Im Januar 2006 war es endlich soweit und Frank Lampard Senior zeigte ganz offen, was er fühlte. Sein Sohn hatte gerade erstmals ein Tor gegen seinen Ex-Klub West Ham United erzielt, das zwischenzeitliche 1:0 beim 3:1-Sieg des FC Chelsea im Upton Park. Und Lampard Senior jubelte ausgelassen in der Vorstands-Loge von West Ham, zu der er stets Zutritt hat als sogenannte Vereinslegende.
Zu diesem Zeitpunkt kam er aber längst nicht mehr in seiner Funktion als Vereinslegende in die Vorstands-Loge im Upton Park, sondern in seiner Funktion als Vater eines Gegenspielers. Die Familie Lampard gehörte mal zu West Ham, wie es die Seifenblasen bis heute tun, aber von diesem Bündnis war im Januar 2006 nichts mehr übrig. Lampard Seniors offener Jubel war die finale Offenbarung einer Entfremdung.
Frank Lampard und West Ham: Vom Fan zum Profi
Lampard Senior wurde nahe des Upton Parks geboren, wechselte mit 14 Jahren in die Jugendabteilung und hielt in der Profimannschaft später jahrelang seinen Stammplatz als Linksverteidiger. Zweimal holte er mit West Ham den FA Cup, mit 670 Pflichtspieleinsätzen ist er heute Zweiter im Rekordspieler-Ranking. Eine Vereinslegende.
"Wenn man ihn aufgeschnitten hätte, hätte man weinrot-blaues Blut gesehen", sagte Harry Redknapp mal gegenüber The Athletic. Auch er stammt aus der Gegend, auch er kommt aus der Jugend von West Ham und Lampard Senior kennt er bestens, ist er doch schließlich sein Schwager. West Ham überall. Und in diesem Umfeld wuchs Frank Lampard Junior auf. "Auf allen seinen Kinderfotos trägt er ein West-Ham-Trikot", sagte Redknapp.
Bald durfte der junge Frank das Trikot nicht nur zum Spaß tragen, sondern auch als Jugendspieler von West Ham. 1994 kam er mit 16 Jahren in den Klub, im gleichen Jahr übernahm Redknapp das Cheftraineramt und machte Lampard Senior zu seinem Assistenten. Eineinhalb Jahre später wechselten sie den 17-jährigen Lampard Junior erstmals bei einem Pflichtspiel ein. Für ihn war es die süße Erfüllung eines Traums, für viele Fans hatte sie jedoch einen bitteren Beigeschmack.
Tony Cottee: "Frank hatte eine Einstellung wie sein Vater"
Spielt er nur, weil sein Onkel Trainer ist und sein Vater der Assistent? Oder ist er wirklich gut genug? Lampard war jedenfalls kein Naturtalent wie Innenverteidiger Rio Ferdinand, der etwa zeitgleich den Sprung aus der Jugend zu den West-Ham-Profis schaffte. "Rio fiel alles einfacher", erinnert sich ihr damaliger Mitspieler Tony Cottee gegenüber SPOX und Goal. "Frank wusste aber selbst genau, dass er sehr hart arbeiten musste, um zu erreichen, was er wollte."
Das tat er und Cottee erkannte in Lampard Junior dessen Vater wieder, mit dem er zu Beginn seiner Karriere ebenfalls zusammengespielt hatte: "Frank hatte die gleiche Einstellung wie sein Vater: Härter arbeiten, härter arbeiten, trainieren, trainieren, trainieren." Es lohnte sich, denn in der darauffolgenden Saison bekam Lampard Junior mehr und mehr Einsatzminuten. Immer öfter kam er in den Schlussminuten ins Spiel - er glänzte nicht, aber spielte solide. Mit jeder späten Einwechslung wuchsen jedoch die Vorbehalte der Fans.
Die Verschwörungstheorie gegen "Fat Frank"
"Es gab eine Verschwörungstheorie, wonach ich nur eingewechselt wurde, um Einsatzprämien zu kassieren", schrieb Lampard später in seiner Autobiografie. "Wie ein Krebsgeschwür" hätte sich dieses Gerücht in Fankreisen verbreitet.
Begab sich der damals 18-Jährige zum Aufwärmen, wurde er von den eigenen Fans beleidigt. "Setz dich wieder zu deinem Daddy", sei ihm zugerufen worden. Manchmal sogar garniert mit seinem Spitznamen "Fat Frank", den ihm Fans verpasst hatten, weil er bisweilen etwas mollig aussah. "Sehr unfair" sei der Umgang mit Lampard gewesen, sagte sein ehemaliger Jugendtrainer Tony Carr später.
Die Beleidigungen beschränkten sich irgendwann nicht mehr nur auf das Stadion, sondern erreichten den Alltag der ganzen Familie. Lampards Mutter sei damit konfrontiert worden und sogar seine Schwestern in Bars beim Ausgehen. Für den jungen Frank gab es kein Entkommen mehr. "Diese Wut der Fans verfolgte mich überall hin", schrieb er. "Wenn ich abends meine Augen schloss, habe ich daran gedacht. Und morgens beim Aufstehen auch."