Im Mittelfeld landet der Ball bei Marc Albrighton. Der Linksaußen sieht den startenden Jamie Vardy, schaltet blitzschnell und schickt den Stürmer auf die Reise. Leicesters Toptorjäger zündet den Turbo, nimmt vor Simon Mignolet im Tor der Reds noch einmal kurz den Kopf hoch und schließt überlegt ins kurze Eck ab. Die Foxes führen, legen später noch zwei Treffer nach und fahren verdiente drei Punkte gegen den FC Liverpool ein.
Im Gegensatz zur letzten Saison führte der Meister die Tabelle vor dem Spiel gegen die Reds jedoch nicht mehr an, sondern lag im Kalenderjahr 2017 nach fünf Niederlagen am Stück ohne eigenen Treffer nur einen Punkt vor den Abstiegsrängen.
Für diese Leistungsexplosion, die die Erinnerung an die Auftritte der Foxes aus der Meistersaison wieder lebendig machte, gibt es eigentlich keine sportlichen Gründe. Es stand bis auf N'Golo Kante, der Leicester fraglos erheblich fehlt, im Wesentlichen die gleiche Mannschaft auf dem Platz, die letztes Jahr den Titel holte und in dieser Saison so beispiellos abstürzte.
Der einzige Unterschied saß auf der Bank und damit wohl auch im Kopf der Spieler.
Kritik an Ranieri-Entlassung
Claudio Ranieri, dem stets freundlichen Mister, der das Märchen in Leicester hatte wahr werden lassen, wurde von Seiten der Klubführung nicht mehr zugetraut, das Ruder noch einmal herumzureißen und den Absturz des Teams aufzuhalten.
Nach der 1:2 Niederlage in der Champions League beim FC Sevilla wurde er entlassen, sein bisheriger Assistent Craig Shakespeare übernahm und Ranieris Trainerkollegen, die englische Presse und die gesamte Medienlandschaft liefen Sturm gegen den Rauswurf des sympathischen Italieners.
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"Die Entlassung von Claudio Ranieri ist ein abscheuliches Verbrechen, das zeigt, dass der Fußball seine Seele verloren hat", verurteilte der Independent die Entscheidung der Klubbosse, die Gazzetta dello Sport schimpfte: "Undankbare Engländer! Leicester beschmutzt das Märchen, das die ganze Welt verzaubert hatte." Auch namhafte Trainerkollegen wie Jürgen Klopp oder Jose Mourinho und der in der englischen Medienlandschaft allgegenwärtige Gary Lineker brachten ihr Unverständnis über die Entlassung zum Ausdruck.
Shakespeare löst die Blockade
Sportlich folgten danach aber zwei Siege: der erwähnte gegen Liverpool und - beinahe noch wichtiger - der Erfolg gegen den direkten Konkurrenten aus Hull, als Leicester einen Rückstand drehte. Damit hat sich der Meister Luft im Abstiegskampf verschafft und die Klubführung erst einmal die Argumente auf ihrer Seite.
Grund genug für die Verantwortlichen, bis Saisonende mit Shakespeare zusammenarbeiten zu wollen. "Craig genießt hohes Ansehen im Klub und seine Fähigkeiten als Trainer sind uns wohlbekannt. Er hat die positiven Ergebnisse eingefahren, die wir uns durch den Wechsel erhofft haben", erklärte Vizepräsident Aiyawatt Srivaddhanaprabha und fuhr fort: "Wir haben ihn gefragt, ob er bis Saisonende weiter machen will und sind sehr sehr froh, dass er akzeptiert hat."
Der Trainerwechsel scheint die mentale Blockade der Spieler gelöst zu haben. "Sie mussten in den letzten Tagen viel Kritik einstecken", sagte Shakespeare nach dem Sieg gegen Liverpool bei Sky Sport. "Ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie Wut im Bauch hatten, als sie vor dem Spiel ankamen."
Taktisch änderte Shakespeare dabei gar nicht viel. "Er hat die Dinge einfach gehalten und gesagt, was er von uns erwartet. Wir haben das umgesetzt", erklärte Danny Simpson das simple Erfolgsrezept.
Nächster Halt: CL-Viertelfinale?
Nächster Gegner ist im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League jetzt der FC Sevilla und dank Vardys Auswärtstor hat Leicester durchaus noch Chancen, die nächste Runde zu erreichen und weiter Geschichte zu schreiben. Es würde zur beispiellosen Situation des Sensationsmeisters passen, wenn das Team sein Märchen tatsächlich wieder aufgreifen könnte.
Das Champions-League-Gesicht des Meisters ist ohnehin ein ganz anderes, als das der diesjährigen Premier-League-Saison, zogen die Foxes doch als souveräner Tabellenführer vor dem FC Porto ins Achtelfinale ein.
Entsprechend optimistisch zeigte sich Vardy zuletzt: "Wir sind definitiv noch im Rennen", schickte der Torjäger eine Kampfansage in Richtung Sevilla und Christian Fuchs legte im Vereins-TV nach: "Wir wollen den Sieg gegen Sevilla, die Erfolge waren die beste Medizin für uns." Das Team ist gewillt, nach Ranieris Abschied wieder mehr für die eigene Ehre zu tun.
Wunder gibt es immer wieder
"In der Kürze liegt die Würze", rief William Shakespeare 1603 in Hamlet eine bis heute aktuelle Redensart ins Leben, die die Amtszeit Ranieris bei Leicester City treffend beschreibt und die der Italiener fraglos dazu genutzt hat, sich ein einzigartiges Denkmal zu setzen.
Dem Namensvetter des großen englischen Poeten bleibt es nun überlassen, dafür zu sorgen, dass der Meister in der Liga bleibt und das Denkmal seines Vorgängers keine Risse bekommt. Und vielleicht kann er in der Königsklasse an seinem eigenen bauen. Wunder gibt es bekanntermaßen immer wieder.
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