Es schwant Böses

Von Uli Hebel
Swansea City kämpft in der Premier League gegen den Abstieg
© getty

Zu Beginn des Jahrzehnts war Fußball-Europa verzaubert von Swansea City. Der Klub entstand aus einer klaren Idee und Urvertrauen in sich selbst. Jahre später ist davon kaum etwas übrig. Aus glänzenden Schwänen wurden hässliche Enten, im sumpfigen Teich des Fußballgeschäfts.
Am Sonntag kommentiert Uli Hebel Swansea City gegen Leicester City ab 17 Uhr live auf DAZN.

Cookie-Einstellungen

Seit der Mensch existiert, hat er Träume. Wünsche, Abrechnungen, Wegweisungen. Positives quittieren wir mit "traumhaft" und einen Abenteurer bezeichnen wir als "träumerisch". Wir haben Traumländer, Traumautos oder Traumpartner. Oder - so wir Fußballfans sind - haben wir ein Dream Team.

Wir vergöttern traumhaften Fußball und die, die ihn zelebrieren. Nun sind Träume verhüllte Erfüllungen. Nicht selten ist Stunden später keine Erinnerung verblieben: Einbildungen in geistiger Indisponiertheit, die selten überdauern, sobald die Realität uns ins Erwachen klingelt.

Wie jede fesselnde Geschichte, neigt auch ein Traum, uns dann und wann mit einer negativen Wendung aus dem Schlaf zu reißen. Das ist auch im Süden Wales' inzwischen bekannt. Im Februar 2017 hat sich der Traum, die Utopie Swansea City, zum Albtraum gewandelt.

Erlebe die Premier League Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

The Swansea Way

Über ein Jahrzehnt verfolgte ein Vorstand aus ansässigen Geschäftsmännern und einem Beisitzer aus einem Fan-Zusammenschluss seine eigene Idee. Unterhalt durch Unterhaltung. Mit attraktivem Ball, zum attraktivsten aller Bälle: Der "Swansea Way" führte 2011 in die Premier League, wenig später schwenkten die Weißen die Fahne Wales' in Europa. Die einst schönen Schwäne Citys sind inzwischen längst zu hässlichen Enten geworden - träge und durchschnittlich an der Grenze zum Ersaufen.

Zurück zur Entstehung: Dem Abstieg aus der Football League nahe, schienen Entscheidungen simpel. Ruhe und Weitsicht. Es kamen Spieler, die sich organisch mit dem Verein entwickelten: Leon Britton, Joe Allen oder Garry Monk. Lange funktionierte jeder Übungsleiter, den das Board um Chairman Huw Jenkins auswählte.

Roberto Martinez (heute Nationaltrainer Belgiens) und Paulo Sousa brachten das Kind auf den Schulweg; Brendan Rodgers übernahm den Löwenanteil am Schwanen-Aufstieg hin zur Stilikone. Swansea war erstklassig, mit einer gescheiten und dominanten Idee des Fußballs. Mit geteiltem Ball zur Multiplikation der Optionen. Nach Rodgers Abgang zu Liverpool übernahm Michael Laudrup. Das Ende seiner Amtszeit - Laudrup war die erste Beurlaubung in 7 Jahren Jenkins - bedeutete die erste Abkehr vom "Swansea Way".

Der Schwan ist dem Schwan ein Wolf

Im Transit von Rodgers zu Laudrup war Swansea eine Schönheit. Das "Barcelona Wales" - ein Vorbild wie kontinuierlicher Inhalt Fakten schaffen kann. Die Belohnung 2013: der erste Sieg im EFL-Cup und die Teilnahme im Europapokal.

In der Folgesaison das Schicksal des schnellen Wachstums - Einbußen in der Premier League in Sachen Punkte und Attraktion. Laudrup musste gehen. Erstmals ergab sich der Vorstand öffentlichen Schreien. Die interne Lösung Garry Monk simulierte ein Verbleiben auf dem Swansea-Weg. Aber der umfunktionierte Standby-Profi hatte von Beginn an beschnittenes Vertrauen. Monk trainierte pragmatisch: Das Ergebnis stand vor der Show. Aus grazilen Schwänen wurden biedere Ökonomen. Aber: Monk hatte zumindest Erfolg.

