Ein Leben für die Reds

Von Sebastian Schramm
He will never walk alone - Liverpools Steven Gerrard
© Getty

Ein Leben lang ein Verein - Steven Gerrard ist beim FC Liverpool bereits mit 31 Jahren unsterblich und ist auch im Carling Cup bei Manchester City (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) der Hoffnungsträger der Reds. In den Straßen des Liverpooler Vororts Whiston begann seine Karriere, als Fußballer und als Leader. Heute gehört zu den besten englischen Mittefeldspielern aller Zeiten - und hat noch ein großes Ziel.

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Whiston, Merseyside, England. Fast schon peinlich berührt steht Steven Gerrard mit seiner Lehrerin Gill Morgan auf dem Hof seiner alten Schule. Wahrscheinlich fühlt er sich wie jeder Erwachsene, der alte Geschichten aus der Kindheit erzählt bekommt.

"Ich weiß noch, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Er war so klein und schmächtig. Trotzdem war er in seiner Klasse der absolute Star. Mir blieb fast gar nichts anderes übrig, als ihn zum Kapitän der Schulmannschaft zu machen", schwelgt Morgan in Erinnerung.

Der geborene Anführer

Sie macht eine kleine Pause, um die nächsten Worte mit einer ungeheuren Nachhaltigkeit im Raum stehen zu lassen: "Er war so ein toller Kapitän. Nie hat Steven seine Mitspieler kritisiert. Er hat seinen Mitspielern einfach gezeigt, wie sie es besser machen können, damals wie heute."

Dass Gerrard in jeder seiner Mannschaften zum Anführer wurde, vielleicht hat er es dem vielen Gebolze auf den Straßen Liverpools zu verdanken.

"Jeden Tag habe ich auf der Straße vor dem Haus meiner Eltern Fußball gespielt. Ich habe mit Freunden einfach irgendwelche Dinge vom Boden aufgelesen und daraus Tore aufgebaut. Und dann ging es los. Vor der Schule und nach der Schule", erinnert sich Gerrard.

Seine ersten halbwegs professionellen Gehversuche im Fußball hatte er bei den Whiston Juniors, seinem Heimatverein. Lange blieb sein ihm gegebenes Talent nicht unbemerkt. Bereits im Alter von acht Jahren wurde der FC Liverpool auf ihn aufmerksam.

Das gewisse Etwas

Steve Heighway, Scout der Jugendabteilung der Reds, wusste, dass er ein Juwel gefunden hatte: "Ich habe sofort gesehen, das Steven dieses gewisse Etwas hatte. Es waren diese zehn Prozent, die später den Riesenunterschied ausmachen."

Für Gerrard ging ein Traum in Erfüllung. Zweimal in der Woche, dienstags und donnerstags, konnte er beim FC Liverpool trainieren. Für ihn waren die beiden Einheiten "wie Weihnachten".

Doch trotz des schnellen Aufstiegs: es gab Zeiten, wo sich die Eltern Gerrards Sorgen gemacht haben. Die schnelllebige Welt des Fußballs hat schon manches Talent fallen gelassen. Auch ihr Sohn war vor einem möglichen Absturz nicht gefeiht.

"Die Trainer sagten mir immer, ich müsse an meiner Physis arbeiten, sonst schaffe ich es nicht. Natürlich fragst du dich manchmal, ob du irgendwann überhaupt dieses Level erreichen kannst und ob das alles so klappt, wie du es dir vorstellst", gibt er heute offen zu.

Schneller Aufstieg - mit Houllier

Für Heighway zwar nachvollziehbar, jedoch dachte er viel weiter als wohl die Meisten: "Ich weiß noch, ich habe mit seiner Familie gesprochen und sie fast angefleht: 'Vertraut mir.' Er kann der Spieler werden, der für den FC Liverpool und irgendwann einmal für England aufläuft. Seitdem er 14 Jahre alt ist, habe ich ihm das jeden Tag erzählt."

