Der Säufer und der Taktiker

Newcastle United schaffte als Championship-Meister den direkten Wiederaufstieg in die Premier League
© getty

Huddersfield Town mit dem deutschen Trainer David Wagner schaffte es über die Playoffs in die Premier League, Newcastle United und Brighton & Hove Albion waren da schon durch. SPOX sprach mit lokalen Journalisten und stellt die beiden direkten Aufsteiger, ihre Schlüsselspieler und Besonderheiten vor. Teil 1: Newcastle. (Teil 2 mit Brighton am Donnerstag, 10. August)

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"Ich besaufe mich gerne", bekundete Mike Ashley, der Besitzer von Newcastle United, neulich vor Gericht und konkretisierte: "Mein Ding ist nicht das regelmäßige Trinken, sondern das Komasaufen."

Ashley war gerade dabei, den verantwortlichen Richtern klarzumachen, dass er sich nicht an einen angeblichen Deal erinnern könne, den er im Januar 2013 in einem gewissen Horse and Groom Pub abgeschlossen haben soll.

Ein Banker hatte behauptet, Ashley hätte ihm 15 Millionen Pfund versprochen, wenn er ihm dabei helfen würde, den Aktienpreis von Ashleys Sportfachhandel-Unternehmen Sports Direct zu verdoppeln. Vier Pints habe er innerhalb der ersten Stunde dieses Abends gekippt und so schnell wie "Maschinenpistolen" seien stets neue gekommen, entschuldigte sich Ashley. Er sei deshalb viel zu betrunken gewesen, um sich an irgendeinen Vertrag oder überhaupt irgendwas erinnern zu können. Ashley plädierte auf zu betrunken - und bekam letztlich Recht.

Es sind Dinge wie diese, die den Besitzer von Newcastle United aktuell wohl etwas davon abhalten, sich wirklich intensiv seinem Klub und dessen Zukunft zu widmen. Nachdem Trainer Rafael Benitez im Frühling mit seiner Mannschaft den Aufstieg fixiert hatte, dauerte es einige Tage, bis sich sein Chef endlich bei ihm meldete. "Well done", hieß es dann kurz und knapp, wie Benitez erzählte.

Wenig später sprachen Trainer und Besitzer dann tatsächlich auch mal wieder persönlich, erstmals seit Sommer 2016, wie es hieß. Ashley habe Benitez in dieser Unterredung zugesichert, er könne "jeden Penny, den der Klub durch den Aufstieg, Spielerverkäufe oder sonst wie eingenommen hat oder einnehmen wird, ausgeben". Rund 80 Millionen Euro, wurde getuschelt.

Benitez und die Aura des Ruhms

Benitez verzichtete daraufhin euphorisch auf seinen Sommerurlaub, um sich auf die Suche nach Verstärkungen zu machen - und holte statt Neuzugängen hauptsächlich Absagen. "Als ich mich entschlossen habe zu bleiben, habe ich andere Dinge erwartet", sagte er. Enttäuscht, ja entnervt sei er gewesen und habe deshalb offenbar sogar über einen vorzeitigen Rücktritt nachgedacht. Bisher hat Newcastle rund 37 Millionen Euro auf dem Transfermarkt ausgegeben. Erst 37 Millionen Euro, wie Benitez und das Umfeld finden.

"Die Fans sind deshalb etwas beunruhigt", sagt Journalist Mark Douglas, der den Klub für die lokale Zeitung Chronicle begleitet gegenüber SPOX. "Ein Totalschaden" stünde dem Verein deshalb sogar bevor, warnte neulich Ex-Co-Trainer Dean Saunders. Bei Newcastle findet man nämlich traditionell, dass man nicht ins Tabellenmittelfeld und schon gar nicht in den Abstiegskampf gehört. Ganz im Gegenteil: Man findet, dass man in die Spitzengruppe der Liga gehört. Der ersten wohlgemerkt. Wegen all der Fans, die im St. James' Park Jahr für Jahr für einen der höchsten Zuschauerschnitte der Liga sorgen. Und auch wegen der Historie: Vier mal war Newcastle schon Meister und in den ersten elf Jahren der Premier League immerhin sieben Mal in den Top-Six.

2007 kaufte dann aber eben jener Ashley den Verein und seitdem ging es (abgesehen vom zwischenzeitlichen Höhenflug in der Saison 2011/12) hauptsächlich bergab, zweimal sogar bis in die zweite Liga. "Die Leute hier stehen Ashley wegen dieser Vergangenheit skeptisch gegenüber", sagt Douglas. Umso beliebter ist dagegen Benitez. Einst gewann er mit dem FC Liverpool die Champions League, dann trainierte er unter anderem Real Madrid. Benitez versprüht die Aura des Ruhms, die in Newcastle so geschätzt wird. Dafür wird er verehrt.

