Manchester City und Erling Haaland sind eigentlich grundverschieden. Und doch scheint der Anpassungsprozess für beide gewinnbringend zu sein. Über den Mythos der wenigen Ballkontakte und die veränderte Rolle des Norwegers.
Erling Haaland und Manchester City. Passt das? Auch nach vier Premier-League-Spieltagen und sechs Treffern des Norwegers begleitet diese Frage den Alltag der Skyblues. Oder viel mehr das Umfeld. Denn Pep Guardiola hat seine Meinung dazu mehrfach klar geäußert: Eine Systemanpassung wegen einzelner Neuzugänge werde es nicht geben. "Wir werden ihre Qualitäten in unser Spiel integrieren", erklärte der mehrfache Champions-League-Sieger.
Rund um seine acht Ballkontakte beim Bournemouth-Sieg wurde das Fass erneut aufgemacht: Wie gut kann seine Spielweise mit der seines neuen Klubs harmonieren? In den letzten Jahren kam der 22-Jährige vor allem über Physis und Tempo. Sein Gespür für die Schnittstellen und Zwischenräume in einer gegnerischen Verteidigungskette macht ihn schwer zu greifen.
Die These: Nur mit viel Platz hinter der Kette kann er seine Fähigkeiten ausspielen. Die Antithese lieferte Haaland zuletzt selbst. Mit 74 Prozent Ballbesitz musste sein Team einem 0:2-Rückstand gegen Crystal Palace hinterherlaufen. Die Gäste verteidigten tief, kompakt und machten die Räume so eng, dass der Platz zwischen Innenverteidigung und Torwart meist nicht für Schnittstellenpässe ausreichte - oder sie zumindest erschwert wurden.
Erling Haaland und Manchester City: Ein sinnvoller Anpassungsprozess?
Trotzdem erzielte Haaland drei Treffer in nur 19 Minuten und brachte City damit auf die Siegerstraße. Seine beiden Tore zum 2:2 und 3:2 sind dabei exemplarisch für den Anpassungsprozess, den der Angreifer gerade durchlebt. In beiden Situationen kam er freistehend aus kurzer Distanz zum Abschluss.
Laut den Datenauswertungsexperten von Createfootball deutet sich bereits jetzt an, dass sich Haalands Spiel mehr in den gegnerischen Strafraum verschiebt. Beim BVB erhielt er dort rund 30 Prozent aller Zuspiele, bei City sind es aktuell 43 Prozent. Trotz der höheren Ballbesitzwerte ist er bei City aber weniger in die Ballzirkulation eingebunden.
Aktuell spielt er nur 12,3 Pässe pro 90 Minuten (18,5 in der letzten Saison) und wird rund viermal seltener von Mitspielern angespielt. Die bereits genannten acht Ballkontakte gegen Bournemouth waren dahingehend ein viel beachteter Tiefstwert. Doch ist das wirklich ein Problem für Pep Guardiola?
Erling Haaland: Statistikvergleich zur letzten Saison
Statistik (pro 90 Minuten) | Haaland 21/22 Bundesliga | Haaland 22/23 Premier League |
Ballaktionen | 48,7 | 40,5 |
Ballaktionen im Strafraum | 5,5 | 7,4 |
Schüsse (auf das Tor in %) | 3,3 (49 %) | 4,6 (50 %) |
Expected Goals | 0,77 | 1,22 |
Expected Assists | 0,22 | 0,07 |
Pässe | 18,5 | 12,3 |
Angespielt worden | 14,5 | 10,8 |
Erling Haaland hat bei City "den schwierigsten Job der Welt"
"Er hat den schwierigsten Job der Welt", rechtfertigte der Katalane anschließend: "Wenn man Stürmer ist und gegen defensive Teams wie Bournemouth spielt. Sie haben drei Innenverteidiger und zwei Spieler vor den Innenverteidigern und du stehst in der Mitte."
