Der erste Kontakt war noch zaghaft. Jose Mourinho war im Sommer ausnahmsweise nach Leipzig gereist, mit der Heimstatt eines deutschen Drittligisten kommt der Portugiese sonst eigentlich nicht so oft in Berührung.
Sein ehemaliger Spieler Michael Ballack lockte mit der Aussicht auf einen schönen Abend, der ehemalige Mourinho-Schützling verabschiedete sich endgültig vom Profifußball und lud eine große Schar ehemaliger Weggefährten ein.
Unter anderem durfte auch Andre Schürrle dabei sein. Ein vergleichsweise junger Spieler unter den Schewtschenkos, Carvalhos, Kirstens und Nedveds. Hier spielte er zum ersten Mal unter der Regie von Mourinho, der neben Rudi Völler eine der beiden Mannschaften coachte.
"Du bist mein Spieler"
Wenige Tage später war Schürrles Wechsel zum FC Chelsea dann auch offiziell vollzogen, nachdem die Londoner den deutschen Nationalspieler über ein Jahr lang umgarnt und am liebsten bereits zwölf Monate vorher in die Premier League geholt hätten. Rafa Benitez war damals der Trainer und Jose Mourinho noch weit weg von seiner ewigen Liebe.
Ob der neue Trainer denn überhaupt an den Diensten des Deutschen interessiert sei, war eine Frage in den Tagen danach. In England stürzte sich die Yellow Press auf das Thema, es gab in der fußballlosen Zeit sonst nicht viel zu berichten.
Dabei hatte Mourinho seinem ersten Zugang bereits in Leipzig zu verstehen gegeben, dass er selbstverständlich willkommen sei im Londoner Westen. "Es ist alles durch, du bist mein Spieler", raunte Mourinho dem Deutschen da zu. Schürrle kam zu der Erkenntnis, sein neuer Trainer sei "eine beeindruckende Persönlichkeit und cool drauf."
Beste Phase im Herbst
Der Start verlief ganz gut. Im ersten wichtigen Spiel durfte Schürrle gleich ran und bereitete auch noch einen Treffer vor: Das 1:0 der Blues im Supercup-Finale gegen den FC Bayern. Schnell war vergessen, dass ihn Mourinho auf einer Pressekonferenz davor noch als Auszubildenden eingestuft hatte in der Ansammlung seiner Welt-Stars. "Er ist eines der jungen Talente, die wir haben", sagte Mourinho. "Ein Kind, das jede Minute auf dem Platz nutzen muss, um besser zu werden. Er braucht Zeit."
Trotzdem lässt er Schürrle immer wieder spielen. Mourinho weiß in der Anfangsphase der Saison selbst noch nicht so recht, wie er seine Mannschaft aufstellen, die vielen kreativen Spieler untereinander abstimmen und miteinander verzahnen soll - ohne dabei, die oberste Mou-Maxime, die defensive Grundordnung zu verlieren. Also probiert er noch vieles aus und gibt dabei Schürrle durchaus überraschend viel Einsatzzeit.
Im Herbst erlebt der Deutsche seine beste Phase. In der Nationalmannschaft räumt Schürrle mit vier Toren in den WM-Qualifikationsspielen gegen Irland und Schweden mächtig ab, in der Premier League darf er erstmals über 90 Minuten durchspielen. Und dann gelingt ihm beim 2:1-Sieg über Manchester City sein erster Treffer.
Knackpunkt beim Doppelpack
Eine halbe Saison später ist vom Sturm und Drang nicht mehr viel übrig geblieben. Schürrle hat seitdem noch zwei Tore in der Liga erzielt, aber keine Partie mehr über die komplette Spielzeit absolviert. Im Gedächtnis bleibt eine Partie in der Champions League, als Schürrle beim 4:0 in Bukarest groß aufspielte und nach einer starken Vorarbeit zum zwischenzeitlichen 3:0 in den Armen Mourinhos versank.
Bis dato hatte er die Launen seines Trainers schon ein paar Mal zu spüren bekommen. Mourinho ist in seinen Fehleranalysen nicht zimperlich und greift sich gerne auch namentlich Spieler heraus, die nicht nach seinen Vorstellungen agiert haben.
Dieses eine Mal aber fand er nur lobende Worte für den Wirbelwind auf dem Flügel. "Heute mussten wir herausfinden, was wir gut können - Schürrle war der Mann, der das getan hat. Wir haben eine Menge über die linke Seite gespielt."
Ein Knackpunkt danach war ausgerechnet jene Partie, die man Schürrle auf den ersten Blick eher als Durchbruch attestieren mochte. Bei der Niederlage gegen Stoke City Anfang Dezember traf Schürrle zweimal, am Ende verloren die Blues jedoch 2:3.
Drei Tage zuvor hatte Chelsea gegen den FC Sunderland bereits drei Gegentreffer kassiert. Stoke und Sunderland sind Klubs aus der Unterschicht der Premier League mit zwei der ungefährlichsten Offensivreihen der Liga.
Chelsea mit neuer Ausrichtung
Mourinho erkannte ein veritables Defensivproblem, von den ersten sechs Mannschaften der Tabelle hatte lediglich der FC Liverpool (18) zu diesem Zeitpunkt mehr Gegentreffer hinnehmen müssen als die Blues (17). Chelsea war nur Dritter, mit bereits fünf Punkten Rückstand auf den FC Arsenal. Die Reaktion des Trainers darauf war wenig überraschend eine Rückbesinnung auf die Primärtugend des modernen Fußballs.
