Manchester United hat gegen den FC Liverpool eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Klubgeschichte erlebt. Es war eine historische Demütigung, die die ohnehin schon vorhandene Krise im Old Trafford weiter verschärfte. Ein gestandener Spieler wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko, für Trainer Ole Gunnar Solskjaer wird es ungemütlich. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die in den vergangenen Jahren bereits leidgeprüften Fans von Manchester United hatten genug gesehen. Als Mohamed Salah in der 50. Minute nach einem traumhaften Zuspiel auch noch sein drittes Tor an diesem Abend erzielte, erhoben sich die Anhänger der Red Devils.
Nicht etwa, um dem aktuell vielleicht besten und komplettesten Fußballer der Welt zu applaudieren. Sie wollten einfach nur weg. Dem Grauen, das sich ihnen seit 50 Minuten im Old Trafford bot, einfach nur entkommen.
In der 65. Minute schaltete der übertragende TV-Sender Sky auf eine Außenaufnahme um, die zeigte, wie Massen von Fans das Stadion verließen. Ein Sinnbild für die Tragweite des Debakels. Ein anderes war eine Aufnahme von Klubikone Sir Alex Ferguson, der auf der Tribüne fassungslos den Kopf schüttelte.
Fassungslosigkeit herrschte an diesem Sonntagabend in Manchester überall. Doch wie geht es nun weiter mit Cristiano Ronaldo und Co. - und besonders mit dem ohnehin in der Kritik stehenden Trainer Ole Gunnar Solskjaer? Und warum funktioniert das Starensemble der Red Devils nicht auf dem Platz?
Manchester United: Wie schlimm war das Liverpool-Debakel?
Die 0:5-Pleite gegen den alten Rivalen von der Mersey war nicht nur schlimm, sie war historisch. Nur ein einziges Mal hatte United gegen Liverpool ebenfalls 0:5 verloren - und das im Jahr 1925. "Keiner konnte sich daran erinnern", staunte auch Liverpool-Trainer Jürgen Klopp über die denkwürdigen Dimensionen des Spiels.
Der Pausenrückstand von 0:4 war hingegen ein Novum in der Premier-League-Geschichte des einst so ruhmreichen Rekordmeisters. Tatsache: Das Theater der Träume, wie das Old Trafford auch genannt wird, es war an diesem Abend ein Theater der Albträume - zumindest aus Sicht der Gastgeber.
"Inakzeptabel", nannte Klublegende Gary Neville die Vorstellung von United, über die sich auch Bastian Schweinsteiger, von 2015 bis 2017 selbst für Manchester aktiv, echauffierte. "Ein verheerender Tag für alle ManUnited-Fans und den Klub, aber es kam nicht aus dem Nichts. Es war keine Überraschung", twitterte der ehemalige deutsche Nationalspieler.
United gegen Liverpool "wie der betrunkene Onkel auf der Hochzeitsparty"
Solskjaer sprach derweil vom "dunkelsten Tag" seiner bisherigen Trainerkarriere. So hilflos wie der Norweger nach Abpfiff wirkte, agierten seine Spieler 90 Minuten lang. Der Guardian verglich die Leistung der Red Devils mit einem "betrunkenen Onkel auf einer Hochzeitsparty", verglichen mit dem alles überragenden Salah, der als erster Spieler nach Ronaldo (dem Brasilianer) anno 2003 einen Dreierpack im Old Trafford schnürte.
Die Hilflosigkeit und die Frustration über die eigene Unterlegenheit brach sich bei Manchester schließlich in Aggression bahn: Cristiano Ronaldo wandelte gegen Curtis Jones am Rande der Tätlichkeit, weswegen die internationalen Sportgazzetten dem Portugiesen gar den Verlust seines Verstandes attestierten.
Der eingewechselte Paul Pogba trat mit einer brutalen Grätsche Naby Keita vom Platz und sah vollkommen zurecht die Rote Karte. Sechs weitere Spieler von United wurden zudem mit einer Verwarnung bedacht. Eine ähnlich große Kartensammlung hatte United zuletzt im September 2008 gegen Chelsea.
