Nicht nur beim FC Bayern München ein großes Missverständnis: Renato Sanches zurück auf null

Von Constantin Eckner
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Einst als Juwel für 35 Millionen Euro nach München geholt entwickelte sich die Karriere von Renato Sanches keinesfalls wie erhofft oder auch in Fußball-Europa erwartet. Vor wenigen Tagen ist er zu seinem Jugendverein Benfica zurückkehrt. Mit 26 soll es einen Neustart geben.

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Jeder Klub greift bei Einkäufen mal daneben. So natürlich auch der FC Bayern München. Im Sommer 2016 holte der deutsche Rekordmeister mit viel Tamtam den gehypten portugiesischen Mittelfeldspieler Renato Sanches.

Doch den Durchbruch schaffte der Portugiese nie, wenngleich mancher Auftritt - gerade als vorstoßender Sechser - vielversprechend aussah. Auch nach seiner Zeit in München, die infolge eines Leihgeschäfts zu Swansea und einer weiteren durchwachsenen Saison mit dem Verkauf nach Lille endete, war Sanches' Weg ein einziges Auf und Ab.

In Lille konnte Sanches sogar regelmäßig überzeugen und sich auf diese Weise einen Wechsel zu Paris Saint-Germain erspielen, wo sich der in Lissabon geborene jedoch wieder nur in der Reservistenrolle zurechtfinden musste. Das Leihgeschäft zur AS Rom in der vergangenen Saison war schlussendlich eine Art Abgesang auf einen möglichen Karrieredurchbruch - der Gipfel war wohl Sanches' 18 Minuten langer Auftritt gegen Bologna, als er bei neun Ballkontakten viermal den Ballbesitz herschenkte und von José Mourinho rasch wieder ausgewechselt wurde.

Sicherlich litt Sanches zuweilen auch darunter, dass der unter Druck geratene Cheftrainer etwas erratisch wirkte, wovon auch Rick Karsdorp ein Lied singen kann. Aber ganz grundsätzlich überzeugte Sanches niemanden weder in der ewigen Stadt noch in der Stadt der Liebe. Eine vereinbarte Kaufpflicht für Sanches griff nicht, weil er für die Roma zu wenig Einsätze absolvierte.

Folglich verlieh PSG den Portugiesen vor wenigen Tagen an Benfica. Sanches ist nun wieder dort, wo er einstmals als Elfjähriger begann und sich zum umworbenen Rohdiamanten entwickelte. Quasi im Gegenzug ging João Neves für mindestens 60 Millionen Euro von Benfica zu den Parisern. In Lissabon glaubt wohl niemand ernsthaft daran, dass Sanches aktuell ein adäquater Ersatz für Neves sein kann, zumal sich beide doch recht deutlich unterscheiden. Vielmehr wird sich Sanches nun mit Orkun Kökçü oder auch dem Ex-Mainzer Leandro Barreiro um einen Platz im Mittelfeld rangeln.

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Renato Sanches: Am stärksten in der Vorwärtsbewegung

Wie so oft stellt sich bei derartigen Karriereverläufen die Frage, was genau schiefgelaufen ist. Die simpelste Antwort wäre jene, dass die Bayern einstmals das Potenzial von Sanches falsch eingeschätzt haben. Allerdings war natürlich nicht nur der deutsche Rekordmeister an Sanches dran, viele Top-Klubs in Europa wollten den dynamischen Jung-Mittelfeldspieler haben. Zudem erhielt er 2016 den Golden Boy Award als bester U21-Spieler Europas und wurde sogar im EM-Finale als jüngster Spieler der Geschichte eingesetzt.

Allerdings war zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht klar, welche exakte taktische Rolle denn Sanches nun ausführen könnte. Für den klassischen Sechser mangelte es ihm an defensiver Wahrnehmung und auch Gespür für eine gesunde Mischung aus Pressing und dem Forcieren von Zweikämpfen.

Generell ist Sanches ein gutes Beispiel dafür, dass Spieler, die in einem dominanten Team wie kompetente Sechser wirken, nicht unbedingt die Grundlagen für ein konstant gutes Sechser-Spiel haben müssen. Wenn man defensiv wenig gefordert ist und zugleich vielfach im Ballbesitz ankurbeln kann, so führt das zuweilen zu Falscheinschätzungen.

Am stärksten wirkte Sanches wirklich als antreibender Halbspieler vorm Sechserraum, wenn er sich auch regelmäßig in Richtung Strafraumgrenze bewegen konnte. Problematisch war jedoch schon immer, dass er für seinen explosiven und antreibenden Stil eigentlich zu verletzungsanfällig scheint. Die Zeiträume, in denen er sich nach verletzungsbedingten Rückschlägen wieder zur Top-Form arbeiten musste, schienen in den vergangenen Jahren auch immer länger zu werden.

Immer wieder auftretende Adduktorenbeschwerden, Oberschenkelverletzung und allerlei muskuläre Probleme tun selbstverständlich keinem Körper gut. Hinzu kommt der mentale Aspekt, wenn man die Erwartungen nicht erfüllt und gefühlt immer weiter ins Hintertreffen gerät.

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Renato Sanches: Wiedergeburt unter Roger Schmidt?

Insofern ist es vielleicht in der Tat der beste Weg, zur Wiege zurückzukehren. Bei Benfica wird Sanches sogar wieder die Rückennummer 85 tragen, die einst schon sein Trikot zierte, als er erstmals im Estádio da Luz das Publikum für sich begeistern konnte. Zugleich spielt Benfica unter der Leitung von Roger Schmidt einen dominanten Fußball mit durchschnittlich fast 60 Prozent Ballbesitz und jeder Menge kontinuierlichem Raumgewinn.

In der Vorsaison holte Stadtrivale Sporting den Meistertitel, tat dies aber auch bei einer Überperformance in puncto xG von 16,8 Toren, während Benfica mehr als fünf Tore unter dem eigenen xG-Wert lag.

Natürlich sagen die Werte noch nicht so viel über die anstehende Saison aus, weil sich die Kader nun einmal verändern. Aber Benfica ist offensiv produktiv, beherrscht vielfach Spiele und kann über schnelle Ballgewinne gegnerische Angriffe unterbinden. Sanches muss folglich nicht allzu viel in einer statischen Doppelsechs verteidigen, sondern kann sich über die Halbräume nach vorn bewegen. Genau in diesen Gefilden und im Kontext einer solchen Spieldynamik fühlt er sich am wohlsten - wie vielleicht auch ganz generell in seiner Geburtsstadt, die nun der Ort einer fußballerischen Wiedergeburt werden soll.

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Renato Sanches: Seine Stationen, seine Statistiken

KlubSpieleToreAssistsMinuten
LOSC Lille917105843
FC Bayern München53231781
Benfica35212697
Paris Saint-Germain272-905
Swansea City15-1859
AS Rom121-262