Ralf Rangnick revolutioniert das ÖFB-Team: Bitte keine Gratulationen

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Nach Jahren der spielerischen Tristesse hat Ralf Rangnick das österreichische Nationalteam revolutioniert: Es spielt jetzt erfolgreich und ansehnlich - während man sich beim DFB womöglich ärgert.

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Vor ziemlich genau einem Jahr holte das ÖFB-Team in seinem dritten Spiel unter Teamchef Ralf Rangnick ein 1:1 gegen den amtierenden Weltmeister Frankreich. Lange hatte Österreich sogar geführt, erst in der Schlussphase traf Kylian Mbappé zum Ausgleich.

Mit Gratulationen empfing der ORF-Reporter den Teamchef anschließend zum Interview, aber die wollte er partout nicht annehmen. "Ich glaube nicht, dass es etwas zu gratulieren gibt", konterte Rangnick. "Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit diesem Ergebnis." Naja, passt doch: Immerhin ein Remis gegen den Weltmeister! Rangnick: "Entschuldigung, warum 'immerhin'?" Und damit war klar, worauf sich der ÖFB eingelassen hatte.

Nichts symbolisiert Rangnicks bisherige Arbeit in Österreich besser als diese Episode. Der schwäbische Perfektionist ist gekommen, um diese gemütlich-pessimistisch-melancholische Fußball-Nation zu erwecken. Der 64-Jährige will immer noch mehr und sich vor allem nicht damit abfinden, dass früher alles besser war. Damals, als das Wunderteam der 1930er-Jahre die Welt besiegte und die Cordoba-Helden von 1978 immerhin Deutschland.

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Österreich führt seine EM-Qualifikations-Gruppe an

Ein Jahr nach seinem Amtsantritt sind Rangnicks Erfolge beachtlich: Das ÖFB-Team spielt einen gleichermaßen erfolgreichen wie ansehnlichen Fußball. Mit zehn Punkten aus vier Spielen führt Österreich seine EM-Qualifikations-Gruppe an. Im Juni gelangen ein Remis in Belgien sowie ein 2:0 gegen Schweden. Die Zahlen zum Sieg: 21:3 Torschüsse, 63 Prozent Ballbesitz, 46.300 Zuschauer im Ernst-Happel-Stadion. Ausverkauft!

Österreich in der EM-Qualifikation: Die Tabelle der Gruppe F

PlatzTeamSpieleSUNToreDifferenzPunkte
1Österreich43109:3610
2Belgien32107:167
3Schweden31025:503
4Estland30122:6-41
5Aserbaidschan30122:10-81

Lange nach Anpfiff feierten die Fans noch ihre Mannschaft: "Oh, wie ist das schön! So was hat man lange nicht gesehen!" Rangnick hat in Österreich eine Fußball-Euphorie entfacht, wie es sie seit der Amtszeit von Marcel Koller nicht mehr gegeben hat. Unter dem Schweizer hatte sich das ÖFB-Team 2016 erstmals seit 18 Jahren aus eigener Kraft für ein großes Turnier qualifiziert, war dann aber kläglich in der Vorrunde gescheitert und hatte anschließend die WM-Qualifikation verpasst.

Kollers Nachfolger legte daraufhin die womöglich paradoxeste Amtszeit eines österreichischen Teamchefs der Geschichte hin. Der Deutsche Franco Foda führte das ÖFB-Team in die oberste Nations-League-Liga, bei der EM 2021 ins Achtelfinale und erreichte den besten Punkteschnitt aller Neuzeit-Teamchefs. Aber: Kein einziger in der Weltrangliste besser platzierter Gegner wurde besiegt, seine abwartende Spielweise verärgerte Fans wie Spieler gleichermaßen und das Happel-Stadion leerte sich rapide. Ganz dringend brauchte Österreich einen Modernisierer, einen Euphorisierer.

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Ralf Rangnick: Österreich statt Deutschland

In Deutschland sah es damals übrigens ähnlich aus. Mit dem Unterschied, dass nicht nur die Auftritte der Mannschaft enttäuschten, sondern auch die Ergebnisse. Bei der Suche nach einem Nachfolger für Joachim Löw wurde unter anderem ein gewisser Ralf Rangnick gehandelt. Tatsächlich bot er sich sogar offensiv für den Posten des Bundestrainers an.

"Das ist eine Stelle, die niemanden kalt lässt", sagte er damals bei Sky. "Im Moment bin ich frei." Seine Bewerbungsunterlagen beinhalteten als Referenz unter anderem die Erfindung des etablierten Bundesligisten TSG Hoffenheim sowie die maßgebliche Schaffung des Red-Bull-Imperiums, dazu Erfolge mit dem FC Schalke 04 und eine Viererketten-Lehrstunde im Fernsehen.

Statt den freien Rangnick zu holen, warb der DFB im Sommer 2021 aber lieber Triple-Trainer Hansi Flick vom FC Bayern München ab. Er konnte mit einer DFB-Vergangenheit aufwarten, was beim Verband ausgesprochen gut ankam. Rangnick arbeitete daraufhin einige Monate als Geschäftsführer für Lokomotive Moskau, ehe er überraschend Interimstrainer von Manchester United wurde. Dann klingelte sein Telefon: Auf der anderen Seite der Leitung war ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel.