In Unterzahl komplettierte United ab der 61. Minute nur noch 56 Pässe. Im Vergleich dazu brachte Jordan Henderson auf Liverpools Seite 84 Zuspiele im gleichen Zeitraum an den Mann. Nur ein statistischer Ausdruck des Klassenunterschieds, der sich nicht erst seit dem Platzverweis gegen Pogba zeigte.
ManUnited mit schwachen Auftritten: Was sind die Probleme?
Vier Gegentore gegen Leicester, zwei gegen Atalanta in der Champions League, jetzt fünf Stück gegen Liverpool: Seitdem Raphael Varane verletzungsbedingt ausfällt, ist die United-Defensive das berühmt berüchtigte Scheunentor. Doch auch mit Varane war United schon anfällig.
Ein einziges Mal blieben die Red Devils in dieser Spielzeit ohne Gegentor - am 3. Spieltag gegen die Wolverhampton Wanderers. Damit rangiert Manchester in der Premier League auf Platz 18. Selbst das abgeschlagene Schlusslicht Norwich hat bereits zwei Zu-Null-Spiele auf dem Konto.
Noch finsterer sieht es bei Tacklings pro Spiel und individuellen Fehlern aus, die zu gegnerischen Torschüssen führen. In beiden Kategorien ist United in der Premier League das Schlusslicht. Als Sinnbild dafür dient die Entstehung des 0:2 gegen Liverpool durch Diogo Jota, in dessen Vorfeld sich Harry Maguire und Luke Shaw gegenseitig über den Haufen rannten und Trent Alexander-Arnold den Ball zur Torvorlage schenkten.
Bereits vor wenigen Wochen hatte beispielsweise Pogba die "dummen Gegentore" angesprochen, die United kassiert. Gegen Leicester war es ebenfalls Maguire, der vor Youri Tielemans' 1:0 böse patzte, zudem sah er bei beiden Gegentoren in der Königsklasse gegen Atalanta im Stellungsspiel nicht gut aus. Der Kapitän, der bei der EM noch so überzeugt hatte, ist aktuell nach seiner Wadenverletzung ein zunehmendes Sicherheitsrisiko, gleichzeitig aber auch in Abwesenheit des verletzten Varane alternativlos.
Manchester United und die Suche nach dem idealen Zentrum
Doch die Probleme von United nur auf die Viererkette abzuladen, würde zu kurz greifen. Nach wie vor sucht Solskjaer nach seiner idealen Besetzung für das Mittelfeldzentrum. Erstmals überhaupt setzte er auf der Doppelsechs zweimal hintereinander auf das gleiche Duo bestehend aus Scott McTominay und Fred, weil sich beide offenbar nach Meinung des Norwegers beim 3:2-Comebacksieg über Atalanta bewährt hatten.
Bereits sieben unterschiedliche Kombinationen hatte Solskjaer bis dahin ausprobiert und nach der 0:5-Klatsche könnte nun die achte folgen. An eine grundsätzliche Eingespieltheit ist da kaum zu denken. Welch weitreichende Auswirkungen dies haben kann, zeigte die 2:4-Pleite gegen Leicester, nach der selbst der gegnerische Trainer Brendan Rodgers offen angesprochen hatte, warum es so leicht war, gegen Manchester Tore zu machen. "Ihre zentralen Spieler haben nicht gepresst. Deshalb konnten wir uns den Ball geduldig zuspielen", sagte Rodgers.
In der Arbeit gegen den Ball ist auch Cristiano Ronaldo statistisch gesehen ein Problem, weil er in der Sturmspitze kaum Pressingsituationen erzeugt. Ronaldos Wert von 4,26 pro Spiel sind mannschaftsintern laut des Statistik-Portals FBRef.com der zweitschlechteste nach Innenverteidiger Victor Lindelöff.
Manchester United hat ein Offensivproblem: Vorne hilft nur Qualität
Zu all den Unzulänglichkeiten in der Defensive, wo ausgerechnet der Anführer immer mehr zum Risiko wird, dem uneingespielten Mittelfeldzentrum und der fehlenden (gesunden) Aggressivität in den Zweikämpfen und beim Anlaufen gesellt sich außerdem noch eine große Planlosigkeit im Spiel nach vorne.
