West Ham United: Hammerfall

Von Jochen Tittmar
Absteiger West Ham United steht in der 2. Liga vor einer unsicheren Zukunft
© Getty

Eine Mannschaft, die keine ist und ein Trainer, dem keiner folgte - West Ham United beendet ein desaströses Jahr in der Premier League mit dem verdienten Abstieg. Die Zukunft der Hammers hängt nun am seidenen Faden.

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Der Abstieg war seit einigen Stunden endgültig besiegelt, doch West Ham United schaffte es am vergangenen Samstag auch nach Spielschluss, ein jämmerliches Bild abzugeben. Das abendliche Dinner im Grosvenor Hotel, bei dem in bedächtiger Atmosphäre das Geschehene verarbeitet werden sollte, geriet vollkommen aus den Fugen.

Skandal beim Abstiegsdinner

Stürmer Demba Ba verweigerte einem anwesenden Fan den Autogrammwunsch mit den Worten "Ich bin zu müde". Sein Gegenüber erwiderte, dass er 60.000 Pfund für eine Loge bei diesem "Scheiß-Verein" hinblättere, rastete aus und beschimpfte den Senegalesen nach allen Regeln der Kunst.

Es flogen Tische und Stühle, die Polizei musste einschreiten. Was blieb, war ein beschämender Auftritt auch außerhalb des Fußballfeldes.

Am Nachmittag hatten die Hammers trotz einer 2:0-Führung in Wigan das letzte Fünkchen Hoffnung auf die Rettung. In der kommenden Saison heißen die Gegner nun also Doncaster, Watford oder Millwall.

"Avram Grant - Millwall Legend"

Apropos Millwall: Fans des rivalisierten Klubs flogen nach Wigans Ausgleichstor zum zwischenzeitlichen 2:2 mit einem Flugzeug über das DW Stadium und präsentierten in Vorfreude auf das Derby im nächsten Jahr ein Banner mit der Aufschrift "Avram Grant - Millwall Legend".

Der Coach, der keine Stunde nach Schlusspfiff die Quittung für eine desaströse Spielzeit bekam, konnte einem in seiner Zeit bei den Hammers regelrecht leid tun.

Kurios, wie lange der Verein an diesem Trainer festhielt, der schon zu Beginn seiner Amtszeit zu einem Spielball boulevardesker Berichterstattung verkam. So sickerten teils unglaubliche Anekdoten durch. Es war bekannt, dass der schweigsame Israeli sein Amt relativ passiv ausübte und die Spieler an der langen Leine ließ.

Sullivan: Grant-Verpflichtung ein Fehler

Die neueste Kostprobe: Ein Mittelfeldspieler habe vor dem Spiel gegen Chelsea gefragt, ob gegen Michael Essien und Frank Lampard Pressing gespielt oder im Raum verteidigt werden solle. Grant entgegnete, dass dies die Spieler auf dem Feld eigenständig entscheiden müssten.

Klub-Besitzer David Sullivan gestand umgehend ein, dass die Verpflichtung Grants eine schlechte Wahl gewesen sei. "Die Resultate sprechen für sich. Die Mannschaft agiert letztlich nur nach der Taktik und Aufstellung, die ihr aufgetragen wurde", so Sullivan.

Wieso der Coach dennoch den Verein sehenden Auges in die Championship führen durfte und nicht schon viel früher die Reißleine gezogen wurde, verriet Sullivan nicht.

Fall Tevez ein Klotz am Bein

Wohl hängt dies mit der prekären Finanzsituation des Klubs zusammen. Der "Grundstein" für die aktuell katastrophalen Zukunftsprognosen wurde Mitte 2006 gelegt. Damals kaufte West Ham Carlos Tevez und Javier Mascherano. Kurze Zeit später übernahm ein isländisches Konsortium den Verein und feuerte massig Geld in die Umlaufbahn.

