Im Sommer 2014 stand der FC Southamptons vor dem Ausverkauf. Die Saints hatten die Saison auf einem überraschend guten achten Tabellenplatz abgeschlossen, zahlreiche Protagonisten hatten dadurch Begehrlichkeiten geweckt. Trainer Mauricio Pochettino verschlug es zu den Tottenham Hotspurs, einige Leistungsträger rückten ebenfalls in den Fokus der Topklubs.
Adam Lallana, Ricky Lambert und Dejan Lovren wurden schließlich für rund 60 Millionen Euro nach Liverpool abgegeben, Luke Shaw wechselte für 37,5 Millionen Euro zu Manchester United und Calum Chambers schloss sich Arsenal an, das rund 20 Millionen Euro in die Hafenstadt überwies. Kurioserweise teilten alle fünf dasselbe Schicksal: Keiner konnte bei seinem neuen Klub an die Leistungen der Vorsaison anknüpfen.
Koeman: "Absoluter Schlüsselspieler"
Bei den Saints lief es hingegen weiterhin hervorragend, was nicht unwesentlich mit einer weiteren Personalie zusammenhing: Morgan Schneiderlin. Geschäftsführer Les Reed und der neue Trainer Ronald Koeman stellten früh klar: Der Sechser soll unbedingt gehalten werden - Schneiderlin selbst hätte ebenfalls gerne den nächsten Schritt in seiner Karriere gewagt.
An potenziellen Abnehmern mangelte es nicht: Schneiderlin wurde unter anderem mit Arsenal und Tottenham in Verbindung gebracht. Vor allem die Spurs zeigten konkretes Interesse am Mittelfeldmotor. Deren Angebot über 24 Millionen Euro entsprach, gemessen an den Summen, die für Lovren, Shaw und Co. gezahlt wurden, jedoch kaum Schneiderlins tatsächlichem Wert.
Koeman prophezeite, dass ein Verbleib Schneiderlins essentiell für eine weitere starke Saison werden könnte: "Schneiderlin zu halten, könnte unsere beste Entscheidung gewesen sein, weil er ein absoluter Schlüsselspieler unseres Teams ist", sagte er und verriet gleichzeitig, dass Schneiderlin anfangs nicht ganz glücklich war über den Verbleib bei den Saints: "Wir hatten zwei schwierige Wochen, aber Morgan hat sich sehr professionell verhalten."
Abstieg in der ersten Saison
Schneiderlin wechselte im Jahr 2008 von Racing Straßburg nach Südengland. Seine erste Saison verlief eher unerfreulich: Zwar fand der damals 19-Jährige schnell einen Platz im Team, am Ende stieg Southampton jedoch das erste Mal seit 50 Jahren in die Drittklassigkeit ab.
Sportlich und auch finanziell am Tiefpunkt angelangt setzten die Saints fortan vermehrt auf junge Spieler. Innerhalb von nur vier Jahren gelang so der Durchmarsch in die Premier League. Schneiderlin steht gewissermaßen sinnbildlich für die Entwicklung der Mannschaft. Der gebürtige Elsässer verbesserte sich von Jahr zu Jahr kontinuierlich in sämtlichen Bereichen und fand sich auch erstaunlich schnell in Englands Topliga zurecht.
Schneiderlins Spielweise wirkt oft unspektakulär. Wohl auch ein Grund, weshalb er lange Zeit nicht so sehr im Fokus stand. Er selbst bezeichnete sich einst treffend als "Arbeiter im Schatten": "Ich bin da, um meiner Mannschaft Luft zu verschaffen. Es ist nicht meine Aufgabe, das Publikum bei jeder Ballberührung zum Raunen zu bringen. Ich liebe es einfach, Fußball zu spielen. Ich liebe es, gute Pässe zu spielen und mich auf dem Platz zu bewegen", sagte er.
Hervorragend in Zweikampf und Antizipation
Schneiderlin beeindruckt weder durch eine herausragende Physis noch durch seine Geschwindigkeit. Dennoch nimmt er aufgrund seiner hervorragenden Zweikampfführung und Antizipationsgabe eine essenzielle Rolle in der Defensivarbeit seines Teams ein. Am Ende seiner ersten Premier-League-Saison verzeichnete er 139 abgefangene Bälle und 108 erfolgreiche Tacklings. Schneiderlin entlastete auf diese Weise die eigenen Hinterleute enorm.
In den folgenden beiden Spielzeiten gingen diese Zahlen recht deutlich zurück. In der zurückliegenden Spielzeit verzeichnete er nur noch 79 erfolgreiche Tacklings und 63 abgefangene Bälle. Das lag jedoch daran, dass Southampton im Gesamtverbund deutlich stabiler auftrat - das Team kassierte gerade einmal 33 Gegentore und stellte damit die zweitbeste Abwehr der Liga - und dass Schneiderlin sein eigenes Spiel auf das nächste Level hob.