Nach dem Klassenerhalt in seine Interimssaison und der besten Platzierung seit Jahren in der folgenden Spielzeit war im Dezember 2015 Monks Aus nach 12 Jahren Vereinszugehörigkeit besiegelt - ein Sieg aus elf Spielen war zu wenig. Dass die Swans eine Ausfahrt zu früh genommen hatten und die Navigation nicht mehr stimmte, bemerkten sie erst ein Jahr später.

Weg, der Weg

Als Bob Bradley ein gutes Jahr später seine Kündigung erhielt, war klar: Huw Jenkins hatte sein Händchen verloren. Bradley - der vierte Trainer in zweieinhalb Spielzeiten - übernahm erst 80 Tage zuvor überraschend das Amt von Francesco Guidolin - der erfuhr seinen Laufpass an seinem 61. Geburtstag.

Sie alle machten Fehler; sind aber nicht verantwortlich. Neue Trainer bringen neue Ideen, Profile und damit auch meistens Spieler. Felsen der Kabine gingen - ohne finanzielle Zwänge. Warum auch immer, durfte Ashley Williams im Sommer gehen. Vorher Michu oder Chico Flores.

Der Ersatz wurde hastig und überteuert geholt. Kurzum: Die Kontinuität, die Swansea trotz Standortnachteilen als eine der elegantesten Geigen in Europas Fußballkonzert etablierte, war weg. Und nicht nur das: Die Suche nach der Identität wich der Verunsicherung, die die Swans zu einem Abstiegskandidaten macht. Aus Magie mit dem Ball wurde Verteidigen um jeden Preis.

Paradigmenwechsel. Dummerweise ist Swansea die schlechteste Defensive der Liga. Inzwischen haben die Fans die Kontrolle über den Verein verloren: Das übernehmende US-Konsortium will von Überleben aber nichts wissen. Wachstum statt Stillstand. Und zwar schnell.

Das Ziel ist der Weg

Jenkins braucht also einen neuen Sinnstifter. Paul Clement, langjährige Nummer zwei Carlo Ancelottis, wollte schon lange auf eigene Rechnung trinken und übernahm die Aufgabe im Januar 2017. Clement soll der nächste Richtige sein, der die Schwäne wieder in richtige Gewässer führt.

Schönheit ist dabei egal - warnen auch ehemaliger Wegbereiter wie Owain Tudur Jones, Spieler von 2005 bis 2009. Er fordert das Ende des Vor-sich-hin-Träumens: "Vergessen wir den Swansea Way - die Romantik ist vorbei. Es wird Zeit und die richtigen Leute brauchen, um den Verein zurück auf diesen Weg zu bringen."

Die Macher bei den Schwänen träumen derzeit wohl kaum mehr, so sie überhaupt ruhig schlafen können. Ohne Übertreibung sind die nächsten vier Monate die wichtigsten in der Dekade im Süden Wales'.

Schönheit und Spiel-Utopie weichen dem Überlebenstrieb. Punkte. Irgendwie. Andernfalls wird sich die Premier League weder als Traum noch als Albtraum an Swansea City erinnern. Es wird eine banale Erinnerung sein.

Swansea City: Kader, Ergebnisse, Termine

Uli Hebel, geboren 1988 in Burghausen, studierte Journalistik an der Macromedia, Hochschule der angewandten Wissenschaften, in München. Neben diversen Tätigkeiten als freier Journalist, gründete er 2014 - gemeinsam mit Bruder Joachim - den ersten deutschsprachigen Premier-League-Podcast klick & rush. Seit dem ersten Tag ist er als Kommentator und Filmemacher bei DAZN - u.a. für die Premier League und die Championship.

Am Sonntag kommentiert Uli Hebel Swansea City gegen Leicester City ab 17 Uhr live auf DAZN.

Folge Uli Hebel auf Twitter.