Und Benitez genießt die Zuneigung. "Für die Stadt und die Fans" hätte er trotz aller Transfer-Rückschläge nicht hingeworfen, erklärt Benitez nun. Vor einem Jahr war es ähnlich. "Die Liebe der Fans, die ich gespürt habe, hatte großen Einfluss auf meine Entscheidung zu bleiben", sagte Benitez nach dem Premier-League-Abstieg. Die letzten neun Spiele der Saison hatte er die Mannschaft noch betreut, aber nicht mehr retten können. Benitez blieb also und wurde ein knappes Jahr später nur noch mehr gefeiert. Als Meister der Championship hatte er Newcastle zurück in die Premier League geführt.

Erfolgsgarant Gayle und bevorstehende Kader-Rochaden

"Das Team ist dank Benitez taktisch exzellent geschult", erklärt Douglas, "es steht tief und kontert dann schnell." Kein Team der Liga hat in der vergangenen Saison weniger Tore kassiert als Newcastle, keines mehr geschossen. Absoluter Erfolgsgarant war dabei Stürmer Dwight Gayle, mit 23 Treffern wurde er Zweiter der Torschützenliste.

Derzeit ist der 26-Jährige jedoch angeschlagen, wahrscheinlich verpasst er auch den Saisonauftakt gegen die Tottenham Hotspur (live auf DAZN und im LIVETICKER). Eine langfristige Verletzungspause oder Formschwäche Gayles sind Schreckensszenarien für Newcastle. "Wenn er in der neuen Saison Probleme hat, wird es sehr kompliziert", sagt Douglas. Ein zusätzlicher Stürmer sollte deshalb unbedingt kommen, verstärkt wurde das Team bisher aber anderweitig.

Mit Florian Lejeune (10 Millionen Euro von Eibar), Javier Manquillo (5 Mio. Euro von Atletico Madrid) und Mikel Merino (Leihgabe von Dortmund) verpflichtete Newcastle drei Spieler für die Defensive und mit Jacob Murphy (11,3 Mio. Euro von Norwich) einen für die Außenbahn. Der zuletzt geliehene Christian Atsu wurde dazu von Chelsea fest verpflichtet.

"Es wird sicherlich noch einige Rochaden im Kader geben", sagt Douglas. Wie die Mannschaft nach der Transferphase aussehen wird, ist noch völlig unklar. Die Schlüsselspieler der vergangenen und Hoffnungsträger der neuen Saison bleiben aber wohl: Torjäger Gayle. Mittelfeldmotor Jonjo Shelvey, der einst beim FC Liverpool und in der englischen Nationalmannschaft spielte. Flügelstürmer Matt Ritchie, der in der vergangenen Saison 20 Scorerpunkte sammelte. Linksverteidiger Paul Dummett, der in Newcastle geboren und bei United ausgebildet wurde. Innenverteidiger Jamaal Lascelles, der schon mit 23 die Kapitänsbinde trägt.

Mischung aus Unsicherheit und Vorfreude

Als Kapitän äußerte Lascelles gegenüber dem Chronicle neulich seinen eigenen Anspruch und den seiner Kollegen: "Wir sind jetzt dort, wo wir für den Rest unserer Karrieren bleiben wollen: in der Premier League." Benitez spricht zurückhaltender, zermürbt von gebrochenen Versprechen: "Wir versuchen ein Team zu bauen, das in der Premier League bestehen kann." Optimismus klingt anders. Ungewissheit lösten zuletzt auch Berichte aus, wonach Besitzer Ashley überlege, den Klub an chinesische Investoren zu verkaufen. Douglas glaubt jedoch nicht daran, "weil Ashley zu viel Geld verlangt".

Mit seinen widersprüchlichen Aussagen sorgt der Investor für Unruhe außerhalb des Stadions, Benitez mit seiner Aura und seinem Taktik-Verständnis dagegen für eine gute Stimmung innerhalb. In Newcastle vermischt sich aktuell Unsicherheit mit Vorfreude. In einer Umfrage des Chronicle rechnet die Mehrheit der Fans zwar pessimistisch mit einer Endplatzierung im unteren Tabellen-Mittelfeld, gleichzeitig wurden aber bereits euphorisch über 40.000 Dauerkarten verkauft.

Konstantes Wohlbehagen löst in Newcastle nur die Erinnerung an alte Zeiten aus. An Zeiten, als Alan Shearer eigentlich immer traf. Oder an solche, als Newcastle unter Trainer Kevin Keegan 1996 beinahe Meister wurde. "Entertainers" nannten sie seine Elf ob ihrer spektakulären Spielweise damals - aktuell wird im Nordosten Englands wieder für reichlich Unterhaltung gesorgt. Diesmal aber nicht nur auf dem Platz.

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