Solskjaer schafft es nicht, seiner mit Stars und Qualität nur so gespickten Offensive ein klares und durchdachtes Konzept zu geben. Bei eigenem Ballbesitz lautet die Devise: Irgendeiner der zahlreichen brillanten Spieler wird es schon irgendwie richten. Im Zweifel hat CR7 den richtigen Riecher und nickt eine Shaw-Flanke zum Last-Minute-Sieg ein.
Dass das für eine Offensive mit Spielern wie Ronaldo, Mason Greenwood, Marcus Rashford, Edinson Cavani, Anthony Martial, Jadon Sancho, Jesse Lingard und Bruno Fernandes aber viel zu wenig ist, dürfte jedem klar sein, weshalb die Kritik an Solskjaer in den vergangenen Wochen immer lauter wurde - selbst nach Siegen.
"Ich habe mir das Spiel angeschaut und habe an Liverpool am Sonntag gedacht", sagte United-Legende Paul Scholes bei BT Sport nach dem 3:2-Sieg gegen Atalanta am Mittwoch in der Champions League, bei dem Manchester einen 0:2-Pausenrückstand noch drehen konnte. "Die beiden zentralen Mittelfeldspieler spielen nur für sich. Wenn du das gegen Liverpool machst, liegst du zur Halbzeit 0:3 oder 0:4 zurück und erholst dich davon nicht mehr", warnte Scholes in seiner Fehleranalyse - und sollte Recht behalten.
Manchester United: Wird Solskjaer nun entlassen?
Es ist fast genau ein Jahr her, da stand Solskjaer schon einmal als United-Trainer vor dem Abgrund. Damals, Anfang Oktober 2020, kassierte Manchester eine 1:6-Pleite gegen Tottenham - gemeinsam mit dem legendären Derby gegen ManCity anno 2011 die höchste Premier-League-Pleite der Klubgeschichte.
Damals hielten die United-Bosse an Solskjaer fest und wurden am Ende durchaus dafür belohnt: In der Liga sprang mit der Vizemeisterschaft die beste Platzierung seit 2018 raus. In der Europa League platzte der Traum vom Titel erst in einem dramatischen Final-Elfmeterschießen gegen Villarreal.
Den gleichen Effekt erhoffen sich die Verantwortlichen auch jetzt. Nach Informationen von SPOX und Goal glaubt man beim Rekordmeister weiterhin daran, dass die Mannschaft mit Solskjaer als Trainer auf dem richtigen Weg ist und sich die Dinge unter dem Norweger weiter verbessern werden.
Einen Rücktritt aufgrund des nun immer größer werdenden (medialen) Drucks schloss Solskjaer, der seinen Vertrag erst im Juli um drei Jahre verlängert hatte, unmittelbar nach der Klatsche gegen Liverpool aus. "Nein, ich denke nicht ans Aufgeben. Dafür sind wir zu weit gekommen als Gruppe und wir sind zu nah dran, um aufzugeben", sagte der 48-Jährige.
Für Jan-Aage Fjörtoft, Eintracht-Frankfurt-Legende und TV-Experte, ist das Aus von Solskjaer bei United jedoch "nur noch eine Frage der Zeit", wie er via Twitter sagte. Das habe nichts mit Solskjaer persönlich zu tun, jedoch sei die Erwartungshaltung nach dem großen Transfersommer, in dem Ronaldo, Varane und Sancho kamen, nun eine andere. Mit Blick auf die bevorstehenden Spiele gegen Tottenham, Atalanta und Manchester City steht Fjörtoft mit seiner Meinung auch nicht alleine da.
Solskjaer-Entlassung: Welche Trainerkandidaten gibt es?
Sollten die Red Devils doch früher als später die Reißleine ziehen und Solskjaer entlassen, kämen wohl aktuell besonders zwei Trainer-Größen als Nachfolger in Frage: Antonio Conte und Zinedine Zidane, die beide aktuell vereinslos sind.
Conte hat bereits mit Chelsea bewiesen, dass er eine Mannschaft zum Premier-League-Titel coachen kann. Generell holte er bei seinen vergangenen drei Trainerstationen (Juventus, Chelsea, Inter) immer mindestens einen Meistertitel.
