Fan-Wut, Star-Kritik und UEFA-Druck: 5 Gründe für den Ausstieg der England-Elite aus der Super League

Dennis Melzer
22. April 202111:00
The Kop: Die legendäre Tribüne an der Anfield Road.imago images
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48 Stunden nach Gründung der Super League ist das Mega-Projekt schon wieder am Ende. Ausgerechnet die englischen Eliteklubs gaben den Anstoß - weil sie sich mit einem einzigartigen Bündnis konfrontiert sahen.

Die Super League, so hatte es sich insbesondere Real-Präsident Florentino Perez ausgemalt, sollte den Fußball revolutionieren. 48 Stunden nach den kollektiven Beitritts-Statements der zwölf Möchtegern-Elitären ist klar: Das Projekt wird als eine der größten Possen in die Annalen des Sports eingehen, der Wunsch nach einem fußballerischen Utopia, in dem der Mammon den Alleinherrscher gibt, ist nur noch Schall und Rauch.

Weil die sogenannten "Big 6", Englands von Großinvestoren gelenkte Spitzenklubs, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ihren Rückzug erklärt hatten, gab Juventus-Boss und Hauptantreiber Andrea Agnelli wenige Stunden später das Aus bekannt. Atletico, Inter und Milan traten dann ebenfalls aus, was praktisch nur noch eine Randnotiz war.

Dass Agnellis Anführer-Kollege Perez im Anschluss bei Cadena SER wie ein trotziger Kapitän, der nicht wahrhaben möchte, dass sein Luxusdampfer gerade havariert, auftrat, das Konstrukt weiterhin lobte und auf lediglich Stand-by schaltete, fiel dabei nicht sonderlich ins Gewicht. Ohne die Großen aus England keine Super League.

Doch was bewog speziell die Vertreter von der Insel dazu, den Austrittsstein ins Rollen zu bringen? Die Gründe sind mannigfaltig.

1. Fans gehen gegen die Super League auf die Barrikaden

Der Vorwurf, dass das Gros der Großinvestoren längst den Bezug zur Fan-Basis des eigenen Klubs verloren habe, steht bereits seit längerer Zeit im Raum. Dass die betroffenen Personen den möglichen Widerstand der Anhänger gegen die Super League aber ganz offensichtlich derart unterschätzt haben, untermauerte die These eindeutig.

Liverpool-Fans beerdigten ihre große Liebe symbolisch mit Zaunbannern, Chelsea-Anhänger zogen durch die Straßen, skandierten, hielten Plakate hoch, machten deutlich, dass sie die keinerlei Interesse an einer geschlossenen Elite-Liga haben, sondern beispielsweise weiterhin kalte Nächte im regenreichen Stoke-on-Trent erleben möchten.

Der Tenor der Proteste: Wenige Reiche zerstören den Volkssport Nummer eins, handeln vorsätzlich gegen die Interessen der eigentlichen Fans, um andere Teile der Welt zu erschließen und die Geld-Kuh Fußball damit noch weiter melken zu können.

FC Liverpool: Fanproteste gegen höhere Ticketpreise und Kurzarbeit

Dabei hätten gerade die Liverpool-Verantwortlichen ihre Fans besser einschätzen müssen. Schon 2016, als die Fairway Sports Group des US-Amerikaners John W. Henry, die neben dem LFC auch die Boston Red Sox besitzt, höhere Ticketpreise an der Anfield Road aufrufen wollte, regte sich Widerstand in der Szene. 10.000 Fans verließen bei einem Heimspiel gegen Sunderland seinerzeit symbolträchtig das Stadion, schließlich lenkte die Führung ein und versicherte, dass es zwei Jahre lang keine Erhöhung geben würde.

Vor einem Jahr, als die Corona-Pandemie Fahrt aufnahm und etliche Vereine in finanzielle Nöte trieb, schickte der Klub seine Mitarbeiter in Zwangsurlaub und Kurzarbeit, wofür er abermals Kritik erntete. Wenige Tage nach der Ankündigung folgte die Kehrtwende.

Umso erstaunlicher also, dass Klubeigner Henry dem Super-League-Beschluss, der eine solch enorme, beispiellose Tragweite für den Verein bedeutet hätte, zustimmte. Neben all der Proteste, die vor dem Stadion stattfanden, drohte die einflussreiche Fan-Gruppierung "The Spion Kop 1906" damit, alle Banner und Flaggen aus dem Stadion zu entfernen.

