Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Theo Walcott das Tor nicht geschossen hätte. Der FC Arsenal hätte sich im Ligapokal beim FC Reading nicht in die Verlängerung gerettet und Trainer Arsene Wenger hätte die übliche Kritik einstecken müssen, warum er in den Pokalwettbewerben mit einer besseren A-Jugend antritt.
So schaffte es der FC Arsenal durch ein verrücktes 7:5 doch noch ins Viertelfinale gegen den Viertligisten Bradford City. Ein leichtes Los mochte man meinen. Doch Arsenal flog nach Elfmeterschießen raus - und diesmal hatte Wenger entgegen seiner Gewohnheiten fast seine A-Mannschaft aufs Feld geschickt, inklusive der deutschen Nationalspieler Per Mertesacker und Lukas Podolski.
Es war das erste große Negativerlebnis, das Podolski in seiner noch kurzen Zeit in London erlebten musste. "Mertesacker und Podolski blamieren sich", war der einhellige Tenor in den deutschen Medien. Der deutsche Neuzugang galt bisher als einer der Gewinner der Saison, die trotz der Qualifikation fürs Champions-League-Achtelfinale als durchwachsen gilt, weil es in der Premier League erneut nicht passt.
Zweiter Anlauf bei einem Schwergewicht
Dort liegt Arsenal abgeschlagen hinter den führenden Teams aus Manchester. Es scheint als stünde den Gunners die achte titellose Saison in Folge bevor. Für Wenger heißt das mal wieder Kritik an seiner Philosophie der Klub- und Spielleitung.
Für Podolski ist das dagegen Neuland. Der 27-Jährige hat vor der Saison zum zweiten Mal den Schritt zu einem Schwergewicht im internationalen Fußball gewagt. Sein erster Versuch beim FC Bayern München gilt gemeinhin als großes Missverständnis. Der beste Nachwuchsspieler der WM 2006 und der Branchenprimus der Bundesliga haben nie zueinander gefunden.
Doch sechs Jahre nach seinem Anlauf in München ist Podolski gefestigter gewesen, der Schritt ins Ausland war wohl überlegt und passte in seine Karriereplanung. 106 Länderspiele hat Podolski auf dem Buckel, dazu die Erfahrung von fünf großen internationalen Endturnieren.
Projekt Köln gescheitert
Er wusste also, was auf ihn in London zukommen würde. Zumal mit Robin van Persie der Star des FC Arsenal den Klub gerade verlassen hatte. Doch Podolski hat gelernt mit Druck umzugehen.
In Deutschland war er lange Zeit gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger das Gesicht der Zukunft des deutschen Fußballs, in Köln war er von Beginn an die Galionsfigur, die den FC alleine in der Bundesliga etablieren sollte. Dass dies nicht gelang, lag nicht an ihm, sondern an der fehlenden Struktur und der Konzeptlosigkeit um ihn herum.
"Sie haben mir dort viele Dinge versprochen, unter anderem, ein Team um mich herum zu bauen. Passiert ist am Ende aber nichts", sagt Podolski. 18 Tore schoss er in der vergangen Saison für den FC, allein den Abstieg konnte er damit nicht verhindern.
Unterricht mit Ray Parlour
Bei Arsenal hat er eine neue Herausforderung gefunden. Viele Zweifler trauten ihm nach der Erfahrung beim Großklub Bayern die Aufgabe Arsenal nicht zu. Er sei zu weich für das harte Business, der Konkurrenzkampf werde ihn zermürben oder Podolski funktioniere nur im warmen Umfeld Kölns bzw. der Nationalmannschaft.
Doch Podolski hat sich etabliert in London. Er fühlt sich wohl in der Stadt, wohnt im noblen Bezirk Hampstead direkt neben Mertesacker, ist gut mit Jack Wilshere befreundet und von Arsenal-Legende Ray Parlour bekommt er sogar den Rhyming Slang beigebracht, der typisch ist für das Londoner East End.