Das Gehaltsbudget stieg innerhalb von zwei Jahren von 30,9 auf 63,3 Millionen Pfund an. Schätzungen besagen, dass die Transfers von Freddie Ljungberg und Kieron Dyer insgesamt 34 Millionen Pfund verschlangen. Das ist ungefähr der Betrag, den West Ham an Zuschauereinnahmen bekommt - allerdings für zwei komplette Spielzeiten.

Letzten Endes ist es aber der Fall Tevez, der in einem langwierigen Streit um dessen Transferrechte gipfelte und dem Verein die Luft zum Atmen nahm. Daran haben die Hammers bis heute zu knabbern. Offenbar stehen weiterhin zwei Raten der 21-Millionen-Pfund-Abschlagszahlung an Sheffield United aus.

"Schlechteste Finanzsituation des Landes"

Das Konto des Vereins offenbart zudem, dass United in den vergangenen vier Jahren 51,1 Millionen Pfund an "Sonderausgaben" abdrücken müsste - zum Großteil Nachwehen des Tevez-Deals. Der Verein schreibt seit 2006 rote Zahlen. Die Gesamtschulden sollen um die 100 Millionen Euro betragen.

Daran konnten auch Sullivan und David Gold, die den Klub im Januar 2010 aus der Konkursmasse der isländischen Bank "Straumur" übernahmen, nur wenig ändern.

"In der zweiten Liga würden uns 40 Millionen Pfund im Budget fehlen", sagte Sullivan bereits vor einigen Wochen und fügte kürzlich hinzu: "Die Fans sollen wissen, dass dieser Klub in der schlechtesten Finanzsituation aller Vereine des Landes steckt."

O'Neill ist Trainer-Wunschkandidat

Gleichzeitig versprach Sullivan, seine Privatschatulle öffnen zu wollen, um den Betriebsunfall schnellstmöglich zu korrigieren.

Kurzfristig hat die Suche nach einem neuen Trainer höchste Priorität. Der soll nicht nur alsbald vorgestellt werden, sondern selbstredend den sofortigen Wiederaufstieg schaffen und darüber hinaus die viel zitierte Kontinuität in den maroden Arbeiterverein bringen.

Martin O'Neill, schon vor Grants Einstellung Wunschkandidat Nummer eins, soll auch diesmal der Favorit der Führungsriege sein.

Personeller Aderlass wahrscheinlich

Sullivan sprach zudem eindringlich vom Teamgeist, der neu befeuert werden müsse. Dass dieser brach lag, konnte jeder Trainingsbesucher an der Saville Road zu genüge beobachten. "BBC"-Experte Lee Dixon war einer von ihnen. Was er dort sah, beschrieb er als "totales Chaos. Spieler stritten miteinander, einige schmollten."

Welche Mannschaft dem Teamgeist im kommenden Jahr frönen wird, steht naturgemäß in den Sternen.

Auch wenn Sullivan Optimismus verbreitet, werden Keeper Robert Green, Scott Parker (Englands Fußballer des Jahres), Carlton Cole, Ba, Mark Noble, James Tomkins und nicht zuletzt Thomas Hitzlsperger den Verein ziemlich sicher verlassen.

Die Leihspieler Robbie Keane (Tottenham) und Wayne Bridge (Manchester City) kehren zu ihren Vereinen zurück. Von sechs Spielern, darunter Verteidiger Matthew Upson und Mittelfeldspieler Dyer, laufen die Verträge aus.

West Ham braucht ein neues Konzept

Es dürfte feststehen: West Ham United muss und wird ein neues Gesicht bekommen. Jetzt, da die allumfassende Lähmung der Abstiegsangst nachlässt, stehen die Hammers in der Pflicht, eine nachhaltige Vereinsphilosophie für die kommenden Jahre auszuarbeiten. Der Schlingerkurs der letzten Jahre muss durch eine neue Identität ersetzt werden.

Das fängt bei der Transferpolitik an. Sullivans Geld wird keine Spieler anlocken, die den Qualitätsverlust der Abgänge kompensieren. Nach dieser Saison ist dies allerdings auch nicht zwingend notwendig.

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