Peter Krawietz vom FC Liverpool im Interview: "Klopps Tanz war wie Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen"

Peter Krawietz arbeitet seit vielen Jahren als Co-Trainer an der Seite von Jürgen Klopp.
© imago images / Pressefoto Baumann

Peter Krawietz ist langjähriger Begleiter von Jürgen Klopp und arbeitet beim FC Liverpool als Co-Trainer. Auch der 48-Jährige hat großen Anteil an der Entwicklung der Reds, die in dieser Saison zum ersten Meistertitel seit 30 Jahren führte. Am Mittwochabend wird dem LFC nach dem Heimspiel gegen den FC Chelsea (21.15 Uhr im LIVETICKER) die Trophäe überreicht.

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Im Interview mit SPOX und Goal spricht Krawietz über die Gründe für die sensationelle Liverpooler Saison, Klopps Meister-Tanz und die Handhabung der Corona-Krise in England.

Zudem äußert sich Krawietz zu Problemen mit dem Videobeweis in der Premier League und zwei neu eingekauften Talenten der Reds.

Herr Krawietz, vor dem Champions-League-Finale 2019 sagten Sie, der Titel in der Meisterschaft wäre Ihnen lieber. Nun haben Sie beide, doch die jeweiligen Feiern sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Bedauerlich?

Peter Krawietz: Nein. Es muss uns allen klar sein, in welchen Zeiten wir uns derzeit bewegen - und genau das muss etwas auslösen bei jedem Einzelnen. Was mich neben der weltweiten Pandemie zudem bewegt ist die Tatsache, dass es leider offenbar sehr, sehr notwendig ist, Rassismus weiter zu bekämpfen und aktive Zeichen dagegen zu setzen. Es ist daher umso wichtiger, das regelmäßig unermüdlich und überall zu wiederholen. In Anbetracht dieser Umstände kommt die ganz große Partystimmung bei mir nicht auf. Ich kann das nicht ausblenden und so tun, als wäre nichts gewesen. Ich mag auch nicht mit diesem vermeintlichen Schicksal hadern, dass wir nicht exzessiv feiern können. Da gibt es wesentlich Schlimmeres. Vielleicht führt das ja zu einer riesigen Gier, es erneut zu versuchen und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn mit der Welt wieder alles in Ordnung ist, so zu feiern, wie man es eigentlich gewohnt ist. Das wäre unser großer Wunsch.

Wie bewerten Sie speziell den gewonnenen Meistertitel?

Krawietz: Für den Verein war die Meisterschaft über mehrere Jahrzehnte hinweg beinahe eine Selbstverständlichkeit. Stellen Sie sich nur vor, wenn das dem FC Bayern München passieren und man dort 30 Jahren lang nicht die Schale gewinnen würde. Wenn man für den LFC arbeitet, bekommt man tatsächlich von Tag eins an mit, dass es hier in Sachen Meisterschaft zuletzt ein kleines Problem gab. (lacht) Wie sich unsere Gemeinschaft in den letzten fünf Jahren und speziell in den beiden letzten Spielzeiten entwickelt und ihren Weg gefunden hat, Fußball zu spielen, zu funktionieren, aktiv zu sein, ansehnlichen Fußball zu spielen sowie eine Haltung jeden Tag zu zeigen und zu pflegen, die darauf ausgerichtet ist, alles mit fairen Mitteln erreichen zu wollen und das mit einer positiven Ausstrahlung - da haben diese Jungs Maßstäbe gesetzt, die noch lange Zeit nachhallen werden. Ich ziehe alle Hüte vor unseren Spielern.

Liverpool ist vor dem Fernseher Meister geworden. Die Mannschaft hatte sich aber versammelt, um gemeinsam das Spiel zwischen Chelsea und Manchester City zu schauen, nach dessen Ende der Titel für die Reds feststand. Wer hatte die Idee dazu?

Krawietz: Das weiß ich gar nicht genau. Natürlich hätten wir uns gefreut, wenn es nach einem unserer Spiele passiert wäre, aber die Situation war nun eben einmal so wie sie war. Wir wollten den Moment auf jeden Fall zusammen verbringen anstatt jeder für sich zu Hause auf dem Sofa. Wir haben in unserem Quarantäne-Hotel Getränke besorgt und den Grill angeschmissen.

Hatten Sie mit Citys Punktverlust gerechnet?

