Spieltag in der Football League 2: In Elektroautos und Fahrgemeinschaften erreichen viele Fans das Stadion. Bevor es auf die Ränge geht, machen einige noch einen Abstecher in den Fanshop. Dort sind die begehrten klimaneutralen Bambus-Trikots endlich wieder auf Lager. Neu eingekleidet ziehen die Anhänger weiter in die Stadionkantine. Heute stehen die veganen Fajitas auf der Speisekarte. Das vegane Bier aus kompostierbaren Bechern darf ebenfalls nicht fehlen.
Was nach Zukunftsmusik klingt, ist in der 6000-Einwohner-Stadt Nailsworth in der westenglischen Grafschaft Gloucestershire Realität. Dort, auf einem "Hügel im Niemandsland", wie Teammanager Mark Copper den Ort einmal beschrieb, sind die Forest Green Rovers beheimatet. Seit seiner Gründung im Jahr 1889 tummelte sich der Traditionsverein lange in den Niederungen des englischen Amateurfußballs, ehe sich vor zehn Jahren alles änderte.
Im Jahr 2010 rettete der Millionär Dale Vince die Rovers nach anhaltenden Geldproblemen vor der Insolvenz und drehte den Verein anschließend auf links. Der Brite, der seinen Reichtum dem Windenergie-Unternehmen Ecotricity zu verdanken hat, verpasste dem Klub neue Farben und ein neues, grünes Image. 2017 folgte der Aufstieg in die vierte englische Liga und somit erstmals in den professionellen Fußball.
Eigentümer Dale Vince: Schulabbrecher, Hippie, Öko-Millionär
Vince selbst ist ein Paradiesvogel. Im Alter von 15 Jahren brach er die Schule ab und lebte anschließend lange ein Hippie-Leben. Der heute 58-Jährige reiste durch die Welt mit einem zum Wohnmobil umfunktionierten Armeeauto, auf dessen Dach er ein selbstgebautes Windrad setzte. 1995 gründete Vince seinen ersten Energiekonzern - und häufte seitdem ein Vermögen von über 100 Millionen Pfund an.
Die Übernahme der Forest Green Rovers sah Vince, wie er dem SPIEGEL verriet, als eine Möglichkeit, "eine neue Zielgruppe auf die Gefahr des Klimawandels aufmerksam zu machen, unsere Anliegen zum Thema Nachhaltigkeit in den Klub zu integrieren und damit nicht nur unsere Fans zu erreichen, sondern alle Fußballfans. Seitdem sind wir der Botschafter des grünen Fußballs."
Dabei lief zunächst nicht alles rund. So wurde dem überzeugten Veganer, als er zum ersten Mal als Eigentümer zum Training erschien, eine Fleischlasagne serviert. "Plötzlich war ich Teil der Fleischindustrie. Ich fragte: ‚Können wir damit aufhören?'", erinnerte sich Vince im SZ-Magazin. Rotes Fleisch gehört beim Viertligisten seitdem der Vergangenheit an. 2015 stellte man die Vereinskantine sogar komplett auf vegane Ernährung um.
Vorbild Lionel Messi: Die Forest Green Rovers leben vegan
Dass einige Profis des Klubs von der Boulevardpresse 2019 mit Cheeseburgern abgelichtet wurden, ist dabei jedoch kein Problem. So schreibt der Klub seinen Angestellten nicht vor, wie sie sich privat ernähren sollen. Dennoch wurden bereits einige Spieler durch die Vereinsphilosophie zu Veganern oder Vegetariern. Ex-Forest-Green-Profi Reuben Reid erzählte dazu der taz: "Ich schlafe jetzt besser, habe weniger Verletzungen und bessere Haut, verlor dazu ein wenig Gewicht."
Eigentümer Vince ist ebenfalls davon überzeugt, dass der Veganismus seiner Mannschaft sportlich helfen könnte. "Spitzensportler wie Lionel Messi, Lewis Hamilton oder Venus Williams sind ebenfalls Veganer geworden, um ihre Leistung zu verbessern. So falsch kann das also nicht sein", erklärte der Klub-Boss.
Auch die Fans der Forest Green Rovers bekommen keine tierischen Produkte mehr serviert. In ihrem Stadion, The New Lawn, wurden Wurst, Burger und Shepherd's Pie von der Speisekarte gestrichen. Stattdessen gibt es vegane Fajitas, Veggie-Burger und veganen Q-Pie aus Quorn. Die Reaktionen der Anhänger fielen zunächst entsprechend negativ aus. "Fußball hat viel mit Tradition zu tun. Wir wurden so gesehen, als würden wir diese angreifen", erinnerte sich Vince im Interview mit dem Tagesspiegel.
Der Klub ließ sich dadurch jedoch nicht von seinem Weg abbringen und erlaubte den Fans, ihr eigenes Essen mitzubringen, sollten sie mit dem veganen Angebot unzufrieden sein. Von der Regelung wird mittlerweile jedoch kaum noch Gebrauch gemacht. So schwärmen die Anhänger inzwischen größtenteils vom neuen Catering. Der Absatz der Stadionkantine "Devil's Kitchen" hat sich laut Angaben des Klubs vervierfacht.
