"Jürgen Klopps Team zeigt Offensivfußball der Extraklasse", titelte die Daily Mail, "Die Reds geben ein klares Statement Richtung Titel ab", stimmte der Independent in die Lobpreisungen mit ein.
Jürgen Klopp wurde für das 6:1 gegen Watford und die Tabellenführung nach dem 11. Spieltag von der englischen Presse in die höchsten Sphären gehoben und galt als angehender Meistertrainer.
Elf Monate später gestaltet sich das Stimmungsbild im Umfeld der Reds komplett anders: In den letzten vier Ligaspielen wurden nur gegen Leicester City alle drei Zähler eingefahren, in der Champions League wartet Liverpool nach zwei Spieltagen noch auf den ersten Sieg und nach dem Aus im Ligapokal ist die erste Titelchance schon dahin.
Mit sieben Zählern Rückstand auf das Führungs-Duo aus Manchester droht Liverpool bereits in der Frühphase der Saison die nationale Spitzengruppe aus den Augen zu verlieren.
Klopps Auftrag: Sehnsucht stillen
Dabei wähnte man sich bei den Reds zuletzt eigentlich auf dem richtigen Weg. Über den Umweg Hoffenheim führte Klopp den Verein zurück in die internationale Königsklasse, langfristig soll der Deutsche das Kunststück, das ihm mit dem BVB gelang, wiederholen und die mittlerweile 27 Jahre andauernde Sehnsucht nach dem Meistertitel stillen.
Dass Klopp bei dieser Mission das Vertrauen der Klub-Bosse genießt und die Rückkehr an die nationale Spitze als Langzeitprojekt angelegt ist, bezeugt der langfristige, bis 2022 datierte Vertrag.
Mittlerweile werden jedoch immer mehr kritische Stimmen laut, die Klopps Zukunft bei den Reds infrage stellen.
Massive Kritik wegen defensiver Schwächen
Vor allem für die Abwehrleistungen sieht sich der Trainer von Experten massiver Kritik ausgesetzt: "Ich frage mich, was er (Klopp) auf dem Trainingsplatz macht, wenn sich dieselben Abwehrfehler Woche für Woche wiederholen", überlegte Alan Shearer nach dem Ausscheiden im Ligapokal in seiner Kolumne für die Sun.
Auch Klopp selbst bereiten die Abwehrprobleme seiner Elf "körperliche Schmerzen", wie er zuletzt auf einer Pressekonferenz gestand. Regelmäßig leistet sich die Abwehrreihe um Joel Matip und Dejan Lovren verhängnisvolle Patzer, entscheidende Verstärkungen in diesem Mannschaftsteil vorzunehmen, wurde im Sommer verpasst.
Zwölf Gegentore stellen den drittschlechtesten Wert im englischen Oberhaus dar, nur West Ham und Schlusslicht Crystal Palace ließen noch mehr Gegentreffer zu. "Liverpool kann einfach nicht ordentlich verteidigen. Das liegt an Klopps Taktik, seiner Aufstellung und seiner Personalpolitik", fällte ESPN bereits früh in der Saison ein vernichtendes Urteil.
Rückendeckung von Fowler und Dalglish
Mit dem auf extremes Gegenpressing angelegten Spiel zählt Liverpool auf der anderen Seite zweifelsohne zu den größten Attraktionen der Liga. "Tolle Bewegungen, ein magisches Zusammenspiel, Geschwindigkeit, Intensität, kühne Dribblings. Die pure Freude!", geriet Robbie Fowler im Mirror ins Schwärmen.
Durch den fast schon verschwenderischen Umgang mit Großchancen steht aber unter dem Strich ein zu geringer Ertrag.
Eine Abkehr vom offensiven Spielstil, wie von manchen Medien gefordert, hin zu einer ökonomischeren Spielweise stellt für Klopp keine Option dar. Rückendeckung erhält er von einem seiner Vorgänger, der Reds-Legende Kenny Dalglish: "Wir haben ihn verpflichtet, weil er ist, wie er ist. Seine Philosophie ist Angriffsfußball. Das passt zu den Leuten in Liverpool."
Nicht besser als Rodgers!?
Im Gespräch mit der Sport-Bild unterstrich Emre Can zuletzt die Fortschritte, die die Mannschaft in den letzten zwei Jahren unter Klopp gemacht habe. Dies kann auch als Antwort auf die Kritik von Shearer verstanden werden, der in der Sun gepoltert hatte: "Die Wahrheit ist, dass Liverpool unter Klopp keinen Deut anders ist als noch unter Brendan Rodgers."
Was die Zahlen betrifft, liegt Shearer damit gar nicht so falsch: Sollte Liverpool gegen den ewigen Rivalen Manchester United am Samstag verlieren, dann stünde Klopp exakt bei der Bilanz, die die Verantwortlichen vor zwei Jahren dazu veranlasste, Brendan Rodgers freizustellen und Klopp zu verpflichten.
Manchester United als Aufbaugegner?
Soweit ist es bei Klopp noch nicht, dafür genießt der als Menschenfänger bekannte Trainer trotz der sportlichen Krise vor allem bei der Anhängerschaft ungebrochen große Sympathien. Im kommenden Sommer wollen die Klubbosse nach Medienberichten jedoch eine umfassende Bewertung der dann zweieinhalb Jahre unter Klopp vornehmen.
Gegen Manchester United bietet sich den Reds die große Chance, die Stimmung rund um das Team kurzfristig wieder ins Positive zu kehren. Da wäre zum einen die historische Rivalität beider Klubs, die die Partie weit über ein gewöhnliches Premier-League-Spiel erhebt.
Und dann ist da noch die Tatsache, dass United neben Manchester City gerade der Maßstab im englischen Fußball ist. Eine bessere Gelegenheit, den Bock umzustoßen, ist kaum denkbar.