"Diese Warnung mag nicht sonderlich spektakulär klingen", sagt Neil Jones, der sich als Liverpool-Korrespondent für Goal tagtäglich mit den Reds auseinandersetzt. Er schiebt nach: "Aber, wenn sich eine große Fangruppe dazu entschließt, Banner und Flaggen zu entfernen, was einem Boykott gleichkommen würde, steht der Verein öffentlich sehr schlecht da. Wenn du The Kop verlierst, verlierst du quasi alles."

Von den Reaktionen augenscheinlich überrascht, gab Henry ein Statement ab, bat in einer Videobotschaft um Entschuldigung. "Es versteht sich von selbst, sollte aber gesagt werden, dass das hervorgebrachte Projekt ohne den Rückhalt der Fans niemals Bestand haben würde. In diesen 48 Stunden habt ihr sehr deutlich gemacht, dass es keinen Bestand hat. Wir haben euch gehört. Ich habe euch gehört", sagte er. Die Presseabteilung des FC Arsenal veröffentlichte noch in der Nacht auf Mittwoch auf diversen Social-Media-Plattformen ebenfalls ein Entschuldigungsschreiben.

Die Fans trugen einen wichtigen, vielleicht sogar den größten Teil zum prompten Einstampfen sämtlicher Super-League-Pläne bei. Sie waren aber nicht die einzigen, die ihrem Unmut Luft machten.

2. Trainer und Spieler lehnen sich gegen Super League auf

Auch damit dürften die Verfechter der Komplett-Kommerzialisierung nicht gerechnet haben: Namhafte Trainer, allen voran ManCity-Coach Pep Guardiola, waren von der angeblichen Fußball-Revolution überhaupt nicht angetan. Auch Jürgen Klopp, der quasi als erster prominenter Übungsleiten Stellung zur Super League beziehen musste, hielt an seiner kritischen Meinung, die er bereits vor zwei Jahren geäußert hatte, fest.

"Sport ist kein Sport, wenn kein Verhältnis zwischen Anstrengung und Belohnung existiert. Es ist kein Sport, wenn der Erfolg schon garantiert ist. Es ist kein Sport wenn es nichts ausmacht ob du verlierst", sagte Guardiola in einer Pressekonferenz und setzte damit ein Zeichen gegen das Vorhaben.

Jürgen Klopp wurde ebenfalls mit der Super League konfrontiert: "Ich habe schon einige Male gesagt, auch 2019 bereits: Nein, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist", erklärte der ehemalige Dortmunder und stellte klar, dass er nicht in die Pläne der Klubspitze eingeweiht worden war. Dementsprechend appellierte er an die eigenen Fans, nicht ihn oder sein Team für den Schlamassel verantwortlich zu machen.

Auch Spieler positionierten sich klar gegen die Super League.getty

Führungsspieler kritisieren Super League - mit Erfolg

James Milner, einer der erfahrenen Führungsspieler aus besagtem Team, machte aus seiner Abneigung gegen die Super League in der Folge keinen Hehl: "Ich mag es kein bisschen und hoffe, dass es nicht passiert", erklärte er im Gespräch mit der BBC. "Die Leute sind nicht glücklich damit, das kann ich verstehen. Ich kann nicht viel mehr sagen, weil wir nicht in den Prozess eingebunden sind - nicht die Spieler und ich auch nicht - wir haben davon nichts gewusst."

Milners Mannschafts-Kollege und -Kapitän Jordan Henderson berief übereinstimmenden Medienberichten zufolge sogar eine Krisensitzung mit allen Premier-League-Spielführern ein, die Daily Mail meldete zudem, dass die gesamte Mannschaft von ManUnited auf ein Gespräch mit Boss Ed Woodward gedrängt habe, um ihren Ärger zum Ausdruck zu bringen. Wenige Stunden später gab der Klub bekannt, dass Woodward sein Amt als Red-Devils-Geschäftsführer zum Jahresende niederlegen werde.

Hätten ausschließlich die Fans aufbegehrt, die Trainer und Spieler jedoch verlauten lassen, sich mit der Super League anfreunden zu können, wäre es womöglich nie zu einer Kehrtwende gekommen.

