Seine Freunde sprechen in den höchsten Tönen von ihm, aber die Öffentlichkeit sieht ihn eher skeptisch. Er brachte es fertig, sich einen ganzen Kontinent zum Feind zu machen und wird in Holland als Kannibale verschmäht. Luis Suarez ist der Mann mit den zwei Gesichtern.
Februar 2007 - Uruguay bestreitet ein Freundschaftsspiel gegen Kolumbien. Mit dabei: Youngster Luis Suarez (20) von Nacional, Debütant in der Celeste.
Er spielt von Beginn an, sieht das Ende aber nicht mehr vom Spielfeld - Ampelkarte in der 85. Minute. Ein Ende, das im Nachhinein wie eine Vorsehung wirkt.
Kürzlich gewann Suarez mit dem FC Liverpool den Carling Cup und damit den ersten Titel der Reds seit fünf Jahren. Für ihn sicher Genugtuung nach einer turbulenten Zeit.
Der Fall Evra
Als er Anfang 2011 zu den Reds kam, lief es zunächst gut. Doch dann leistete er sich einen Aussetzer beim Spiel in Fulham - er zeigte dem Publikum als Reaktion auf Schmähgesänge den Mittelfinger. Schließlich folgte die viel diskutierte Begegnung mit Patrice Evra von ManUnited.
Der Franzose bezichtigte den Uruguayer einer rassistischen Beleidigung auf dem Spielfeld. Suarez soll Evra "Negro" oder "Negrito" genannt haben, was der Beschuldigte später auch zugab. Seinen Angaben zufolge sei dies aber keine Beleidigung gewesen, sondern eine in seiner Heimat gängige Koseform für farbige Menschen.
Diese Erklärung stieß bei der FA auf taube Ohren. Man sperrte Suarez für acht Spiele - der Tiefpunkt in der Karriere des Uruguayers. Es gab jedoch noch andere einschneidende Momente.
Europa als Herzensangelegenheit
Luis Alberto Suarez Diaz begann im Jahr 2006 sein Abenteuer Europa. Es kam ihm gelegen, dass der FC Groningen den Jungstar von Nacional Montevideo haben wollte, denn seine Jugendliebe zog bereits ein Jahr zuvor beruflich bedingt nach Barcelona.
2007 ging es für Suarez zum Vorzeigeklub Ajax. Dort wurde er schnell zum Leistungsträger und Topscorer. In der Saison 2009/10 avancierte er sogar zum Torschützenkönig und Fußballer des Jahres.
Es folgte sein erster großer internationaler Auftritt bei der WM 2010 in Südafrika. Suarez war mit dafür verantwortlich, dass sein Team das Viertelfinale erreichte. Auch beim Einzug Uruguays ins Halbfinale hatte er seine Hand im Spie - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
Die neue Hand Gottes
Im Viertelfinalspiel gegen Ghana - Afrikas letztem verbliebenen Vertreter im Wettbewerb - stand es nach 90 Minuten 1:1. Es folgte die Verlängerung. Kurz vor Schluss schlug Ghana noch einen Freistoß in den Strafraum. Stephen Appiah kam zum Schuss. Suarez blockte auf der Torlinie. Dann köpfte Dominic Adiyiah im Fünfer. Suarez rettete erneut auf der Linie, dieses Mal aber mit der rechten Hand.
Er verhinderte ein klares Tor - das Tor zum Halbfinale für Afrikas letzte Hoffnung. Er sah Rot und es gab Elfmeter. Asamoah Gyan jagte diesen aber an die Latte. Uruguay rettete sich ins Elfmeterschießen, das man schließlich gewann.
Suarez feierte frenetisch mit den Kollegen und goss noch Öl ins Feuer: "Ich habe die Parade des Turniers gezeigt." Und er legte nach: "Die Hand Gottes gehört jetzt mir." Ghana-Trainer Milovan Rajevac sah eine "Ungerechtigkeit", die internationale Presse bezeichnete den Stürmer als "Verbrecher" und "Betrüger". Die "Daily Mail" brachte es auf den Punkt: "Er erzürnte einen ganzen Kontinent." Anderorts sah man ihn dagegen als Helden oder gar Märtyrer, weil er sich für die Chance auf den Erfolg seines Teams geopfert hatte.