Zidane hingegen zeigte bei Real, dass er ein Starensemble erfolgreich führen kann - und das ist angesichts von drei Champions-League-Titeln und zwei Meisterschaften noch untertrieben. Bei United würde er in Ronaldo und Varane außerdem auf zwei Vertraute aus seiner Zeit bei den Königlichen treffen.
ManUnited vor schweren Spielen: Was kann Hoffnung machen?
Tottenham auswärts, Atalanta auswärts, Manchester City im Old Trafford: Das Programm der Red Devils in den kommenden Wochen vor der Länderspielpause hat es in sich. Weil bis dahin wohl keine Konsequenzen aus dem Debakel auf dem Trainerstuhl zu erwarten sind, wird Solskjaer wohl zunächst seine Mannschaft auf ein paar Positionen umstellen.
Maguire wäre ein Kandidat für eine Pause, allerdings ist er in Abwesenheit von Varane nahezu alternativlos. Ein Star, der in naher Zukunft kaum eine Rolle spielen könnte, ist Pogba. Der Franzose hatte nach einem schwachen Auftritt gegen Leicester seinen Stammplatz verloren, nach Einwechslung gegen Atalanta überzeugt und nun seiner Mannschaft mit einem Platzverweis gegen Liverpool nur 15 Minuten nach seiner Einwechslung einen Bärendienst erwiesen.
Er soll laut Mirror-Angaben zu jenen Spielern zählen, denen Solskjaer nicht mehr vertraue. "Jeder Trainer wollte ihm vertrauen, ihn den Spieler sein lassen, der er sein wollte. Aber mit all der Aufregung um seinen Vertrag nimmt er den Klub als Geisel. Und dann macht er auch noch sowas? Er wird ja vermutlich wieder spielen, aber ich denke nicht, dass er ihnen fehlen würde, wenn er nie wieder für United spielt", zürnte Scholes am Sonntag.
Neben personellen Veränderungen - möglicherweise erhält auch Jadon Sancho mal wieder den Vorzug vor Mason Greenwood - könnte ein anderer Faktor außerdem noch durchaus für kleine Hoffnungsschimmer sorgen: die ab und zu aufkeimende mentale Stärke der Red Devils.
Zwar überzeugten CR7 und Co. spielerisch nur selten in dieser Spielzeit, zeigten aber immer wieder die gern zitierte Mentalität in den Schlussakkorden eines Spiels, das auf der Kippe steht. Gegen West Ham beispielsweise, als Lingard in der 89.Minute das 2:1 schoss und David de Gea in der Nachspielzeit einen Elfmeter parierte. Oder gegen Villarreal, als Ronaldo in der fünften Minute der Nachspielzeit den 2:1-Siegtreffer schoss. Oder eben gegen Atalanta, als United einen 0:2-Pausenrückstand noch drehte.
Premier League: ManUnited in der Tabelle schon abgeschlagen
Platz | Mannschaft | Sp. | Dif. | Pk. |
1 | Chelsea FC | 9 | 20 | 22 |
2 | Liverpool FC | 9 | 21 | 21 |
3 | Manchester City | 9 | 16 | 20 |
4 | West Ham United | 9 | 6 | 17 |
5 | Brighton & Hove Albion | 9 | 0 | 15 |
6 | Tottenham Hotspur | 9 | -4 | 15 |
7 | Manchester United | 9 | 1 | 14 |
8 | Everton FC | 9 | 1 | 14 |
9 | Leicester City | 9 | 0 | 14 |
10 | Arsenal FC | 9 | -3 | 14 |
11 | Wolverhampton Wanderers | 9 | 0 | 13 |
12 | Brentford FC | 9 | 2 | 12 |
13 | Aston Villa | 9 | -2 | 10 |
14 | Watford FC | 9 | -5 | 10 |
15 | Crystal Palace | 9 | -3 | 9 |
16 | Southampton FC | 9 | -4 | 8 |
17 | Leeds United | 9 | -8 | 7 |
18 | Burnley FC | 9 | -8 | 4 |
19 | Newcastle United | 9 | -9 | 4 |
20 | Norwich City | 9 | -21 | 2 |
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