Angesichts der Daten lässt sich ohnehin annehmen, dass Haalands Rolle absichtlich darauf ausgelegt ist, nicht zu viel am Spiel teilzunehmen. Der Linksfuß soll im Zentrum bleiben, nicht in die Halbräume oder gar auf den Flügel ausweichen. Mit seiner Präsenz schafft er Räume für die Flügelstürmer oder nachrückende Mittelfeldspieler.
Gegen Bournemouth lag er in der 19. Minute halb am Boden. Drei Gegenspieler störten ihn, aber trotzdem steckte der den Ball durch auf Ilkay Gündogan, der anschließend das 1:0 erzielte. Acht Ballkontakte, eine Torvorlage - Haaland brachte sein Team damit auf Kurs.
Erling Haaland: Vom mobilen Angreifer zum Strafraumstürmer
Beim BVB war er deutlich mobiler und häufig im Zehnerraum zu finden, um von dort in die Tiefe zu starten. Jetzt lauert er oft zwischen den Verteidigern. Es stimmt, dass Haaland bei City deutlich seltener seine einmaligen Fähigkeiten bei Tiefenläufen einbringen kann. Trotzdem behilft er sich mit den gleichen Mitteln zum Erfolg - nur in anderen Situationen.
Haaland ist gut darin, den Deckungsschatten seiner Gegenspieler zu nutzen. Er positioniert sich meist in der Schnittstelle, um sich dann im richtigen Augenblick aus dem Blickfeld seines Gegenspielers zu entfernen - entweder durch einen Antritt oder durch eine Rückwärtsbewegung. Beim ersten Tor gegen Palace macht er wenige Schritte nach hinten, um dann mit Tempo in die Flanke laufen zu können und auch beim zweiten Tor entfernt er sich im Deckungsschatten vom Gegenspieler und steht am zweiten Pfosten frei.
Auch wenn Haaland nicht mehr so weiträumig agiert, so setzt er die gleichen Mittel unter deutlich größerem Gegnerdruck erfolgreich ein. Die Stichprobengröße ist bei vier Spieltagen noch nicht ausreichend, um ein generelles Fazit zu ziehen. Trotzdem deutet sich an, dass Haaland mit seiner neuen Rolle gut zurechtkommt.
Zumal sein drittes Tor gegen Crystal Palace unter Beweis stellt, dass er auch weiterhin Szenen bekommen wird, die ihn zuvor stark gemacht haben. In der Schlussphase mussten die Gäste mit mehr Risiko spielen, um eine Niederlage zu vermeiden. Nachdem sich City im Spielaufbau aus dem Gegnerdruck befreit hatte, startete Haaland im Rücken seines Gegenspielers perfekt in die Schnittstelle und erzielte das 4:2 in einer für ihn gewohnten Situation mit langem Laufweg und viel Tempo.
Erling Haaland und Manchester City können voneinander profitieren
Haaland wird von dieser Entwicklung auf Dauer profitieren können. Gegen stärkere Teams kann er weiterhin seine einzigartigen Fähigkeiten im Umschaltspiel einbringen, gegen schwächere Teams wird er im Verlauf der Saison lernen, wie er sich in welchen Momenten zu positionieren hat.
Schon der Saisonstart deutet darauf hin, dass dieser Anpassungsprozess nicht viel Zeit kosten wird. Seit dem Abgang von Sergio Agüero war Pep Guardiola auf der Suche nach einem abschlussstarken Strafraumstürmer. Auch der Argentinier hatte wenige Ballkontakte, kaum Torvorlagen, aber dafür eine hohe Quote an Abschlüssen und Toren. Positionierung und Laufwege werden sich bei Haaland ebenso auf diese Attribute fokussieren.
Man könnte die Umstellung dementsprechend so interpretieren, dass Haaland durch die Philosophie von Guardiola seiner größten Stärken beraubt wird. Aufgrund der bisherigen Leistungen deutet sich aber an, dass alle Seiten davon profitieren können. Und das macht Manchester City nochmal gefährlicher - in der Premier League, aber auch und gerade in der Champions League.