Eine der ersten Trainer-Entlassungen der Saison 2022/2023 ist gleich eine große. Nach nur sieben Saisonspielen musste Thomas Tuchel beim FC Chelsea gehen. Tuchels letzte Amtshandlung als Trainer der Blues war die enttäuschende 0:1-Niederlage in der Champions League gegen Dinamo Zagreb.
"Die neuen Besitzer nähern sich 100 Tagen im Amt und glauben, dass es nun an der Zeit für einen Wechsel ist", heißt es in der kurzen Pressemitteilung der Clearlake Capital Group, seit Mai 2022 die neuen Eigentümer des Champions-League-Siegers von 2021.
Was könnte die Eigentümer um den US-Investor Todd Boehly bewogen haben, Tuchel zu entlassen? Warum sollte jetzt der richtige Zeitpunkt sein? Fragen und Antworten zur überraschenden Entlassung des früheren BVB-Coaches.
Thomas Tuchel: Wie ist seine Bilanz beim FC Chelsea?
Tuchels Siegquote beim FC Chelsea liegt bei 60 Prozent, die Blues gewannen unter ihm wettbewerbsübergreifend exakt 60 von 100 Pflichtspielen - eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Die Niederlage gegen Dinamo Zagreb am Dienstag war erst die 16. Niederlage, die Tuchel als Trainer der Blues hinnehmen musste, seit er im Januar 2021 das Ruder übernommen hatte.
Wettbewerb | Siege | Remis | Niederlagen | Siegquote |
Premier League | 35 | 17 | 11 | 55,6 Prozent |
Champions League | 12 | 2 | 4 | 66,7 Prozent |
FA Cup | 8 | 1 | 1 | 80 Prozent |
Carabao Cup | 3 | 3 | 0 | 50 Prozent |
Klub-WM | 2 | 0 | 0 | 100 Prozent |
UEFA Super Cup | ß | 1 | 0 | 0 Prozent |
Während seiner 20-monatigen Amtszeit bei Chelsea führte Tuchel sein Team zu kontinentalem und globalem Ruhm. Er gewann 2020/21 die Champions League mit einem Sieg über Pep Guardiolas Manchester City, bevor er die Klub-Weltmeisterschaft und den UEFA-Supercup gewann. Außerdem erreichte er 2021 und 2022 das Finale des FA Cups sowie 2022 das Finale des Carabao Cups.
In der Premier League konnte Tuchel den FC Chelsea in seiner ersten Saison nur auf den vierten Platz führen, vergangene Spielzeit wurde Chelsea immerhin Dritter, konnte aber nie in den spannenden Titelkampf zwischen Manchester City und den FC Liverpool eingreifen.
Tuchels Gesamtbilanz beim FC Chelsea ist beeindruckend. Doch nach dem Champions-League-Triumph im Sommer 2021 ging es allmählich bergab, und ein ziemlich missratener Start in die Saison 2022/23 mit zwei Niederlagen in sechs Premier-League-Spielen und der Pleite gegen Dinamo Zagreb verstärkte offensichtlich das Gefühl bei den Investoren, dass sich die Lage nicht verbessern würde.
FC Chelsea: Wie erklärte Tuchel die sportliche Stagnation?
Die Niederlage gegen Dinamo Zagreb im ersten Gruppenspiel der Champions League war zwar knapp, aber sie war im Grunde die logische Folge einer sportlichen Stagnation, die schon länger anhielt. Tuchels Kommentare nach dem Spiel ließen nichts Gutes erahnen, als er mürrisch erklärte, es sei "die gleiche Geschichte wie immer".
"Ich bin ein Teil davon", sagte er BT Sport. "Wir sind eindeutig nicht da, wo wir sein müssen und wo wir sein können. Es liegt also an mir, es liegt an uns, wir müssen Lösungen finden. Im Moment fehlt es an allem."
imago imagesThomas Tuchel: Welche Rolle spielte sein Verhältnis zu den Verantwortlichen des FC Chelsea?