Er wirkte deutlich kompletter und fungierte als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriffsspiel. Offensiv beeindruckt vor allem Schneiderlins Passspiel: In der abgelaufenen Saison fanden insgesamt 89,3 Prozent seiner Pässe den Mitspieler, in der gegnerischen Hälfte immer noch starke 86,3 Prozent (2012/2013: 77,5 %). Zudem gelangen ihm vier Treffer und er lieferte 20 Torschussvorlagen.
Für 35 Millionen Euro zu United
Seine starken Vorstellungen riefen natürlich erneut namhafte Interessenten auf den Plan. Bereits in den letzten Monaten hatte sich angedeutet, dass Schneiderlin Southampton bei einem entsprechenden Angebot verlassen dürfe. Auch Ronald Koeman äußerte Verständnis für die Wechselabsichten seiner Nummer vier: "Jeder weiß über Morgans Situation Bescheid. Ich kann ihn verstehen, wenn er die Chance hat, zu einem große Klub zu wechseln."
Der große Klub, für den Schneiderlin ab sofort die Schuhe schnüren wird, ist Manchester United. Der 25-Jährige wechselt für 35 Millionen Euro ins Old Trafford und - so banal es klingen mag - alle drei Seiten können von dem Transfer profitieren.
Sportlich ist Schneiderlins Abgang ohne Frage ein herber Verlust für die Saints, die gewissermaßen ihr Herzstück verlieren. Mit Schneiderlin gewann Southampton in der vergangenen Saison 65 Prozent der Spiele, ohne ihn gerade einmal 44. Hätten die Saints ihrem Topspieler abermals einen Transfer verweigert, wäre allerdings seine Unzufriedenheit gestiegen.
So verhalf er Southampton in der vergangenen Spielzeit auf einen starken siebten Tabellenplatz. Als Resultat stieg sein Marktwert noch einmal an und ermöglichte einen lukrativeren Deal, als er im Sommer zuvor möglich gewesen wäre: Schließlich waren die Red Devils bereit, elf Millionen Euro mehr zu bezahlen als Tottenham.
Schneiderlin: "Einfache Entscheidung"
Schneiderlin selbst, der einen Vertrag bis 2019 unterschrieb, kann sich ab sofort regelmäßig auf höchstem Niveau präsentieren und um Titel spielen: "Als ich gehört habe, dass United mich verpflichten will, war es eine sehr einfach Entscheidung für mich. Ich hatte sieben tolle Jahre in Southampton, aber diese Chance war zu gut, um sie verstreichen zu lassen", sagte er bei seiner Vorstellung am Montag.
Manchester United bietet ihm zudem die Aussicht, regelmäßig in der Champions League aufzulaufen. Davon könnte auch seine Karriere in der Nationalmannschaft profitieren - bisher kam Schneiderlin lediglich neun Mal bei Les Bleus zum Einsatz.
Schneiderlin als Carricks Nachfolger?
Louis van Gaal erhält genau den Spielertypen, den er gesucht hat: Einen Sechser, der im Mittelfeld abräumt und unscheinbar seine Aufgabe erledigt. In gewisser Weise lieferte Schneiderlins Vorstellung ein passendes Bild. Die Meldung, dass der Transfer unter Dach und Fach sei, ging fast ein wenig unter - zu groß war der Hype um Bastian Schweinsteiger, der am selben Tag offiziell verpflichtet worden war.
Es wäre allerdings kaum verwunderlich, wenn Schneiderlin bei United eine ähnlich tragende Rolle zukommen würde. Auf dem Papier ist das Mittelfeld der Nordengländer prominent besetzt, kein Kandidat ist jedoch ähnlich prädestiniert, Michael Carrick zu ersetzen.
Van Gaal: "Muss auf Sechser-Position handeln"
Der Engländer ist noch immer immens wichtig für Uniteds Spiel, allerdings absolvierte er in der vergangenen Spielzeit aufgrund von Verletzungsproblemen lediglich 18 Ligapartien. Wenn Carrick ausfiel, wirkte Uniteds Defensive nicht immer sattelfest. Louis van Gaal scheint mittlerweile das Vertrauen in die United-Legende zu fehlen: "Das Leben hört zwar normalerweise nicht mit 34 Jahren auf. Aber für einen Fußballprofi schon. Deswegen muss ich auf der Sechser-Position handeln", sagte er unlängst.Eines ist sicher: Morgan Schneiderlin wird bereit sein und darauf brennen, seine Qualitäten nun auch bei einem absoluten Topklub einbringen zu dürfen. Wenn man auf seine stetige Entwicklung zurückblickt, ist es kaum denkbar, dass ihm in seinem ersten Jahr beim neuen Klub ein ähnliches Schicksal wie seine ehemaligen Teamkollegen ereilen wird.
Morgan Schneiderlin im Steckbrief