"MX7232", sagt Jermaine Pennant wie aus der Pistole geschossen. Seine Gefangenen-Nummer von damals hat er "natürlich" noch parat, erklärt er dem Guardian. "Ich glaube, die vergesse ich nie. Das Gefängnis hat mich verändert. Aber nicht viele Menschen machen das durch und spielen später dann in einem Champions-League-Finale."
Eigentlich reichen schon diese paar Sätze, um zu erzählen, dass der heute 36-jährige Engländer in seinem Fußballer-Leben alles erlebt hat, alle Höhen, aber auch alle Tiefen sehen durfte oder musste. Pennants Geschichte ist nicht die klassische des früh Hochgejubelten, der dann kontinuierlich abstürzte. Vielmehr ist es eine wahnwitzige Achterbahnfahrt.
Schon Pennants Jugend ist extrem schwierig. Er wächst in Nottingham auf, mitten in England, im Problembezirk The Meadows. Als er drei Jahre alt ist, ist seine Mutter plötzlich weg, angeblich verstorben - erst viel später sollte Pennant erfahren, dass das gar nicht stimmte, man ihm das nur vorgaukelte. Warum? "Die Geschichte, die mir erzählt wurde, ist, dass meine Oma - also die Mutter meiner Mutter - nicht wollte, dass sie ein braunes Baby hat. Also zog mich mein Vater fortan alleine groß", sagte Pennant vergangenes Jahr dem new!Magazine.
"Mein Vater fragte: 'Hast du ein bisschen Geld?'"
Eine Bindung zu seiner Mutter habe er ohnehin nicht gehabt, mit den Stiefmüttern lief es später auch nie besonders gut. Dennoch habe ihm stets eine weibliche Bezugsperson gefehlt - zumal sein Vater ihm keineswegs ein stabiles Leben bieten konnte. Pennant senior vertickte Drogen, zunächst von einem Pub aus, dann auch von zuhause. Er wurde selbst süchtig, kam ins Gefängnis und erlag nach seiner Freilassung erneut der Verlockung der Drogen.
"Ich erinnere mich noch an einen Geburtstag, ich glaube es war mein 14.", schreibt Pennant in seiner 2018 erschienenen Autobiografie. "Ich bekam ein paar Karten von meiner Großmutter und ein paar anderen Familienmitgliedern. Insgesamt kamen ungefähr 40 Pfund zusammen und mein Vater fragte: 'Hast du ein bisschen Geld?' Ich sagte, dass ich etwas zu meinem Geburtstag bekommen habe und er antwortete nur: 'Okay, gib es mir, du bekommst es zurück'. Ich wusste, warum er es wollte. Und ich wusste, dass ich das Geld nie zurück bekommen würde, weil er süchtig nach dem Zeug war."
Jermaine Pennant: Schüsse vor dem KFC
Jahrelang war sein Vater drogenabhängig, auch noch als Pennants Fußballerkarriere durchstartete. Heute ist er offenbar clean - und Jermaine hat seinen Frieden mit ihm geschlossen. "Wir verstehen uns jetzt gut. Er war bei meiner Hochzeit, das war ein emotionaler Tag. Er hat eingesehen, dass er Fehler gemacht hat und sich dafür entschuldigt."
Ohne behütetes Zuhause geriet auch Pennant selbst im Teenager-Alter in zwielichtige Kreise, bekam auf den Straßen von Nottingham so manche Gang-Schießerei mit. Als er 14 ist, wird es beim Angriff einer rivalisierenden Gang aus einem anderen Stadtteil vor einer KFC-Filiale besonders heikel. "Als sie vorbei rannten, stachen sie auf einen von uns mit Messern ein und verprügelten einen anderen mit einem Baseball-Schläger, es fielen ein paar Schüsse. Ich hatte Glück. Hätte ich auch draußen gestanden, hätte ich niedergestochen werden können."
Pennant versteckte sich hinter der KFC-Kasse, die Jungs aus seiner Gang verfolgten die Angreifer, schlugen einen von ihnen krankenhausreif, im Hospital erlag er dann seinen Verletzungen. Zwei Tage später klingelte daher die Polizei an Pennants Tür, er musste aussagen, auch er stand unter Mordverdacht.
Drei Millionen Euro Ablöse - für einen 15-Jährigen
"Von der Polizei ausgefragt zu werden, war schlimmer, als Schüsse zu hören. Ich wusste, dass ich lange ins Gefängnis wandern würde, wenn sie mir den Mord anhängen würden. Aber ich konnte der Polizei nur sagen, was ich wusste - und das war nicht viel."