3. Super-League-Kritik: TV-Experte Gary Neville wird zum Sprachrohr

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Gary Nevilles Wutrede ausgerechnet im Pay-TV-Sender Sky ausgestrahlt wurde, gelten doch - gerade bei Traditionalisten - derlei Medienkonzerne als Wegbereiter der Fußball-Kommerzialisierung.

Dennoch traf der frühere englische Nationalspieler bei den Zuschauern einen Nerv, redete sich unverblümt das von der Seele, was viele Menschen dachten, als sie über die Presse von der Super League erfuhren. "Ich bin Manchester-United-Fan, ich bin das seit 40 Jahren - aber ich bin empört, total empört", sagte die Red-Devils-Legende, die seit einigen Jahren als TV-Experte für Sky tätig ist.

Er führte aus: "Das ist kriminell. Das ist ein krimineller Akt gegen die Fans! Das ist eine Schande!" Neville bewertete das Vorgehen der sechs englischen Vereine als Verrat der eigenen Werte und Geschichte. "Das ist reine Geldgier. Das sind Hochstapler", meinte Neville und forderte als Reaktion: "Das sollte verdammt werden!"

Neville erntete im Anschluss viel Lob für seine Offenheit, avancierte in nur wenigen Minuten zum Sprachrohr der Super-League-Gegner. Die Offenheit animierte später viele weitere Ex-Fußballer dazu, sich ebenfalls nicht mit ihrer Kritik zurückzuhalten. Der einstige Weltklasse-Kicker Luis Figo twitterte: "Diese sogenannte "Superleague" ist alles andere als "super." Dieser gierige und gefühllose Schritt würde eine Katastrophe für unsere Basis, den Frauenfußball und die breitere Fußballgemeinschaft bedeuten." Der Portugiese warf den involvierten Klubeigentümern außerdem vor, nur noch im eigenen Interesse zu handeln.

Podolski, Özil, Schweinsteiger: Vereint gegen die Super League

Auch ehemalige DFB-Stars schossen in Richtung der Abtrünnigen. Lukas Podolski, der in der Vergangenheit bei gleich zwei der zwölf Super-League-Gründern unter Vertrag stand (Arsenal und Inter), schrieb: "Dieses Projekt ist ekelhaft, unfair und ich bin enttäuscht, dass Klubs dabei sind, die ich repräsentiert habe." Mesut Özil, mittlerweile in Diensten von Fenerbahce, aber mit langer Vergangenheit bei Real Madrid und Arsenal, schloss sich an: "Der Genuss an den großen Spielen ist, dass es sie nur ein- oder zweimal im Jahr gibt, nicht jede Woche. Die Pläne sind für alle Fußballfans da draußen wirklich schwer nachzuvollziehen."

Selbst der sonst eher besonnene Bastian Schweinsteiger sah sich berufen, die Super League zu kritisieren: "Wenn die Super League realisiert wird, wird sie den Fußball, wie wir ihn kennen, zerstören, und das ist für mich ein sehr trauriger Gedanke", schrieb er auf Twitter.

Nur einige wenige Beispiele, die darlegen, wie groß der Sturm der Entrüstung selbst bei den Altgedienten, die selbst nicht direkt von den Plänen betroffen sind, war.

4. UEFA-Drohgebärden gegen Super League verfehlen Ziel nicht

Es wäre gänzlich vermessen, die UEFA, die soeben ihre umstrittene Champions-League-Reform durchgeboxt hat, als Gralshüter und Retter des Fußballs zu lobpreisen. Dem ist sicherlich nicht so, dennoch spielte der mächtige Verband eine wichtige Rolle dabei, die Super League zu verhindern - und durfte dabei sogar (endlich) einmal mit dem Finger auf "die Anderen" zeigen.

UEFA-Boss Aleksander Ceferin inszenierte sich als Fan-Versteher, bezeichnete die zwölf Klubs als "dreckiges Dutzend", für das die Anhänger "nur noch Konsumenten" seien. Die Quintessenz seiner Schimpftirade war: "Meiner Meinung nach müssen die Teams und Spieler von all unseren Wettbewerben ausgeschlossen werden. Es wird ihnen auch nicht mehr erlaubt sein, für ihre Nationalmannschaften aufzulaufen."