Zweifellos waren es nicht nur drei schlechte Ergebnisse in sieben Spielen, die zur Entlassung Tuchels führten. Medienberichten aus Großbritannien zufolge soll das Verhältnis Tuchels zum neuen Eigentümer Todd Boehly nicht das Beste gewesen sein. Auch das Verhältnis zu Teilen der Mannschaft soll schon mal besser gewesen sein.
Laut des Daily Telegraph kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Trainer und Bossen, nachdem Tuchel deutlich gemacht hatte, dass er nicht an einer Verpflichtung von Cristiano Ronaldo interessiert sei - im Gegensatz zu Boehly, der den fünfmaligen Ballon d'Or-Gewinner von Manchester United dem Vernehmen nach gerne an die Stamford Bridge geholt hätte. Boehly amtiert derzeit auch als Sportdirektor der Blues.
Nach der Übernahme des FC Chelsea durch Boehly und seiner Clearlake Capital Group wurde unter anderem schon die Direktorin Marina Granovskaia entlassen. Die neuen Bosse sollen von Tuchel im Sommer gefordert haben, sich mehr um das Transfergeschäft zu kümmern. Tuchel soll das weniger gefallen haben.
Tuchel räumte ein, dass die Transferaktivitäten "verwirrend und ablenkend" waren, dass die Interaktionen zeitweise "turbulent" waren und dass er bisweilen eiskalt duschen musste, um sich zu beruhigen, während der Verein versuchte, seine Geschäfte während des Transferfensters abzuschließen.
Ob es auch an solchen Nebenkriegsschauplätzen lag, dass Tuchel im August mit Spurs-Trainer Antonio Conte wegen eines vermeintlich verweigerten Handschlags aneinandergeriet und gegen Schiedsrichter wütete, was ihm einige Geldstrafen einbrachte.
Der ehemalige Trainer von Paris Saint-Germain beschwerte sich auch öffentlich darüber, wie leicht seine Mannschaft zu schlagen sei, und laut Evening Standard verschlechterte sich in den letzten Wochen auch seine sonst so gute Kommunikation mit den Spielern. So soll er etwa die Frage, welcher Spieler in die Mannschaft rückt, nicht mehr so gut erklärt haben wie zuvor.
Thomas Tuchel: Auch eine Vertragsverlängerung war Thema
Und doch: die Entscheidung, Tuchel zu entlassen, ist dennoch mehr als überraschend. In Pierre-Emerick Aubameyang bekam Tuchel auf dem letzten Drücker noch seinen Wunschstürmer, den er zudem schon gut aus Dortmund kannte. Auch Verteidiger Wesley Fofana und Marc Cucurella waren erklärte Wunschspieler Tuchels.
Noch vor wenigen Wochen machten zudem Gerüchte über eine Vertragsverlängerung Tuchels die Runde. Doch die angespannten Beziehungen zu den neuen Eignern und der schlechte Saisonstart ließen die Ereignisse überschlagen.
Auch wenn Tuchels Bilanz zu den besten in der Branche gehört und der Erfolg in dieser Saison weiterhin erreichbar ist, will - oder braucht - die Eigentümergruppe Boehly-Clearlake Capital offensichtlich einen Trainer, mit dem sie harmonischer zusammenarbeiten kann.
Premier League: Die obere Tabellenhälfte
Platz | Team | Sp. | Tore | Diff | Pkt. |
1. | Arsenal | 6 | 14:7 | 7 | 15 |
2. | Manchester City | 6 | 20:6 | 14 | 14 |
3. | Tottenham Hotspur | 6 | 12:5 | 7 | 14 |
4. | Brighton & Hove Albion | 6 | 11:5 | 6 | 13 |
5. | Manchester United | 6 | 8:8 | 0 | 12 |
6. | Chelsea | 6 | 8:9 | -1 | 10 |
7. | Liverpool | 6 | 15:6 | 9 | 9 |
8. | Brentford | 6 | 15:9 | 6 | 9 |
9. | Leeds United | 6 | 10:10 | 0 | 8 |