Bambus-Trikots, Seetang-Dünger und Solarzellen auf dem Stadiondach
Doch nicht nur auf die Ernährung wird bei den Rovers Wert gelegt. Wo es möglich ist, arbeitet der Klub an umweltschonenden Alternativen und geht dabei neue Wege. Statt aus Polyester und Plastik werden Trikots und Stutzen aus Bambusfasern hergestellt. Für die Düngung des Platzes verwendet Greenkeeper Adam Wichtwell Seetang statt Pestiziden und wässert das Grün mit Regenwasser.
Die Energieversorgung des League-2-Klubs basiert zudem zu 100 Prozent auf Ökostrom. Davon wird rund ein Fünftel aus Solarzellen auf dem Stadiondach gespeist. Als bevorzugtes Fortbewegungsmittel dient das Elektroauto. Dabei ist an der Geschäftsstelle für genügend Ladestationen gesorgt. Für Fahrzeuge, zu denen noch keine elektrische Alternative verfügbar ist, gibt es zudem eine Zapfsäule mit Biobenzin aus dem recycelten Frittenfett der Stadionkantine.
Ganz ohne CO2-Ausstoß kommt der Klub dennoch nicht aus. Vor allem durch Auswärtsfahrten und die Anfahrt der Fans fallen im Jahr rund 200 Tonnen Kohlenstoffdioxid an, die jedoch vollständig durch Einzahlung in den UN-Klimafond kompensiert werden. Im vergangenen Jahr wurden die Forest Green Rovers deshalb von den Vereinten Nationen als erster klimaneutraler Klub der Welt ausgezeichnet.
Der Traum vom Holzstadion
Die Ehrung ist für Vince aber kein Grund, sich auf dem bisher Erreichten auszuruhen. Der Vorsitzende nimmt es vielmehr als Ansporn und blickt in die Zukunft. Sein nächstes Projekt: Ein Stadion komplett aus Holz, gelegen an der Autobahn M5 und umgeben von 5000 Bäumen sowie 1,8 Kilometern Hecke. Der "Eco Park" soll 5000 Besucher fassen und der Gemeinde zugutekommen. So sind zwei Spielfelder geplant, von dem eines öffentlich zugänglich sein wird.
Entworfen wurde der Bau von der mittlerweile verstorbenen Stararchitektin Zaha Hadid, die auch an den Arenen der umstrittenen WM 2022 in Katar beteiligt war. Nach fünf Jahren Verhandlung erteilte die zuständige Behörde dem Fußballtempel im vergangenen Dezember eine Baugenehmigung. Der Traum vom Holzstadion könnte somit laut Vince bereits in drei Jahren in Erfüllung gehen.
Der Öko-Fanatiker ist dementsprechend aufgeregt. "Es ist nicht nur wunderschön anzusehen, sondern auch umweltfreundlich, weil kein Stahl verwendet wird. Eine solche Arena wird den kleinsten CO2-Fußabdruck aller Stadien der Welt hinterlassen", sagte Vince über sein Leuchtturmprojekt.
Fanklubs in 20 Ländern und Anfragen aus der Premier League
Und nicht nur die Klub-Verantwortlichen sind von ihrem grünen Projekt begeistert. So sind die Rovers mittlerweile ein echter Fanmagnet. 50 Fanklubs in über 20 Ländern zählt der Viertligist - Tendenz steigend. Die neuen Bambus-Trikots waren bereits dreimal ausverkauft und wurden bei ihrem Launch innerhalb von 24 Stunden in 17 Ländern bestellt.
Dabei nehmen sich viele Anhänger den Klub zum Vorbild und achten auf einen umweltfreundlicheren Lebensstil. Vince verriet dazu in einem Gespräch mit Euractiv: "Viele unserer Fans haben wegen dem, was wir tun, ihr Leben verändert. Viele wurden zum Beispiel Vegetarier oder Veganer oder sie beschäftigen sich mit Elektroautos, Solarzellen und anderen Dingen, die sie daheim tun können."
Auch Klubs und Verbände werden mittlerweile auf die FGR aufmerksam und fragen sie um Rat. So hatte Greenkeeper Wichtwell bereits Besuch von der englischen Nationalmannschaft und auch Klubs aus der Premier League erkundigen sich nach dem Geheimrezept hinter seinem auffällig grünen Rasen. Wegen der zahlreichen Anfragen zu ihrem veganen Essen, gründete die Rovers zudem im vergangenen Jahr die Little Green Devils - ein Cateringservice, der mittlerweile den FC Chelsea und Norwich City zu seinen Kunden zählt.
Vince stimmt die Resonanz positiv, dass sein Projekt bald Nachahmer finden könnte. "Fußball tritt bereits gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ein - warum nicht auch endlich gegen die Klimakrise?", fragt der Eigentümer. Derzeit arbeitet er deshalb mit den Vereinten Nationen an einer globalen Initiative, die das Thema Klimaschutz in der Welt des Sports auf die Agenda setzen soll.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als UN-Botschafter sprach er zudem im vergangenen Jahr vor den 55 Mitgliedern der UEFA. Seine Botschaft ist dabei klar: "Es gibt Milliarden von Sportfans auf der Welt und wenn wir die auf Umweltthemen hinweisen können, können wir eine große Wende im Kampf gegen den Klimawandel schaffen."