Tatsächlich ging es schneller voran, als es sich die Verantwortlichen und auch Gerrard selbst vorstellen konnten. Bereits mit 19 Jahren konnte er der Reserve Liverpools seinen Stempel aufdrücken. Und auch die Kapitänsbinde der englischen U 18 hatte er bereits inne.

Clinch mit Paul Ince

Es scheint wenig verwunderlich, dass Gerard Houllier, 1998 als Trainer der Reds verpflichtet, ihn möglichst schnell an die Profis heranführen wollte. Für Gerrard noch immer nicht greifbar: "Er hat mich ein paar Spiele beobachtet und auf einmal stand ich mit den Profis auf dem Platz. Ich bin so dankbar, dass er mir diese Chance gegeben hat."

Einfach war es dennoch nicht. Er war mit Abstand der Jüngste und versuchte sich in der wohl härtesten Liga der Welt Respekt zu verschaffen. Mit unangenehmen Folgen: "Im Training hat Steve mal Paul Ince abgegrätscht. Das war ziemlich hart. Sie können sich vorstellen, wie Paul danach reagiert hat", feixt sein Teamkollege Jamie Carragher.

Anfangs unter den Teamkollegen noch belächelt, konnte er sich vor allem durch besonderen Trainingseifer auszeichen. Der damalige Co-Trainer Phil Thompson war beeindruckt, dass "Steve mit nicht mal 20 Jahren ganze Trainigseinheiten dominiert hat".

"Ich will den Ball eigentlich immer schnell loswerden"

Einen großen Vorteil konnte er sich dank seiner unheimlichen Felixibilität und Präsenz erarbeiten. Ob Außenverteidiger, zentraler Mittelfeldspieler oder Winger: überall schien Gerrard die an ihn gestellen Anforderungen zu erfüllen, obwohl er sich selbst eher als den nüchternen Verteiler sieht: "Eigentlich will ich den Ball immer schnell loswerden, ein Dribbler bin ich schon gar nicht."

Seine ersten Ausrufezeichen - auch auf europäischer Bühne - setzte er 2001. Mit Liverpool holte er das Pokal-Triple, bestehend aus Ligapokal, FA-Cup und dem UEFA-Pokal. Immer weiter schien er in die Rolle des Leaders hineinzuwachsen - und das mit Anfang 20.

Keegan und Gerrard - Verarsche

Seine erste Einladung zur Nationalmannschaft wird er nie vergessen. Der damalige Three-Lions-Coach Kevin Keegan rief ihn mit unterdrückter Nummer an und stellte sich anstandshalber mit Vor- und Nachnamen vor. "Ich dachte, da will mich jemand verarschen. Ich musste lachen. Kevin Keegan? Das kann doch gar nicht sein! Aber nach ein paar Sekunden erkannte ich seine Stimme und er meinte, dass ich reif genug bin, für England aufzulaufen. Ein Traum ging in Erfüllung", schildert Gerrard.

Zu dieser Zeit passte es ins Bild, dass er bereits mit 23 Jahren zum Kapitän seines Klubs wurde. Die Meisten hatten damit gerechnet, in Sami Hyppiä den richtigen Kapitän gefunden zu haben - auch Gerrard selbst. Fast schon konsterniert nahm er sein neues Amt an. Kapitän bei dem Verein zu sein, für den man sein ganzen Leben spielt, ist wohl das Ziel eines jeden Spielers, findet er.

Hamann beeindruckt

In den Jahren ist Gerrard in die Aufgabe hineingewachsen. Sein Teamkollege Dietmar Hamann war beeindruckt: "Ich kenne kaum einen besseren Kapitän als ihn. Steven will immer, dass du das Beste aus dir rausholst. Sein Anspruch, jedes Spiel zu gewinnen, färbte auf uns alle ab."

Zwei Jahre später sollte er sich und die Mannschaft auf den Olymp bringen.

Keiner konnte ahnen, dass die Saison 2004/05 eine der wohl verrücktesten Saisons aller Zeiten werden würde. Im Sommer wurde mit Rafael Benitez ein neuer Coach verpflichtet, die Chancen sofort Erfolg zu haben, schienen nach der erfolgreichen Zeit unter Houllier eher gering.

