You'll never press alone

Ben Barthmann
27. Februar 201619:06
Jürgen Klopp hat beim FC Liverpool einige Dinge verändertgetty
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Medien wie Fans erwarteten von Jürgen Klopp beim FC Liverpool nichts anderes als ein Wunder. Die Premier League sollte er aufrollen, Pressing wurde zum geflügelten Wort. Doch was hat der ehemalige BVB-Coach vor dem Duell mit Manchester City (So., 17.30 Uhr im LIVESTREAM) bis jetzt umgesetzt?

"Football is not a wish concert", mahnte Jürgen Klopp wenige Wochen nach Antritt seines Amts beim FC Liverpool. Er versteht es gut, die Aufmerksamkeit mit kultigen Sprüchen wie diesem auf sich zu lenken, für gute Stimmung im eigenen Lager wie bei den Medien zu sorgen und somit in relativer Ruhe arbeiten zu können.

Und doch steckte mehr hinter diesem Witz vom "wish concert". Klopp wählt seine Worte bedacht, auch in diesem Fall. Nach der Entlassung von Brendan Rodgers sollte er die Reds sofort in die Erfolgsspur zurückführen. Fans, Spieler und sogar Gegner waren gespannt, was der deutsche Übungsleiter auf die Insel mitbringen würde.

Vor dem ersten Finale in der noch kurzen Liverpool-Karriere Klopps lässt sich seine bisherige Zeit eben genauso am besten zusammenfassen: "Football is not a wish concert." Weder hat man mit dem klopp'schen Pressing die Premier League im Sturm erobert, noch fegte das schnelle Umschaltspiel über die Gegner hinweg.

Spielertypen passen nur bedingt

Liverpool hat Probleme. Jede Menge. Und doch gibt es Fortschritte, die das Trainerteam verzeichnet. Zahlreiche Verletzungen, hohe Belastung verbunden mit wenig Trainingszeit haben den Entwicklungsprozess nur verlangsamt, nicht zum Erliegen gebracht. Viele Dinge haben sich geändert und doch wird Klopp noch nicht zufrieden sein.

Schon beim Erstellen einer Grundordnung beginnen die Sorgen. Der Kader, der Klopp zur Verfügung steht, ist nicht ausgeglichen und schon gar nicht nach den Wünschen des Ex-BVB-Coachs gestaltet. Die individuelle Qualität in der Defensive ist niedrig, die Verteidiger nicht nur mit Ball am Fuß unsicher, sondern auch gegen den Ball nicht ausgelegt für ein hohes Pressing, wie es Klopp bevorzugt.

Das defensive Mittelfeld ist nicht sonderlich aufbaustark, die Offensive mit zahlreichen Halbspielern besetzt, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie nach innen ziehen können. Echte Flügelspieler findet man kaum, am ehesten wohl der junge Jordon Ibe. Erste Überlegungen von Klopp resultierten in einem 4-3-3 mit sehr enger Offensive, die Außenverteidiger mussten meist Breite geben.

Suche nach der Grundordnung

Ein paar Anpassungen später sah man Liverpool in einer 4-3-2-1-Ordnung, das defensiv zwar große Stabilität aufwies, dafür aber im Umschaltspiel nach vorne zu wenig Durchschlagskraft entwickelte. Das 4-2-3-1, in Dortmund oft erste Wahl, ist zwischenzeitlich ebenfalls immer wieder zu erkennen gewesen.

Die verschiedenen Spielerrollen dürften ausschlaggebend gewesen sein für die Umstellungen der Grundordnung. Selten hatte Klopp die gleichen Spieler zur Hand wie im Vorspiel, erst im weiteren Verlauf der Saison erfolgten individuelle Anpassungen auf die Gegner. Einige Elemente blieben dennoch immer gleich.

SPOX

Für mobile Nutzer: Liverpools Grundordnungen im 4-3-3 und 4-2-3-1

Zum einen ist dort James Milner, oft eingesetzt als beweglicher Spieler zwischen Halbraum (Achter) und Flügel (rechts oder linkes Mittelfeld). Der Engländer hat es Klopp sichtlich angetan, trägt er doch die Balance des Teams zu großen Teilen auf seinen Schultern. Ähnlich ergeht es Jordan Henderson, der sich langsam an seine Zeiten beim AFC Sunderland zurückerinnert fühlen dürfte.

Dort kam der auserkorene Nachfolger von Steven Gerrard viel auf dem rechten Flügel zum Einsatz, mit den Reds in dieser Saison geht es immer mehr in diese Richtung. Im 4-3-3 oft als rechter Achter aufgeboten, hat Henderson viele Aktionen an der Seitenlinie und agiert - ähnlich wie Milner - in einer Doppelrolle.