Hätte bedeutet, dass zahlreiche Stars bei künftigen Europameisterschaften und Weltmeisterschaften fehlen würden. Zusätzlich machten Gerüchte die Runde, sämtlichen zwölf Größen könnten ihre in der Vergangenheit in UEFA-Wettbewerben, wozu auch die nationalen Ligen zählen, erlangten Titel aberkannt werden, Ausschlüsse sowohl aus Premier League, Serie A und LaLiga als auch der noch laufenden Champions- und Europa-League wurden thematisiert.

UEFA drohte Super-League-Gründern mit Champions-League-Rauswurf

UEFA-Exekutivkomitee-Mitglied Jesper Moller wurde diesbezüglich sogar konkret: "Sie müssen gehen. Ich rechne damit am Freitag. Dann müssen wir uns überlegen, wie wir diese Champions-League-Saison beenden", sagte der Däne im Interview mit dem Sender DN.

Inwiefern die rechtliche Legitimation für einen Spieler-Ausschluss von Nationalmannschaften oder den Rausschmiss aus den europäischen Liga-Wettbewerben gegeben ist, wurde zunächst nicht geklärt. Dies wolle man prüfen, kommunizierte Ceferin. Gleichzeitig ließ er die UEFA-Tür für die zwischenzeitlich Davongeeilten allerdings einen Spalt offen.

Durch ebenjenen Spalt müssen die binnen 48 Stunden Gebrandmarkten nun schreiten. Es dürfte mutmaßlich nicht lange dauern, bis Ceferin, der sich vielleicht auch künftig gerne in der Rolle des Robin Hoods gesehen hätte, wieder zum Sheriff von Nottingham für die Fans wird. Seine Drohgebärden haben jedoch Wirkung gezeigt.

5. Boris Johnson vs. Super League - die Politik mischt sich ein

Boris Johnson fiel bisher nicht als großer Fußball-Aficionado auf, das wird der ehemalige deutsche Nationalspieler Maurizio Gaudino wohl bestätigen können. Bei einem Charitymatch senste der heutige britische Premierminister den früheren Frankfurter derart um, dass dieser zunächst mit schmerzverzerrtem Gesicht liegenblieb.

Johnson hat kein sonderlich ausgeprägtes Ballgefühl, als waschechter Populist hat er allerdings ein Gespür dafür, wann er den Anpacker mimen muss. Am Montag war es soweit, der wildfrisurige Stratege hatte gemerkt, dass Teile des Volkes gegen eine Entwicklung aufbegehren, die das selbsternannte Mutterland des Fußballs in eine tiefe Fußball- Krise gestürzt hätte.

"Das sind keine guten Nachrichten für Fans und auch keine guten Nachrichten für den Fußball in diesem Land", sagte Johnson bei einem Besuch in der Grafschaft Gloucestershire. Johnson weiter: "Es sind Klubs, die aus ihren Orten und Städten, aus ihren lokalen Gemeinschaften stammen. Sie sollten eine Verbindung zu diesen Fans und zur Fangemeinde in ihren Gemeinden haben." In einem Gastbeitrag für das Boulevard-Blatt The Sun legte er noch einmal nach: "Ich werde alles tun, was ich kann, um diesem lächerlichen Plan die Rote Karte zu zeigen."

Prominente Unterstützung erhielt Johnson von Prinz William, bekennender Aston-Villa-Fan. "Jetzt müssen wir mehr denn je die gesamte Fußballgemeinschaft - von der obersten Ebene bis zur Basis - und die Werte von Wettbewerb und Fairness in ihrem Kern schützen", schrieb er auf Twitter. Auch EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas schaltete sich via Twitter ein: "Wir müssen ein werteorientiertes europäisches Sportmodell verteidigen, das auf Vielfalt und Inklusivität basiert."

Eine absolute Seltenheit, dass die Politik, vor allem die wichtigsten Staatsoberhäupter, sich in solch einem Maße in eine sportliche Debatte einschaltet. Dass selbst aus dieser Richtung Gegenwind blasen würde, hatten die Super-League-Befürworter wohl überhaupt nicht auf dem Radar.

Super League: Das waren die zwölf Teilnehmer

TeamsLiga
Manchester CityPremier League
Manchester UnitedPremier League
FC LiverpoolPremier League
FC ChelseaPremier League
FC ArsenalPremier League
Tottenham HotspurPremier League
Real MadridPrimera Division
FC BarcelonaPrimera Division
Atletico MadridPrimera Division
JuventusSerie A
AC MilanSerie A
Inter MailandSerie A