"Auf einmal stand dieser Typ von der United-Bank auf, bereit zur Einwechslung", erinnert sich Marino Pusic. "Wir haben uns alle kaputtgelacht, weil er so dürre Beine hatte. Dann kam er aufs Feld und hat den Ball bekommen. Wir haben schnell aufgehört zu lachen."
Heute, 23 Jahre später, wirkt die Reaktion der damaligen Reservespieler von Roter Stern Belgrad vermessen. Jeder Fußballfan kennt Ryan Giggs und weiß, was er kann. 1991 hatte jedoch sogar Alex Ferguson noch Zweifel daran, dass dieser dürre Waliser bei den Profis bestehen könnte. Viele der gestandenen Spieler bei United lachten ebenfalls, bevor sie ihn spielen sahen.
Heute lacht niemand mehr. An dem von Pusic beschriebenen Abend gewann Giggs mit dem europäischen Supercup den ersten seiner 34 - in Worten: vierunddreißig - Titel. Jeden einzelnen gewann er mit Manchester, dem einzigen Verein, bei dem er als Profi jemals gespielt hat. Er ist schon seit Jahren der Rekordspieler des Klubs, hat sagenhafte 963 Spiele in Rot absolviert.
Heute lacht niemand mehr. Heute ist es an der Zeit, sich vor einer beispiellosen Karriere zu verneigen. Vor einem Spieler, der den internationalen Fußball über ein knappes Vierteljahrhundert geprägt hat und mehr gewonnen hat als jeder andere, ohne je den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Mehr Gold als B.A. Baracus
Dabei hätte er jeden Grund dazu gehabt. Denn: "Seine Goldsammlung würde sogar B.A. Baracus beschämen", wie sein langjähriger Kollege Rio Ferdinand gestern tweetete.
Ein paar Details: Mit 13 Meistertiteln hat Giggs ebenso viele gesammelt wie der FC Arsenal, er gewann zweimal die Champions League, erhielt geschätzte 40 verschiedene "Spieler des Jahres"-Awards und wurde von der Spielergewerkschaft in die "Mannschaft des 20. Jahrhunderts" gewählt. Obwohl er im 21. Jahrhundert auch noch 14 Jahre aktiv war.
"Seine Karriere - von der Class of '92 bis zu dem Status, den er jetzt hat als erfolgreichster Spieler in der Geschichte dieses Klubs - war aufgrund seiner harten Arbeit, seinem Talent und seiner Einstellung möglich. In diesem Moment sollten wir uns verneigen vor dem besten britischen Spieler der letzten 25 Jahre", adelte ihn Uniteds Vizepräsident Ed Woodward am Montag.
"Heute ist ein großartiger Tag für Manchester United", schrieb Giggs derweil in einem Brief an die Fans, und tat seine Freude über die Verpflichtung von Louis van Gaal als neuem Team-Manager kund. Sein Brief begann mit van Gaal, erst im zweiten Absatz verkündete er offiziell, dass er seine Schuhe endgültig an den Nagel hängt.
Always understated
Dieses Understatement gehörte Zeit seiner Karriere zu Giggs wie die tödlichen Pässe und die präzisen Flanken. Als er vor Wochen gegen Hull City seinen letzten Einsatz hatte, sprach er danach nur ins Mikrofon: "Manchmal gewinnen wir nicht. Aber wir geben immer alles." Viele hätten sich eine emotionale Ansprache vom "Welsh Wizard" gewünscht; sie hätten es besser wissen müssen.
Der heute 40-Jährige wurde als Youngster von Ferguson aus der Schusslinie genommen, Interviews waren ihm in den ersten Jahren verboten. Diese Zurückhaltung hat er seitdem beibehalten. "Giggs hält seit mehr als zwanzig Jahren die Öffentlichkeit auf Distanz", sagte der englische Journalist John Brewin vor Jahren zu "11Freunde".
Giggs selbst erklärte seine Meinung dazu einmal wie folgt: "Jeder will heute berühmt werden. Aber ich bin nicht Fußballspieler geworden, um berühmt zu werden. Ich bin Fußballspieler geworden, um erfolgreich zu sein."
Das Rampenlicht hat er immer gerne anderen überlassen und sich komplett in den Dienst seines Vereins gestellt. Vielleicht ging auch deshalb sein Wechsel vom Spielfeld an die Seitenlinie so organisch vonstatten: Als er vier Spieltage vor dem Ende der Saison interimsmäßig für den gefeuerten David Moyes übernahm, war das für ihn nur logisch. Sein Verein hatte eine neue Aufgabe für ihn. Natürlich nahm er sie an.
Der Wendepunkt
Die abgelaufene Saison markierte für den Klub und den Spieler einen Wendepunkt. Giggs hatte noch nie für einen anderen Coach als Sir Alex gespielt, die Red Devils wurden gar 27 Jahre lang vom Schotten trainiert. Moyes hatte eine undankbare Aufgabe als Nachfolger des Jahrhunderttrainers, an der er letztendlich scheiterte.
Zum ersten Mal überhaupt in Giggs' Karriere verpasste der Rekordmeister das europäische Geschäft, auch in den Pokalwettbewerben wurde man den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Der 40-Jährige selbst stand nur noch in insgesamt 22 Pflichtspielen auf dem Feld, ein Tor erzielte er nicht mehr.
Es war keine wirklich würdige Abschiedstournee für den einzigen Spieler, der alle 21 Saisons der Premier League absolviert hat. Ferguson hat sich ein Jahr vorher mit einer Meisterschaft verabschiedet, in Giggs' letzter Saison fiel Manchester nur durch wirre Transfergerüchte und sportliches Chaos auf.
Er wartete bis zur Verpflichtung von van Gaal, um sein Karriereende offiziell zu machen, dankte Ferguson, seinen (unzähligen) Teamkollegen, den Fans, dem Klub. "Es war immer mein Traum, für Manchester United zu spielen. Auch wenn es mich traurig macht, dass ich das rote Trikot nicht mehr überstreifen werde, freue ich mich auf die Zukunft."
Für immer United
Vielleicht bedurfte es einer solchen Misere, um ihn zum nächsten Schritt zu bewegen. Giggs, der keinen Alkohol trinkt, täglich Yoga macht und sich von der Physis her seit Jahren kaum verändert hat, wäre es zuzutrauen gewesen, dass er unter Ferguson einfach immer weiter gespielt hätte, ein Titel nach dem anderen, der ewige Ryan eben.
Doch Ferguson ist weg, und Giggs wird in der nächsten Saison als Assistent des neuen Trainers arbeiten. Henry Winter vom "Independent" hat dazu seine eigene Theorie: "Er hätte weitermachen können, aber er wird an der Seitenlinie viel mehr Einfluss haben."
Er hat nie bestritten, dass er irgendwann Cheftrainer sein möchte. Es besteht kein Zweifel daran, dass er am liebsten auch dann noch Teil von United, "dem größten und besten Klub der Welt", sein möchte. Er sagt selbst, er will "an jedem Schritt teilhaben, wenn wir den Klub wieder dahin führen, wo er hingehört."
Irgendwann wird Giggs vermutlich in Fergies Fußstapfen treten. Der Schotte hat seine Statue schon bekommen - der Waliser wird sicher auch nicht lange darauf warten müssen. In jedem Fall wird Giggs immer ein Symbol des Klubs bleiben, besser gesagt DAS Symbol.
Die eine Ära ist vorbei, die nächste hat bereits angefangen. Giggs' Verabschiedung in seinem Brief vom Montag sagt schon alles.
See you next season.
Ryan Giggs im Steckbrief