Schöttel befand ein Interesse Rangnicks am österreichischen Teamchef-Posten eigentlich als "unmöglich", wie er später verriet. Aber probieren kostet ja nichts. Es sollte sich lohnen. Rangnick hatte tatsächlich Lust auf die Aufgabe: Er sah das unausgeschöpfte Potenzial der Spieler, von denen er viele von seiner langjährigen Tätigkeit im Red-Bull-Imperium kannte. Und vielleicht hatte er auch ein bisschen Lust, bei der EM in Deutschland irgendjemandem irgendetwas zu beweisen.

Ralf Rangnick: Kritik von den Legenden und ein starker Start

Nach Rangnicks Ankunft in Österreich ging es in den öffentlichen Debatten zunächst hauptsächlich um eines: seine Staatsangehörigkeit. Da kann einer noch so wunderbar Außenrist- und Schnittstellenpässe lehren, wenn er über den falschen Reisepass verfügt. Die nationalen Fußball-Legenden grantelten munter drauf los. "Ich hätte eine österreichische Lösung gerne gehabt", sagte beispielsweise Hans Krankl. Unabhängig davon lehnte der Cordoba-Held Rangnick generell ab, "weil er ein arroganter Mensch ist und weil er glaubt, den Fußball erfunden zu haben".

Peter Pacult äußerte sich ähnlich, ihm käme gar "das Kotzen, wenn ich das Wort RB-Stil höre". Pacult musste einst als Trainer von RB Leipzig gehen, weil er nach Ansicht des neuen Sportdirektors Rangnick für eben diesen sogenannten RB-Stil nicht tauglich sei. All die Legenden forderten eine Chance für ihren Hawara, das ist in Österreich sowas wie ein Spezl: den ewigen Fast-Teamchef Andreas Herzog. Er war damals übrigens gerade dabei, mit Admira Wacker Mödling aus der Bundesliga abzusteigen.

Trotz aller Skepsis legte Rangnick einen vielversprechenden Start hin, schlug Vize-Weltmeister Kroatien mit 3:0, verlor unglücklich gegen Dänemark und holte immerhin ein Remis gegen Frankreich. "Entschuldigung, warum 'immerhin'?"

Den Abstieg aus dieser starken Nations-League-Gruppe verhinderte Rangnick zwar nicht. In den sechs Spielen seitdem gelangen aber fünf Siege und das Remis gegen Belgien. Am Tag des WM-Eröffnungsspiels in Katar schlug Österreich Europameister Italien.

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Österreich: Erstaunliche Qualität in der Spitze und Breite

Abgesehen von den Ergebnissen ist vor allem beachtlich, wie Rangnick dem ÖFB-Team innerhalb kürzester Zeit eine mutige, spektakuläre Spielweise verpasste. Hohes Pressing, zielstrebige Angriffe, viele Abschlüsse. RB-Stil halt. Es ist der Komplett-Kontrast zum Foda-Fußball, die personell fast identisch besetzte Mannschaft ist nicht wiederzuerkennen. "Rangnick hat uns ein neues Denken beigebracht. Wir machen uns nicht mehr in die Hose", sagt Christoph Baumgartner.

Der Neu-Leipziger glänzte gegen Schweden mit einem späten Doppelpack. Ansonsten prägten aktuelle, ehemalige oder zukünftige Salzburger die im 4-4-2-System formierte Startelf. Keeper Alexander Schlager wechselt im Sommer vom LASK nach Salzburg, Stürmer Junior Adamu zieht unterdessen für 9,5 Millionen Euro zum SC Freiburg weiter. Die Schaltzentrale im Mittelfeld bildeten Xaver Schlager und Nicolas Seiwald.

"Diese Spieler nicht von der Leine zu lassen, macht ja keinen Sinn", findet Rangnick. "Wenn du denen sagst, wir bleiben hinten und warten, ob uns der Gegner freiwillig den Ball gibt, nimmst du ihnen jede Stärke." Jedes Wort muss seinem Vorgänger wie eine kleine Watschn vorkommen. Wild und jung kommt das ÖFB-Team aktuell daher, in der Startelf gegen Schweden war einzig Kapitän und Abwehrchef David Alaba von Real Madrid über 30 Jahre alt.

Österreich verfügt sowohl in der Spitze als auch in der Breite über eine erstaunliche Qualität. Marko Arnautovic und Marcel Sabitzer kamen gegen Schweden beispielsweise nur von der Bank. Kevin Danso von RC Lens, soeben in die Top-11 der Ligue-1-Saison gewählt, saß dort 90 Minuten lang. Konrad Laimer, Neuzugang des FC Bayern München, fehlte angeschlagen sogar gänzlich im Aufgebot.

Schöttel lobt Rangnick: "Sein Optimismus nimmt alle mit"

Ob Rangnick überrascht war vom Auftritt gegen Schweden, wurde er danach gefragt: "Nein. Ich wurde darin bestätigt, dass diese Spieler vor Mentalität, Gier und Siegeswillen nur so strotzen." Rangnick will Siege und gute Leistungen normal erscheinen lassen. Er bremst die Euphorie und macht sie damit nur noch größer. "Sein Optimismus nimmt alle mit", lobt Sportdirektor Schöttel.

Bereits im vergangenen Herbst wurden mögliche Quartiere für die EM in Deutschland besichtigt. Natürlich wird Österreich teilnehmen, das ist doch gar keine Frage. Apropos Quartier: In diesen Tagen übersiedelt Rangnick in ein Haus in der Nähe von Salzburg. "Dann bin ich endgültig Österreicher", scherzt er. Womöglich ärgert man sich hinter der Grenze mittlerweile, dass es so weit gekommen ist - denn unter Löw-Nachfolger Flick hat sich beim DFB bekanntlich nichts zum Besseren verändert.