Uruguay scheiterte schließlich im Halbfinale an den Niederlanden. Im Spiel um Platz drei gegen Deutschland wurde Suarez bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Seiner Popularität in Europa und bei Ajax tat die Geschichte aber keinen Abbruch.
Der Kannibale von Ajax
Im Gegenteil. In der Folgesaison schaffte er Historisches: Suarez erzielte sein 100. Liga-Tor für Ajax. Diese Ehre wurde vor ihm nur Johan Cruyff, Marco van Basten und Dennis Bergkamp zuteil. Alles gut also für den Ajax-Kapitän? Mitnichten.
In einem Spiel gegen den PSV Eindhoven folgte der nächste Eklat. Bei einem 0:0 gegen Eindhoven brachte er es fertig, seinen Gegenspieler Otman Bakkal in die Schulter zu beißen. Der Verband sperrte ihn für sieben Partien. Während der Sperre ergriff Suarez dann die Flucht zum FC Liverpool.
Anstatt ihn jedoch vom Hof zu jagen, gab es für den Stürmer einen großen Bahnhof in der Amsterdam-Arena, bei dem er mit tosendem Applaus von den Fans verabschiedet wurde.
"Bescheiden, liebenswürdig, ruhig"
Was für ein Mensch ist also der Fußballer Luis Suarez? Vor dem Hintergrund der Weltbühne Fußball kommt Suarez wie ein guter, aber völlig unberechenbarer Spieler rüber.
Unberechenbar kann hier positiv, muss aber auch negativ aufgefasst werden. Van Basten, der ein zwiespältiges Verhältnis zu ihm hat, sagte einst: "Luis ist unberechenbar. Er ist schwer zu beeinflussen, aber das macht ihn besonders."
Fragt man jedoch Leute, die ihn persönlich von früher kennen, ergibt sich ein anderes Bild. Da wären etwa sein Kumpel in der Nacional-Jugend, Mathias Cardacio, und Nacional-Direktor Alejandro Balbi, die ihn einstimmig als "bescheiden, liebenswürdig und ruhig" beschreiben.
Cardacio weiß aber auch von Luis' unbändigem Siegeswillen zu berichten: "Luis ist anders als alle anderen. Selbst als 14-Jähriger hat er nie einen Ball aufgegeben. In einem Spiel, das wir 21:0 gewonnen hatten und er 17 Tore schoss, stoppte er nicht für eine Sekunde. Er glaubt nie, dass er gewonnen hat. Er will immer mehr."
Die Kehrseite dieser Einstellung sei aber, dass dieser Wille ihn manchmal dazu treibt, "Sachen zu tun, die er nicht tun sollte." Gemeint waren damit aber eher Dinge wie Schwalben, die man ihm auch vereinzelt nachsagt. Als Rassisten sehen sie ihn jedoch nicht. "Ich kann garantieren, dass das nicht zeigt, wie Luis wirklich ist", so Balbi.
"Man kann Luis nicht vergessen"
Sein Sturmpartner in Groningen, Erik Nevland, hat "nur gute Erinnerungen" an Suarez. In seiner Anfangszeit in Holland sei es aufgrund von Sprachproblemen schwierig für ihn gewesen, doch "man sah ihn immer lachend in der Kabine. Man kann Luis nur schwer vergessen, aber auf eine gute Weise".
Angesprochen auf die Evra-Situation gab der Norweger aber auch zu: "Es ist komisch, die Person zu sehen, über die jeder spricht und dann zu denken, dass es derselbe Luis ist, mit dem ich zusammengespielt habe." Aber auch er spricht respektvoll von der Einstellung seines früheren Teamkollegen: "Alles, was er will, ist gewinnen."
Zwei Gesichter
Beim Wiedersehen mit seinem vermeintlichen Opfer Evra verweigerte er diesem vor dem Spiel gegen die Red Devils den branchenüblichen Handschlag. Nur durch das Einschreiten von Reds-Keeper Jose Reina wurde wohl ein Handgemenge verhindert. Das Spiel gewann schließlich United, aber Suarez gelang ein Tor.
Dieser neuerliche Vorfall auf der einen und die Aussagen der Weggefährten auf anderen Seite lassen nur einen Schluss zu: Suarez hat zwei Gesichter. Eines auf dem Fußballplatz und eines, das nur im Privaten zum Vorschein kommt.
Er selbst gab zu: "Meine Frau sagt, wenn ich so zu Hause wäre, wie ich spiele, dann wäre sie nicht mehr meine Frau."