Im Stadtduell zwischen dem FC Chelsea und dem FC Arsenal steht es 3:3. Es ist das packendste Derby seit langem, die Stamford Bridge vibriert, auf den Rängen ächzen und stöhnen die Fans. Es ist eines jener Spiele, die lange in Erinnerung bleiben. Und es wird das Spiel, das den letzten Beweis liefert: Robin van Persie ist der derzeit beste Spieler der Premier League.
Fünf Minuten vor dem Ende landet ein Chelsea-Fehlpass in seinen Beinen. Van Persie rennt los, unaufhaltsam schneidet er durch die entblößte Abwehr der Blauen, spielt Torhüter Petr Cech aus und entscheidet die Partie. Sein 5:3 wenige Minuten später ist sein drittes Tor an diesem Nachmittag. Ein van Persie ist schlicht zu viel für den FC Chelsea.
Seit 2004 ist Robin van Persie ein Gunner. So gut wie jetzt war er allerdings noch nie. Seine Torquote ist überirdisch: Seit dem 1. Januar 2011 erzielte in allen Wettbewerben 40 Tore in 42 Spielen, in der Premier League gehen knapp über 50 Prozent aller Arsenal-Treffer auf sein Konto.
Nach Chelsea erlegte er noch Norwich, Borussia Dortmund und am vergangenen Wochenende den FC Everton im Alleingang. In England kursiert längst die Vokabel "Robin van Arsenal".
Vom Veletzungspech geplagt
Das war aber nicht immer so. Als van Persie von Feyenoord Rotterdam aus der niederländischen Eredivisie für rund 4,5 Millionen Euro nach London wechselte, war er erst 21 Jahre alt. In der vorangegangenen Saison stand er für Feyenoord lediglich vier Mal auf dem Platz (1 Tor).
Außerdem haftete ihm der Ruf an, ein durchaus schwieriger Charakter zu sein. Bert van Marwijk, heute sein Trainer in der niederländischen Nationalmannschaft, war sein Entdecker in Rotterdam - und schmiss ihn 2004 aus dem Team. "Sein Verhalten macht es mir unmöglich, ihn weiterhin in der ersten Mannschaft zu behalten. Bis auf weiteres spielt er für die Reserve", erklärte van Marwijk nach einigen Eskapaden des Spielers seinen Entschluss.
Arsenal war in jungen Jahren schon ein erster Neuanfang für van Persie. Er ließ sein Können aufblitzen, für eine feste Rolle im Ensemble reichte es aber nicht. Dabei war sein Start im Trikot der Gunners vielversprechend. In 41 Einsätzen erzielte er insgesamt zehn Tore. Nicht schlecht für einen zuvor ausgemusterten 21-Jährigen.
Ein großes Problem war aber seine Anfälligkeit für Verletzungen aller Art. Muskeln, Bänder, Knochen, das komplette Potpourri körperlicher Gebrechen. 2007 brach er sich den Mittelfuß - beim Torjubel. Zwei Jahre später knackte es bei einem läppischen Freundschaftsspiel mit den Niederlanden im Sprunggelenk: fünf Monate Pause.
Als Vergewaltiger beschuldigt
Schon weit davor wurde ein faustdicker Skandel öffentlich. Der Stürmer wurde von einer niederländischen Schönheitskönigin beschuldigt, sie in einem Hotelzimmer vergewaltigt zu haben. Zwei Wochen saß van Persie in Untersuchungshaft, bis die Anklage dann doch fallen gelassen wurde. "Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Es war so wahnsinnig heiß in meiner Zelle, dass ich kurz davor war, durchzudrehen", erinnerte er sich an seine Zeit im Gefängnis.
Zum Glück für van Persie gab es bei den Gunners aber jemanden, der ihn nie fallen lässt. Trotz aller sportlicher und privater Rückschläge setzt Trainer Arsene Wenger weiter auf ihn. Und spätestens seit 2010 zahlt er das auch konstant mit starken Leistungen zurück. In der Saison 2010/11 erzielte er schon 18 Treffer in 25 Premier-League-Spielen. In der Champions League netzt er in drei Spielen zwei Mal und für sein Heimatland macht er sich in der EM-Quali mit sechs Treffern in sechs Begegnungen unverzichtbar.
Der mit dem "Schokoladenfuß"
Der Sohn eines Bildhauers und einer Malerin hat Künstlerbut in sich. Er selbst nennt seinen linken Fuß den "Schokoladenfuß". Für ihn war von Beginn an klar, dass er der etwas andere Künstler in seiner Familie werden sollte: "Ich konnte weder zeichnen noch Kunstwerke schaffen. Aber ich glaube, dass ich ein Künstler am Ball bin. Ich versuche immer das Ultimative zu schaffen, das Maximum zu erreichen. Es ist eine Aufgabe, die mich immer wieder neu reizt."
Sein einziges Manko war bislang immer, dass er "der linksfüßigste Spieler" sei, den Wenger je trainiert habe. Beim 2:1-Sieg gegen Norwich funktionierte er sein Standbein aber plötzlich zur Waffe um. Ein lässiger Lupfer mit rechts brachte den Sieg. Ex-Kollege Martin Keown fasste in seiner Kolumne in der "Daily Mail" zusammen: "Die Verteidiger haben nun keine Ahnung mehr, was er machen wird."
Van Persie selbst bleibt bescheiden. Er weiß, dass er in seinen jungen Jahren viel Mist gebaut hat: "Mit 21 sieht die Welt oft sehr einfach aus und plötzlich realisiert man, dass nicht immer alles so läuft, wie man das will. Ich habe auch Fehler gemacht. Ich war jung, ich war unreif, sehr ambitioniert und einfach viel zu unruhig."
"Im Moment ist er Weltklasse"
Diese Zeiten sind lange vorbei. Den Ritterschlag hat er kürzlich im "Telegraph" von seinem Mitspieler Mikel Arteta erhalten: "Wir alle wissen, wie gut er ist. Robin macht die Tore und bereitet sie vor. Er macht den Unterschied. Im Moment ist er Weltklasse. Manchmal sieht es so aus, als würde er nicht richtig bei der Sache sein. Doch dann macht er die anderen Spieler nass und erzielt ein unglaubliches Tor."
Trainer Wenger, der nun wahrlich viele exzellente Talente gesehen hat in seiner Laufbahn, formuliert es so: "Er trifft unter Druck in einem Sekundenbruchteil die richtigen Entscheidungen, das macht ihn herausragend."
Bald so gut wie Messi und Ronaldo?
Im Interview mit "Sky Sports" antwortet sein Coach auf die Frage, ob van Persie mit Messi oder Cristiano Ronaldo mithalten könne: "Wenn er so weitermacht: auf jeden Fall!"
Inzwischen ist van Persie zum Leader der Arsenal-Truppe geworden. Nach dem Weggang von Cesc Fabregas zum FC Barcelona trägt er die Kapitänsbinde und damit die Verantwortung für sein Team.
Es scheint so, als hätte er das Kapitel des aufmüpfigen Super-Talents endgültig beendet. Er ist inzwischen zu einem Spieler von Weltklasseformat gereift. Auf dem Platz fällt er auf, ansonsten hält er sich zurück. Seine Mitspieler können sich an ihm aufrichten.
"Wenn ich einen Fußballplatz betrete, dann ist das meine Leinwand", hat er einmal gesagt. Heute ist er der größte Künstler seiner Familie. Einer der Moderne.
Robin van Persie im Steckbrief