Wie ein Tourist in London
Natürlich sei es ihm nicht leicht gefallen, aus "dieser verrückten Stadt Köln wegzugehen", sagte er zu SPOX. Schließlich hat er noch immer eine große Bindung zu seiner Heimat Bergheim. Der Vorteil der Metropole London ist aber die Anonymität, in die er gelegentlich abtauchen kann.
"Es ist nicht wie in Deutschland. Dort respektieren die Leute nicht, wenn du mit deiner Familie unterwegs bist", sagt Podolski. "Die Menschen in Deutschland machen Fotos von dir, selbst dann, wenn du 'Nein' sagst. In England wird ein 'Nein' verstanden, es ist entspannt hier, die Leute sind sehr respektvoll."
Podolski nutzt diese neue Freiheit beispielsweise für Sightseeing-Ausflüge in die Stadt mit seinem Sohn Louis. Klassische Touristensachen also, wie eine Bustour im Doppeldecker.
Gutes Englisch, Lenkrad links
Er genießt diese neue Lebenserfahrung und dieses Lebensgefühl. Auch mit der neuen Sprache hat er keine Probleme, sein Englisch ist sehr ordentlich. Es gab also keine Anpassungsprobleme. Nur beim Autofahren hat er sich noch nicht endgültig an die Umgebung angepasst. Im Linksverkehr fährt er noch immer mit dem Lenkrad links, wie er es aus Deutschland gewohnt ist.
Ein paar Kleinigkeiten fehlen noch. So ist es auch beim FC Arsenal. "Ich habe mich vom ersten Tag an wohl gefühlt", sagt Podolski. "Es geht nicht nur darum, zu einem Klub zu wechseln, drei Meisterschaften zu gewinnen und dann bist du der König der Welt."
Für den Wohlfühlmenschen Podolski war dieses Gefühl von großer Bedeutung. Doch noch gibt die Personalie Podolski den Fachleuten auf der Insel zwei sportliche Rätsel auf.
Wengers Podolski-Rätsel
Zum einen hat ihn Wenger in der Liga kein einziges Mal über 90 Minuten durchspielen lassen. In 15 Einsätzen wurde er 14 Mal aus- und ein Mal eingewechselt. Auch bei der Niederlage in Bradford musste er vorzeitig runter. Nur in der Champions League durfte er am letzten Spieltag gegen Montpellier, als er einen herrlichen Volley-Treffer erzielte, über die volle Distanz ran.
Zum anderen bietet ihn Wenger immer als Linksaußen auf. Die Position, die er notgedrungen auch in der Nationalmannschaft spielen musste und die er mittlerweile wahlweise auch an Marco Reus, Mario Götze oder Andre Schürrle verloren hat. Podolski versucht alles, um sich in dieser Rolle zurechtzufinden. Er arbeitet viel in der Defensive, geht weite Wege.
Seine Torgefährlichkeit leidet aber darunter: vier Tore und drei Assists stehen zu Buche. Podolskis Lieblingsrolle als hängende Spitze hat Wenger an den technisch feineren Spanier Santi Cazorla vergeben. Als Mittelstürmer ist Podolski keine Option, Wenger zieht ihm hier sogar den indisponierten Gervinho vor und steht kurz davor, seinen alten Weggefährten Thierry Henry während der Pause in der MLS erneut aus New York nach London zu holen.
Podolski zwischen Druck und Spaß
Der FC Arsenal steckt mitten in der Saison einmal mehr in einer Sinnkrise. Ein Großteil der Fans hat den zurückhaltenden Kurs von Wenger satt, sie würden lieber viel Geld für Verstärkungen ausgeben und am Ende Titel feiern, so wie es die Rivalen von Manchester City oder dem FC Chelsea in den letzten Jahren getan haben.
Podolski will darüber nicht viele Worte verloren. "Natürlich sprechen wir jetzt nicht über den Titel, weil wir 15 Punkte Rückstand haben, aber im Fußball kann vieles ganz schnell gehen", sagt Podolski, der den Wert des Spiels nicht nur an Trophäen misst. "Wir bleiben ruhig. Der Druck ist eine Sache, aber man muss auch Spaß am Fußball haben."
Lukas Podolski im Steckbrief