Am 16. Oktober 2013 kannte plötzlich alle Welt Harry Wilson. Nicht etwa, weil er am Abend zuvor im Alter von 16 Jahren zum jüngsten walisischen Nationalspieler aller Zeiten geworden war. Vielmehr sprach jeder über den Teenager, weil sein Großvater Peter Edwards offenbar über prophetische Fähigkeiten verfügt. 15 Jahre zuvor hatte er in Wrexham im Nordosten von Wales 50 Pfund darauf gewettet, dass sein Enkel einmal für Wales' A-Nationalmannschaft auflaufen wird. Nach Wilsons Debüt für sein Heimatland war Zahltag und Edwards bekam seinen Wettgewinn in Höhe von stolzen 125.000 Pfund.
Von Glück wollte Edwards nichts wissen. Immerhin, so behauptete er, seien Talent und Spielfreude des jungen Harry bereits im frühen Kindesalter nicht zu übersehen gewesen: "Ein todsicheres Ding - der Junge konnte schließlich schon dribbeln, bevor er überhaupt laufen gelernt hatte!"
Harry Wilson steht beim FC Liverpool bis 2023 unter Vertrag
Das Laufen beherrscht Harry längst einwandfrei und von seinen vorzüglichen Qualitäten im Dribbling überzeugte er Fans und Gegenspieler in den vergangenen Jahren mit Nachdruck. Nun stellt sich die Frage, wo der mittlerweile 22-Jährige in der kommenden Saison dribbelt. Beim Champions-League-Sieger FC Liverpool steht er bis 2023 unter Vertrag. Allerdings ist die Konkurrenz auf seinen Paradepositionen, den offensiven Außenbahnen, mit Sadio Mane und Mohamed Salah ziemlich stark.
Wilson hat eine überzeugende Saison auf Leihbasis bei Derby County hinter sich. Unter Frank Lampard entwickelte der Angreifer sich prächtig. Er schoss 18 Tore und lieferte sechs Assists in 49 Pflichtspielen. Im League Cup schockte er Rekordmeister Manchester United mit einem traumhaften Freistoß aus knapp 30 Metern. Nur um ein Haar verpasste er mit seinem Klub in den Playoffs gegen Aston Villa den Aufstieg in die Premier League.
Nun ist er zurück bei den Reds. "Viel besser hätte es nicht laufen können", zog er vor wenigen Wochen im Gespräch mit SPOX und Goal Bilanz. "Es gab eine Menge Höhepunkte. Das Beste war der Sieg gegen Manchester United in Old Trafford. Sicher, es waren auch schwierige Momente dabei. Aber ich habe aus diesem Jahr enorm viel mitgenommen."
Ein wesentlicher Faktor dabei war der neue Chelsea-Trainer Lampard. Unter anderem setzte er Wilson auch in einer zentraleren Rolle ein. Anschauungsunterricht gab es zuvor von einem der ganz Großen in England in der letzten Dekade. Wilson verrät: "Vor Weihnachten hatten wir ein paar Verletzungen und der Manager hat mich in die Mitte gezogen. Er zeigte mir einige Videos, unter anderem von David Silva. Er ist schmächtig wie ich und spielt in der Zentrale. Es geht darum, wie man seinen Körper einsetzt, einen Überblick über die Situation behält und mit dem Kopf oben spielt."
Wechselt Harry Wilson zu RB Leipzig?
Lampard lobte die Auftritte der Leihgabe: "Er hat sehr gut gespielt. Keine Frage, dass er einer unserer Besten war in dieser Saison."
Wilson, der bei Derby nicht nur als starker Freistoß-, sondern auch als eiskalter Elfmeterschütze glänzte, will jetzt den nächsten Entwicklungsschritt machen. Die große Frage ist, ob er das in Liverpool tun kann. Seit er acht Jahre alt ist, spielt er für die Reds. Mit einem Platz im Kader der Profis ginge ein Traum für ihn in Erfüllung. Er wollte im Mai "noch nicht zu weit voraus schauen" und wägt aktuell ab, ob er sein Glück beim Champions-League-Sieger versucht, oder zu einem kleineren Verein wechselt.
Dabei könnte ihn sein Weg womöglich in die Bundesliga führen. Sky Sports berichtete vor einigen Wochen, gleich drei Klubs aus dem deutschen Oberhaus hätten Interesse an einer Verpflichtung des dribbelstarken Angreifers: RB Leipzig, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC. Die Sun ging später noch weiter und schrieb, Leipzig sei der aussichtsreichste Kandidat und Wilson dürfe für 24 Millionen Euro nach Sachsen wechseln.
Darüber hinaus wird Wilson mit den englischen Klubs Crystal Palace, FC Southampton, Newcastle United, Brighton & Hove Albion und Leeds United in Verbindung gebracht. Derby County möchte ihn trotz des verpassten Aufstiegs und des Lampard-Abgangs halten.
FC Liverpool: Jürgen Klopp will Harry Wilson unter der Lupe nehmen
Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Jürgen Klopp will sich in der Vorbereitung auf die neue Saison ein Bild vom Leistungsstand des mittlerweile elfmaligen A-Nationalspielers machen. Erst danach soll die Entscheidung gefällt werden, ob und auf welche Weise Wilson abgegeben wird.
Bislang läuft es für Wilson auf der Vorbereitungstour der Reds ganz okay. Bei der 2:3-Niederlage gegen Borussia Dortmund im Rahmen des ICC bekam er 60 Minuten Spielpraxis und zeigte Licht und Schatten: Zunächst ließ er eine dicke Chance zum Ausgleich liegen, später kombinierte er prächtig mit Ryan Kent und besorgte das Tor zum 1:1.
Auch gegen Bradford City (3:1) und den FC Sevilla (1:2) stand Wilson jeweils in der Startelf, ohne dabei jedoch ohne gute Ansätze hinauszukommen. Ob das reicht, um sich für einen dauerhaften Platz im exzellent besetzten Klopp-Kader zu empfehlen.
Der Linksfuß jedenfalls, weiß was er will. Spätestens seit Liverpools 4:0-Sieg im Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Barcelona vor einigen Wochen. Wilson verfolgte das Spiel im Stadion und meinte: "Das ist inspirierend für mich. Diese Gelegenheiten, diese Atmosphäre - davon träumt man. Ich will das, egal ob in Liverpool oder irgendwo anders. (...) Ich will diese Stimmung und diese Emotionen erleben. Ich kann es nicht erwarten."
Ob Peter Edwards auch eine Wette darauf platziert hat, dass sein Enkel eines Tages in der Champions League aufläuft, ist nicht überliefert.