Mourinho verdichtete die Reihen, holte in der Winterpause dazu noch in Nemanja Matic einen Defensivstrategen erster Güte aus Lissabon ins Team. Die Reihe der Ergebnisse liest sich seitdem so: 2:1, 0:0, 1:0, 2:1, 3:0, 2:0, 3:1, 0:0, 1:0, 3:0, 1:1. In den elf Spielen nach dem Stoke-Desaster musste Chelsea nur noch vier Gegentore hinnehmen, die Mannschaft ist mittlerweile Tabellenführer. Für Andre Schürrle bleibt seither allenfalls noch eine Statistenrolle.
Kein Einsatz gegen die Top-Klubs
Auch der Weggang von Juan Mata hat die Situation des 23-Jährigen nicht verbessert. Im laufenden Kalenderjahr kommt Schürrle nur auf 61 Minuten Spielzeit, verteilt auf drei Partien gegen die Mittelklasse-Klubs Southampton, Hull City und Newcastle. In den Top-Begegnungen gegen die beiden Manchester-Klubs schaffte er es nicht in den Kader. Auch die Partien davor gegen Arsenal und Liverpool gingen ohne Schürrle über die Bühne.
Vor Weihnachten hat Schürrle in einem Interview mit der "Bild" ein paar bemerkenswerte Dinge erzählt. Dass er zum Beispiel auch nach mehreren Monaten der Wettkampf-und Trainingspraxis immer noch ein paar Ressentiments mit der harten Gangart auf der Insel habe.
Probleme mit der Zweikampfführung
"Ich kann mich an ein paar Zweikämpfe erinnern, die hätte ich in Deutschland so nie geführt. Das pfeift jeder Schiedsrichter ab. Hier lassen sie weiterlaufen, selbst wenn es ein klares Foul war. Es ist eigentlich nicht mein Naturell, dass ich jeden Zweikampf führe, als wäre es mein letzter. Aber da muss ich mich anpassen", sagte er damals.
Vor wenigen Tagen fand eine Forderung Mourinhos Gehör in der Öffentlichkeit, nach der - vereinfacht ausgedrückt - Schürrle anfangen sollte, endlich mehr Muskelmasse aufzubauen. Ein Umstand, der dem Spieler selbst schon Wochen davor bewusst war, in den Medien aber erst durch Mourinhos Worte Widerhall fand und auch eine gewisse Skepsis schürte.
"Ich mache viele Extra-Einheiten, um Muskeln aufzubauen", sagte Schürrle schon im Dezember. "Ich brauche mehr Kraft, um auch mal einen Gegner über die Außenlinie zu grätschen. Das geht aber auch gar nicht anders. Denn bei zehn bis zwölf Teams sind Spieler dabei, die könnten von ihrer Statur her auch locker Rugby spielen. So lernt man Wettkampfhärte. In der Bundesliga sieht man solche Spielertypen weniger."
Podolski macht Druck
Es sind die klassischen Kinderkrankheiten, mit denen Spieler vom Festland in ihrer ersten Zeit im britischen Fußball zu kämpfen haben. Auch Andre Schürrle könnte etwas lockerer damit umgehen, stünde nicht am Ende der Saison die nächste ganz große Herausforderung an. Das Länderspieljahr 2013 durfte Schürrle in der Gewissheit abschließen, auf seiner angestammten Position im linken offensiven Mittelfeld ordentlich Boden gutgemacht zu haben.
Bei der Europameisterschaft 2012 war er ja noch zusammen mit Marco Reus als Herausforderer von Lukas Podolski ins Rennen gegangen. Er war ein Plan B, gut für bestimmte Spielsituationen und wenn die deutsche Mannschaft ein bisschen Platz zum Kontern hatte. Gegen die Griechen durfte er im Viertelfinale sogar von Beginn an ran.
In den Jahren bis zum nächsten großen Turnier wollte er sich noch mehr in den Fokus spielen, was auf Nationalmannschaftsebene auch sehr gut gelang. Die momentane Phase in seinem Verein aber wirft Schürrle in seinem Unterfangen wieder erheblich zurück. Wer nur eine von 26 möglichen Partien über die kompletten 90 Minuten absolvieren darf, kann nicht zwingend auf genügend Spielpraxis verweisen.
Einen Groll auf seinen Trainer hegt er deswegen aber nicht. "Jose Mourinho ordnet als Trainer eben alles dem Erfolg unter. Er schaut nicht links, nicht rechts, er will nur Siege. Diese Denke finde ich bemerkenswert", sagt Schürrle. Dass ein paar Kilometer weiter nördlich aber ein fast schon abgeschriebener Kontrahent nun wieder Fahrt aufnimmt, dürfte auch der 23-Jährige registriert haben.
Lukas Podolski, 111 Länderspiele schwer und seit knapp zehn Jahren eine Institution in der deutschen Nationalmannschaft, ist wieder fit und greift beim FC Arsenal von Neuem an. Podolski ist auf dem Weg zurück in die Startelf der Gunners.
Andre Schürrle im Steckbrief