Das Pressing beginnt

Sie stellen damit sicher, dass ihre Vorderleute wie gewohnt nach innen ziehen können, und somit löst Klopp zumindest ansatzweise das Problem der fehlenden Flügelbesetzung. Gegen den Ball verdichtet seine Mannschaft dann dementsprechend das Zentrum und versucht den Gegner nach außen zu lenken.

Große Parallelen zum BVB-Pressing kann man dennoch nicht erkennen. Setzten die Borussen lange Zeit auf Pressingfallen im Zentrum, um dort bessere Ballgewinne für den Konter zu haben und gegnerische Sechser zu isolieren, scheint das noch keine Alternative für Liverpool zu sein, erfordert es doch bessere Automatismen, als es bis jetzt der Fall ist.

Die Reds pressen ohne Frage gut und haben inzwischen eine sehr gute defensive Kompaktheit entwickelt. Doch Klopp weiß um die Schwächen seiner Männer im individual- wie gruppentaktischen Bereich und hat sich wohl deshalb für ein nach außen gerichtetes, hohes Mittelfeldpressing entschieden, in dem nur bei manchen Gelegenheiten in ein Angriffspressing übergegangen wird.

Schwächen in Klopps Königsdisziplin

Viele misslungene Pressingaktionen kennzeichnen das Spiel Liverpools bis jetzt immer noch. Beispielhaft eine Szene aus dem Spiel gegen Norwich City zwischen Minute 14 und 15. Die Canaries beginnen beim Torwart, der flach den rechten Innenverteidiger einsetzt. Roberto Firmino als Mittelstürmer kappt durch sein Anlaufen die Verbindung zur linken Spielfeldseite und drängt den Verteidiger ab.

Dieser spielt riskant in die Mitte zum Sechser, welcher sofort von Emre Can und Henderson unter Druck gesetzt wird. Milner orientiert sich am linken Innenverteidiger von Norwich, um einen hektischen Rückpass abzufangen. Liverpool geht damit in ein 4-1-5 über, weil Jordon Ibe den linken Flügel nicht verlassen hat, sondern sich um den gegnerischen Rechtsverteidiger kümmert.

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Für mobile Nutzer: Liverpools misslungene Pressingaktion gegen Norwich (GIF)

Das Pressing ist umspielt, Leiva fällt nahe an die Viererkette zurück, um nicht ausgespielt zu werden, Norwich gewinnt massiv an Raum. Oft laufen die Spieler Liverpools ihren Gegner an, ohne auf dessen Passwinkel zu achten, versperren die Anspielmöglichkeiten nicht gut oder kommen schlichtweg mit zu viel Tempo und werden so ausgespielt.

Diese individuellen Mängel sind mit der Zeit weniger geworden, sind aber doch noch immer deutlich zu erkennen. Gruppentaktisch fehlen oft Absicherungen und Kompaktheiten in der Nähe des Pressings, um den Ball nicht nur unter Druck zu setzen, sondern wirklich auch zu gewinnen.

Dennoch zeigt das aktive Verteidigen Wirkung. Viele Gegner beschränken sich inzwischen auf lange Bälle und erkämpfen anschließend die zweiten Bälle in der Hälfte Liverpools. Schon hier sieht Klopp das nächste Problem, mahnte er doch zuerst vor den englischen Winden, um inzwischen zu konstatieren: Die Reds sind nicht stark, wenn es um das Erobern von abgewehrten Bällen geht.

Der erste Ball, der lange Schlag eines Innenverteidigers etwa, wird von den in der Luft starken Verteidigern in aller Regelmäßigkeit abgewehrt, anschließend fehlt allerdings oft die richtige Staffelung. Nachdem das Pressing mit einem hohen Ball überwunden wurde, rückt Liverpool nur schwerfällig zurück, das Mittelfeld ist nicht richtig positioniert, um den Ball unter Kontrolle zu bringen.

Gerade offensiv spielt Liverpool hier dann allerdings einen Trumpf aus. Was defensiv nicht klappt, ist offensiv bereits zu einer Waffe geworden. Gegenpressing ist eines der wenigen Wörter aus der deutschen Taktik, die ohne Änderung in die englische Sprache übernommen wurden - unter anderem wegen Jürgen Klopp.

Balleroberung als Chancenerarbeitung

Hier hat das Team tatsächlich die größten Fortschritte gemacht. Wirkten die Spieler am Anfang zwar bemüht, aber noch etwas überfordert, wird die Konzentration inzwischen über 70-80 Minuten aufrecht erhalten, die Reaktionsschnelligkeit und Aggressivität stimmen, um verloren gegangene oder nur unzureichend abgewehrte Bälle direkt wieder unter Kontrolle zu bringen.