Krawietz: Wir hatten keinerlei Erwartungen und waren relativ entspannt. Es hätte auch einfach nur ein netter Grillabend mit einem wie sich herausstellen sollte tollen Fußballspiel werden können. Die Partie war echt cool, so dass der Abend mit zunehmender Spieldauer ziemlich stimmungsvoll wurde und wir uns die Entscheidung schließlich auch gewünscht haben, nachdem der Kick immer mehr in unsere Richtung lief.

Wie ging es nach Schlusspfiff weiter und wann waren Sie im Bett?

Krawietz: So wild war es nicht, es blieb schon im Rahmen. So spontan es passierte, so eruptiv war es dann aber auch, weil uns allen eine große Last von den Schultern fiel. Es war ein echtes Teamerlebnis und ein schöner, wertvoller Moment, den wir gemeinsam teilen konnten - genau das war der Plan. Gegen zwei Uhr nachts bin die zwei Kilometer mit dem Fahrrad nach Hause gefahren. Das war auch noch erlaubt. (lacht)

Neben den zahlreichen Jubelarien der Spieler stach für die Öffentlichkeit vor allem Jürgen Klopps Tänzchen hervor.

Krawietz: Das war wie "Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen", ein sensationelles Lied von Nico Haak aus den 1970er Jahren. (lacht) Von Zeit zu Zeit zeigt er diese Künste, glücklicherweise nicht jeden Tag und eventuell nur einmal im Jahr. Meine Überraschung hielt sich daher in Grenzen, die Freude der Spieler war dafür umso größer. Das sind eben solche Momente, in denen auch wir einfach einmal loslassen und Mensch sein dürfen.

Der Liverpooler Lauf in dieser Saison war atemberaubend. Erklären Sie doch einmal, weshalb die Mannschaft im Jahr nach dem CL-Sieg eine solch starke Runde gespielt hat, dass sie beinahe unbesiegbar schien?

Krawietz: Neben den bereits erwähnten Eigenschaften der Gruppe war sicherlich unsere Konstanz außergewöhnlich. Die Mannschaft ist mittlerweile sehr eingespielt und aufeinander abgestimmt. Wir waren alle drei Tage für die jeweiligen Aufgaben stark genug, dass es am Ende meist für drei Punkte reichte. Wir sind auch in schwierigen Spielen ruhig geblieben, haben an unseren Stil geglaubt und ihn mit unseren Mitteln durchgezogen.

Viele andere Teams sind nach dem Gewinn der Königsklasse in der Liga abgesackt. Wie schafft man es, die Motivation der Spieler so hochzuhalten, dass sie sich sagen: Diese beiden Titelgewinne waren ein solch tolles Gefühl, das möchten wir wieder haben?

Krawietz: Es kann eben über eine sehr starke und harmonierende Gruppe funktionieren, in der es verschiedene Charaktere und Typen gibt, die aber von einer inneren Stärke lebt. Diese Stärke hat unsere Mannschaft absolut bewiesen. Durch den Sieg in der Champions League ist natürlich etwas gewachsen. Das Team zeichnet sich dadurch aus, dass es sich weiterentwickeln möchte. Es zeigt bislang keine Anzeichen von Müdigkeit, sie wollen alle weiter besser werden. Das ist für mich die Basis und der Schlüssel zu allem. Wir arbeiten weiter daran, dass wir die Jungs auf hohem Niveau stabil halten und zusätzliche Lösungsmöglichkeiten für unser Spiel entwickeln.

Wäre es nicht menschlich, wenn nach diesen beiden Highlight-Saisons ein wie auch immer gearteter Leistungsabfall stattfinden würde?

Krawietz: Ich ziehe da gerne einen Vergleich zum Tennis. Rafael Nadal, Roger Federer und Novak Djokovic schaffen es über viele Jahre hinweg, ihre Spielweise zu entwickeln. Würde Nadal heute noch so spielen, wie er spielte, als er das erste Mal die French Open gewann, würde er mittlerweile nichts mehr gewinnen. Sie schaffen es kontinuierlich, gegenseitig die Motivation hochzuhalten und von Neuem jeden Tag bereit zu sein, jedwede Schwierigkeiten überwinden zu wollen. Sie haben diesen besonderen Ehrgeiz, ihr Spiel zum Maximum treiben zu wollen. Das ist für diese Herausforderung auch eine absolute Notwendigkeit.