Verrückte CL-Saison

Doch die in der Champions League erfolgreichste englische Mannschaft sorgte nach einer bereits völlig verrückten Saison für das wohl denkwürdigste Finale aller Zeiten.

"Wir waren schnell aus dem Titelrennen in der eigenen Liga. Wir haben uns eigentlich nur noch auf den Europapokal konzentriert. Und da waren wir einfach schwer zu schlagen. Kein Gegner mochte es, hier an der Anfield Road zu spielen. Die Atmosphäre damals war atemberaumend", erzählt Gerrard nicht ohne Stolz.

Das denkwürdigste Finale

Am 25. Mai 2005 trafen in Istanbul der FC Liverpool und AC Milan aufeinander. Nach dem 3:0-Rückstand in der ersten Hälfte kroch der Reds-Kapitän vom Platz. "Ich bin in die Kabine gegangen und habe abgeschlossen mit dem Spiel. Das war es."

Viel wurde spekuliert, was in der Halbzeitpause in der Kabine der Engländer vor sich ging. Coach Benitez wurde nicht laut. Viel mehr erzählte er im ruhigen Ton von der so tollen Saison in Europa, über die schönsten Tore, über all die mitgereisten Fans, die sich die Mühe gemacht hatten, ihrem Verein in die Türkei zu folgen.

Die zweite Halbzeit und die Verlängerung stehen wohl wie keine andere Zeit für den FC Liverpool - und für Gerrard. Frei nach dem Motto "You'll never walk alone" wurde der italienische Krösus von englischer Handarbeit niedergerungen.

"Ich bin einfach losgelaufen"

"Nach den ersten zwei Toren wusste ich, dass wir das Spiel gewinnen. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass man sich nach Gegentreffern erstmal ordnen muss. Als wir dann das Elfmeterschießen gewonnen haben, ich weiß gar nicht mehr, was ich gemacht habe. Ich bin einfach losgelaufen."

Der CL-Titel: Gerrard war am Ziel angekommen. Es gibt wohl nichts Schöneres, als mit seinem Heimatverein den prestigeträchtigsten Vereinspokal der Welt zu gewinnen.

Doch in der so glorreichen Stunde des Triumphes machte sich in Gerrard ein ungutes Gefühl breit. Seine Mission war erfüllt. Wie konnte er sich motivieren? Er hatte seinen Verein zurück an die Spitze geführt.

Chelsea - mehr als ein Gerücht

"Es gab immer ein gewisses Interesse vom FC Chelsea. 2004 nach der EM, 2005 nach dem Titel. Ich war kurz davor zu wechseln. Ich hatte manchmal das Gefühl, der Verein würde lieber mehr Geld sehen, als das ich hier bleibe. Aber irgendwie stand ich nie zu hundert Prozent hinter einem Wechsel. Ich bin geblieben und das nicht ohne Grund. Ich möchte dem Verein etwas zurückgeben, noch viele Titel holen", unterstreicht Gerrard.

Geblieben ist er bis heute, auch wenn er in den letzten Jahren durch tiefe Täler schreiten musste. Die Reds konnten sportlich nicht mehr an die gezeigten Leistungen anknüpfen. Sei es in der Premier League, oder in Europa. Zum allen Überfluss verletzte sich der Kapitän im März 2011.

Verletzung & und ein Traum

"Ich war am Boden, noch nie war es mir so schlecht als Fußballer gegangen", erzählt der mittlerweile 31-Jährige, der sich mit langwierigen Leistenbeschwerden herumgeplagt hatte: "Die letzten sechs Monate waren ohne Zweifel die härtesten meiner Karriere. Ich hatte Zweifel. Viele Gedanken ging mir immer wieder durch den Kopf."

Den Anschluss konnte er wieder herstellen, auch weil der Verein, die Fans und seine Familie immer an ihn geglaubt haben. Wohl nie zu vor spürte er, dass er niemals alleine durch schwere Zeiten gehen würde. Denn ein Traum bleibt bis heute: die englische Meisterschaft.

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