Meist üben die ballnächsten Spieler direkt wieder Druck aus, laufen ihre Gegner auf dem Spielfuß an und zeigen dabei die nötige Aggressivität, um den Ball selbst zu gewinnen oder zu einem Fehlpass zu verleiten. Die möglichen Passoptionen werden Mann zu Mann in Deckung genommen, womit die Balleroberung gut funktioniert. SPOX

Genau das muss allerdings auch funktionieren, denn, wie bereits in Dortmund, ist der Spielaufbau und die Chancenerarbeitung im Team von Klopp nicht auf höchstem Niveau. 'Balleroberung ist der beste Spielmacher' ist das Motto des Trainers und so scheint er in seinen ersten Monaten die Gewichtung vor allem auf die Arbeit gegen den Ball, nicht aber auf den eigenen Vortrag gelegt zu haben.

Die Krux mit dem Ballbesitz

Schon der Aufbau über die erste Reihe ist ungenügend. Mamadou Sakho und Dejan Lovren sind zwar noch etwas sicherer im Aufbau als Martin Skrtel und Kolo Toure, dennoch verzichtet Klopp größtenteils auf vorstoßende Verteidiger. Die Spieleröffnung ist einfach gestrickt, der Ball soll schnell auf den oder die Sechser und anschließend auf die Flügel verteilt werden.

Gelegentlich fallen Leiva oder Can neben die Verteidiger, selbst dann folgen allerdings im Normalfall flache Zuspiele auf die Außenverteidiger, die das Spiel entweder antreiben können oder zurück spielen. Weil der Ball so nur selten in das Zentrum gespielt werden kann, bewegt sich auch Liverpools Chancenerarbeitung zu einem Großteil über die Flügel.

Die Reds schaffen es besonders im letzten Drittel nicht, in die gegnerischen Formation hinein zu kombinieren, sich zwischen den Linien zu bewegen oder über schnelle Passabfolgen in Lücken vorzustoßen. Somit hängt viel an den Dribblings und Einzelaktionen der Zehner wie Adam Lallana, Coutinho oder Firmino.

Der Faktor Sturridge

Während auf dem linken Flügel oft nach innen gezogen wird, ist der rechte Flügel aufgrund der ohnehin zentrumsorientierten Besetzung durch Milner oder Henderson mehr auf Hereingaben ausgerichtet. Der überlaufende Clyne oder die ausweichenden Firmino/Divock Origi sind dort, in Ermangelung eines Linksfußes, erste Ziele.

Interessant wird der Einfluss des wieder fitten Daniel Sturridge auf die Entwicklung der Offensive zu beobachten sein. Der Engländer feierte gegen Aston Villa ein durchaus vielversprechendes Comeback, ist Linksfuß, durchaus kopfballstark, schnell und beweglicher als Konkurrent Christian Benteke. Somit konnte er gegen die Villans den flexiblen Angriff komplettieren.

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Für mobile Nutzer: Liverpools gute Staffelung im Angriff mit Sturridge

Gute Staffelung Liverpools im Angriff. Firmino (11) leitet den Angriff ein, Coutinho (10) zieht von links nach innen und wird vom brasilianischen Landsmann hinterlaufen. Moreno (18) ist dabei und baut mit einem Sprint Breite auf. Milner (7) ist aus dem Zentrum nach links ausgewichen und steht auf letzter Linie, Sturridge (15) besetzt die ballferne Seite. Can (23) ist erste sichere Anspielstation, Henderson (14) könnte bei einem Rückpass mit einem seiner starken Diagonalbälle verlagern.

Schon ohne Sturridge setzte Klopp, besonders auswärts, gerne auf Lallana, Coutinho, Firmino und Milner im Angriff. Diese bewegten sich zwar engagiert, waren viel unterwegs und versuchten, ihre Bewegungen gegenseitig auszugleichen, scheiterten dann aber daran, ihre Fähigkeiten in ungewohnten Felder einzubringen.

Alles wartet auf den Sommer

Im schnellen Umschaltspiel enorm gut, mussten sie doch bei längeren Ballbesitzzeiten nachlassen, die Folge waren viele Versuche aus der Distanz und kaum Präsenz im gegnerischen Strafraum. Vielleicht gerade ein Grund, warum man sich im Winter intensiv um Alex Teixeira bemühte.

Der Brasilianer wechselte jedoch nach China und so entging den Reds ein beidfüßiger, sehr starker Abschlussspieler, der gerade einige Meter vor dem Strafraum durch seinen enormen Zug zum Tor kombiniert mit großer Bissigkeit und Schnelligkeit aushelfen hätte können. Hätte können, denn Fußball ist, wie Klopp weiß "not a wish concert".

Auch wenn gegen Manchester City die erste Chance auf einen Titel mit dem FC Liverpool wartet, wird es doch im Sommer einige Änderungen geben. Mit Joel Matip ist ein Schritt gemacht, es werden viele folgen. Dann wird Klopp zumindest in Stücken sein Wunschkonzert erhalten, bis dahin muss er eben mit dem arbeiten, was er hat. Und das ist beileibe nicht so schlecht.