA-Club-WM, 1994 gegen den AC Milan in Tokyo zelebriere.

Almada entschuldigte sich auf dem Instagram-Kanal von Atlanta United dafür und hat bislang davon profitiert, dass viele glauben, er würde weiter reifen und mit zunehmenden Alter nicht mehr für Kontroversen sorgen. Manche Clubs werden bei obligatorischen Background-Checks trotzdem genau hinschauen. Eigentlich kann Almada wie auch Tévez eine beeindruckende und inspirierende Geschichte schreiben. Aber dafür müssen zum einen die Leistungen auch nach einem sich anbahnenden Wechsel nach Europa stimmen und zum anderen unnötige Vorfälle der Vergangenheiten angehören.

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