Echte Freundschaften sind rar geworden im schnelllebigen Fußballgeschäft. Spieler bleiben meist nur ein paar wenige Jahre bei einem Verein, Trainer manchmal sogar nur Monate.
Wenig Zeit für tiefgreifende Gespräche, ein intensives Kennenlernen und das Aufbauen einer Beziehung, die über die übliche Kameradschaft und den alltäglichen Smalltalk hinausgeht. Zwischen Trainer und Spieler schon gar nicht.
Bei Louis van Gaal und Bastian Schweinsteiger ist das anders. Der Niederländer und der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft sind "gute Freunde" wie van Gaal bei der Pressekonferenz vor dem entscheidenden Champions-League-Duell gegen den VfL Wolfsburg stolzerfüllt in die Kameras und Mikrofone der anwesenden Journalisten sagte und Schweinsteiger anschließend kumpelhaft auf die Schulter klopfte. Der nahm das Ganze sichtlich wohlwollend und mit einem Lächeln. Man versteht sich.
Tatsächlich ist das Verhältnis der beiden ebenso besonders wie ungewöhnlich. Gerade der herrische van Gaal, der sich selbst von seinen Töchtern siezen lässt, lässt eine solche Verbindung zu. Zu einem Spieler. Entgegen dem Machtgefüge zwischen Spielern und Trainer, das van Gaal für unabdingbar hält.
Bei Schweinsteiger ließ er es nicht nur zu, sondern förderte es sogar. Vor Beginn der Saison 2014/15 setzte er sich vehement dafür ein, den 31-Jährigen zu Manchester United holen zu können. Für neun Millionen Euro.
Van Gaal formte Schweinsteiger
In der Verpflichtung Schweinsteigers versprach sich van Gaal den Mittelfeldstrategen, der seiner Mannschaft in der zurückliegenden Saison fehlte. Der das Spiel vor sich trägt und aufbaut, gleichzeitig aber auch in der Offensive Akzente setzt.
Eben den Schweinsteiger, den van Gaal in seiner Zeit in München mitformte. Zwar beorderte auch schon Interimstrainer Jupp Heynckes Schweinsteiger vom Flügel ins Zentrum, van Gaal war es aber, der den 31-Jährigen dort zwischen 2009 und 2011 etablierte.
Schweinsteiger entwickelte sich zu einem der weltweit besten Sechser, den gleichzeitig ein ausgeprägter Offensivdrang auszeichnete. Spätestens mit der WM 2014 in Brasilien, insbesondere dem Finale gegen Argentinien, festigte Schweinsteiger seinen Heldenstatus in München und ganz Deutschland.
Trotzdem entschied er sich zu Beginn dieser Saison, sich am Ende seiner Karriere nochmal einer neuen Herausforderung zu stellen. Weg vom FC Bayern, wo er zwar keine tragende Rolle mehr in der Mannschaft ausfüllen konnte, dennoch aber unumstrittener Publikumsliebling und Identifikationsfigur war.
"Nicht der Bayern-Schweinsteiger"
Ein Grund dafür war auch sein Freund van Gaal, der Schweinsteiger eine Führungsposition bei einem Titelkandidaten offerierte, der ihn öffentlich zum absoluten Wunschspieler erklärte.
Knapp ein halbes Jahr später müssen sich beide eingestehen, dem anderen, beziehungsweise sich vom jeweils anderen, zu viel versprochen zu haben. "Er hätte bislang in jeder Partie besser spielen können", kritisierte van Gaal seinen Schützling im Anschluss an das Remis gegen West Ham United Anfang Dezember. "Bislang haben wir noch nicht den besten Schweinsteiger gesehen. Den Spieler, den ich von Bayern München kenne."
Die nackten Zahlen untermauern van Gaals Aussage. In seiner letzten Saison beim FC Bayern schoss Schweinsteiger fünf Tore in 20 Einsätzen, gab darüber hinaus 25 Torschüsse ab und bereitete 31 weitere vor. Nach 15 Partien in der Premier League stehen gerade einmal acht Torschüsse, sechs Torschussvorlagen und ein Tor auf dem Arbeitsnachweis des 31-Jährigen. Gleiches gilt für seine Pass- und Flankenstatistiken.