Pennant war immer klar, dass Fußball ihm die wohl einzige Möglichkeit bot, der Kriminalität und Ausweglosigkeit in seinem Umfeld zu entkommen. Er hatte etwas, ein Talent, das ihn zumindest geistig fern genug davon hielt, auch in jene Szene abzurutschen.
Mit 15, nur rund ein Jahr, nachdem ihn die Polizei in einem Mordfall ausgequetscht hatte, stand Pennant erstmals so richtig im Fokus. Umgerechnet drei Millionen Euro legte der FC Arsenal damals auf den Tisch, um das Offensivtalent von seinem Jugendklub Notts County nach London zu holen. Im Jahr 1999 eine noch viel unfassbarere Summe für einen 15-Jährigen, als es sie auch heute noch wäre.
Jermaine Pennant: Hass-Liebe mit Arsenal und Wenger
Und Pennant findet sich bei den Gunners sofort zurecht. Mit 16 debütiert er im Ligapokal bereits für die Profis, mit 18 steht er erstmals in der Champions League im Kader. Er gilt als größtes Talent in England, als neuer Michael Owen - doch so rasant wie gedacht geht es dann nicht weiter. Erst mit 19 darf Pennant endlich erstmals in der Premier League ran, mit 20 ist er noch meilenweit entfernt von regelmäßigen Einsätzen. Arsene Wenger, Arsenals Trainer-Legende, war offenbar nicht gänzlich überzeugt von Pennant, vor allem von dessen Einstellung. Es entwickelte sich eine Art Hass-Liebe.
"Von all den Trainern, unter denen ich gespielt habe, hatte Arsene den größten Einfluss. Durch ihn lernte ich, wie es im Profigeschäft läuft. Aber er gab mir auch nie so wirklich eine Chance. Das war frustrierend. Aber Arsene ist eben sehr streng. Und wenn deine Einstellung nicht stimmt, dann gibt er dir diese Chance nicht", erklärte Pennant dem Guardian. Doch dann kam der 7. Mai 2003, der Tag, der vermeintlich alles änderte.
"Ich habe den Wodka noch im Magen gespürt"
Gegen Southampton stand Pennant erstmals in der Premier League in Arsenals Startelf, erzielte beim 6:1-Erfolg innerhalb von nur zehn Minuten einen Hattrick. Kurios: Am Abend zuvor, im Glauben, ohnehin nicht zu spielen, zog er bis sechs Uhr um die Häuser. "Ich habe es gar nicht glauben können, als ich meinen Namen in der Startaufstellung entdeckt habe. Ich war noch so übermüdet und habe alles Mögliche gegeben, um mich nicht zu blamieren. Ich fühlte mich unglaublich unwohl und habe den Wodka noch in meinem Magen gespürt", verriet er 2018 im Interview mit FourFourTwo.
Wieder mal war er ganz plötzlich in aller Munde, plötzlich Teil der legendären Gunners-Mannschaft um Thierry Henry oder Patrick Vieira, die ein Jahr später als "The Invincibles" in die Geschichte eingehen sollte. "Ich dachte, das wäre jetzt der Startschuss und ich würde bei Arsenal groß werden. Aber es kam nie so weit und ich verlor nach und nach das Interesse. Ich dachte: 'Das führt sowieso nirgendwo hin'."
Anfang 2005: Alkoholfahrt an die Straßenlaterne
Für die Saison 2003/04 ließ sich Pennant an Leeds United verleihen, wo es ordentlich lief, er viel spielte. Den Durchbruch bei Arsenal schaffte er danach aber dennoch nicht, wurde Anfang 2005 wieder verliehen, diesmal an Birmingham City. Und weil sich der Frust über den ausbleibenden Erfolg auf dem Feld anstaute, machte Pennant außerhalb davon Dummheiten. Er fuhr betrunken, verlor seinen Führerschein, wiederholte das kurz darauf und raste dabei auch noch mit seinem Mercedes gegen einen Laternenpfahl. Im März 2005 wurde Pennant daher zu drei Monaten Haft verurteilt, einen Monat davon saß er ab.
Die Karriere schien in Scherben zu liegen, bevor sie überhaupt richtig Fahrt aufgenommen hatte. Doch Pennant, ja immer noch erst 22, blühte in der Folgesaison bei Birmingham auf. Arsenal hatte ihn dorthin inzwischen für läppische 750.000 Euro verkauft, glaubte nicht mehr an ihn. Aber Pennant setzte sich durch, wurde Stammspieler in Birmingham - und wechselte im Sommer 2006, nur gut ein Jahr nach dem Gefängnisaufenthalt, für neun Millionen Euro zum FC Liverpool.