Schneider stützt DFB-Kapitän
Thomas Schneider, Assistenztrainer von Joachim Löw bei der DFB-Elf, nimmt Schweinsteiger allerdings in Schutz und sieht den Grund für dessen schwache Auftritte eher in der Mannschaft und Taktik. "Die Mannschaftsstruktur bei Manchester ist sicher nicht einfach. Ich habe einige Spiele gesehen, bei denen ich das Gefühl hatte, dass er in die Spielidee nicht integriert ist. Er bewegt sich in guten Räumen, ist oft anspielbar."
In der Tat fand Schweinsteiger in Manchester keinesfalls ein Team vor, das in England ein Wort um den Titel würde mitreden können. "Wir befinden uns mit der Mannschaft im Aufbau und müssen schauen, für was es in dieser Saison reicht", hielt er kürzlich fest.
Die gleichermaßen berüchtigt wie gnadenlose englische Presse geht trotzdem längst hart ins Gericht mit "Mr. Calm", wie seine Mitspieler ihn aufgrund seiner ruhigen Art getauft haben.
Die Sun titelte vom "Zahn der Zeit", der an Schweinsteiger nage, der Guardian erkannte einen "Schwachpunkt statt einer treibenden Kraft". Selbiges Blatt sprach dem 31-Jährigen nach seinen ersten Auftritten im Trikot Manchesters noch vielversprechende Ansätze zu, United zu einem Titelkandidaten formen zu können.
Zu langsam für die Premier League?
Immer wieder Thema ist auch das Tempo. Schweinsteiger gehörte noch nie zu den Schnellsten seiner Zunft. Nicht als er zu Beginn seiner Karriere auf den Außen zum Einsatz kam, nicht als er das Mittelfeld der Bayern und der DFB-Elf organisierte.
Allerdings hat die laufende Saison deutlich gemacht, dass Schweinsteiger merklich an Geschwindigkeit eingebüßt und oftmals Schwierigkeiten hat, dem hohen Tempo in der Premier League zu folgen. Seine Schnelligkeits-Defizite durch gutes Stellungsspiel und das frühe Erkennen von Gefahrensituationen zu kompensieren, gelingt ihm in der aktuellen Form nicht wie gewohnt und früher.
Auch deshalb kommt Schweinsteiger derzeit nicht über die Rolle des Teilzeitarbeiters hinaus. An den ersten 18 Spieltagen stand der Deutsche nur sechs Mal über die vollen 90 Minuten auf dem Platz, kam meist von der Bank oder wurde wieder ausgewechselt. Dazu brachte er sich mit seinem Ellenbogenschlag und der damit verbundenen Drei-Spiele-Sperre selber um mögliche Einsätze.Für die Partie gegen Chelsea (18.30 Uhr im LIVETICKER) steht er nun wieder zur Verfügung. Es könnte das letzte Hurra der beiden Freunde sein, ehe Ex-Blues Trainer Jose Mourinho an der Seitenlinie Uniteds steht.
Der General verlässt die Bühne
Für van Gaal ist das Abenteuer England dann beendet. Der Ex-Coach von Barcelona, Ajax Amsterdam, Alkmar, dem FC Bayern und der niederländischen Nationalmannschaft kündigte bereits an, seine Karriere spätestens 2017 beenden zu wollen. Manchester dürfte demnach die letzte Station des Generals sein.
Schweinsteiger hingegen muss sich die Frage stellen, ob sich seine Chancen unter Mourinho oder einem anderen van-Gaal-Nachfolger nachhaltig verbessern, oder ob er eventuell doch einen Wechsel im Winter in Betracht ziehen sollte.
Seinem Naturell würde dies nicht entsprechen, die Bilder des abgekämpften, lädierten und gezeichneten Schweinsteigers, der Deutschland mit unglaublichem Einsatz und Willen zum WM-Titel fightete, gingen um die Welt und werden ihm unabhängig vom Verlauf dieser Saison einen Platz in Löws EM-Kader reservieren.
Der Bundestrainer bewies nicht zuletzt an den Beispielen Lukas Podolskis oder Sami Khediras, dass er an verdienten Spielern festhält, auch wenn der Leistungsstand und die Form dies nicht unbedingt rechtfertigen.
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