Rote Bengalos in der schwarzen Nacht, Doppelhalter, rhythmischer Trommelwirbel und Dauergesang: So stimmte sich die Ashburton Army am Boxing Day vor dem Emirates Stadium auf das Heimspiel ihres FC Arsenal gegen West Ham United ein. Gefilmt wurden die Ultras dabei von dermaßen vielen Leuten, dass auf manchen im Internet kursierenden Videos im Vordergrund erstmal andere filmende Menschen zu sehen sind.
Aber wer will es den Schaulustigen verdenken, dass sie diese Szenen für immer festhalten? Sowas gibt es auf der Insel schließlich eher selten zu sehen, außer es ist gerade irgendein kontinentaleuropäischer Klub im Europapokal zu Gast. Nur ganz wenige englische Klubs haben aktive Ultras, beispielsweise Crystal Palace oder die Zweitligisten Huddersfield Town und FC Middlesbrough.
Nun also auch Arsenal: Die Ashburton Army hat das Emirates nach schwierigem Start im Laufe dieser Saison im Sturm erobert. Mit koordiniertem Dauergesang und -getrommel sorgen die Ultras für die Begleitmusik zu Arsenals Erfolgslauf, mit Choreos und Pyros für die bunte Untermalung.
Mikel Artetas Mannschaft eilt der Konkurrenz an der Tabellenspitze der Premier League davon: Nach 17 Spielen steht erst eine Pleite zu Buche, der Vorsprung auf Verfolger Manchester City beträgt fünf Punkte. Arsenal erlebt in jeglicher Hinsicht die aufregendste Phase seit langem, vermutlich seit der Hochzeit unter Trainer Arsene Wenger Mitte der Nullerjahre.
FC Arsenal und das Stimmungs-Problem: "Highbury Library"
2004 holten die Invincibles Arsenals bis dato letzten Meistertitel, 2006 gelang der Einzug ins letztlich gegen den FC Barcelona verlorene Champions-League-Finale. Nach jener Saison übersiedelte Arsenal von seiner fast hundertjährigen Heimat Highbury ins unweit neugebaute Emirates.
Das alte Highbury, mittlerweile in einen Wohnkomplex umgewandelt, hatte reichlich Charme, zählte aber nicht zu den stimmungsvollsten Stadien des Landes. "Highbury Library", höhnten gegnerische Fans gerne. Still wie in einer Bibliothek. Im Emirates war der Charme dahin und die Stimmung noch schlechter: Die wenigen sangesfreudigen Fans wurden quer durchs Stadion verteilt - oder konnten sich die Tickets gar nicht mehr leisten, kaum ein Premier-League-Klub verlangt so hohe Eintrittspreise wie Arsenal.
Zu diesen Ärgernissen kam der sportliche Abwärtstrend der Mannschaft, bedingt auch durch fehlende Investitionen in den Kader wegen der hohen Kosten für den Bau des neuen Stadions. In Wengers Spätphase ging es meist lediglich um die Champions-League-Qualifikation, seit seinem Abtritt 2018 fehlt der einstige Abo-Teilnehmer stets in der Königsklasse.
Ashburton Army: Ein Hauch Fanatismus für den FC Arsenal
"Eindimensional, seelenlos und in Hinblick auf die Größe des Klubs einfach nur schrecklich" empfand Jack Griffin die Atmosphäre damals, wie er dem Portal Pain in the Arsenal berichtete. Mit einigen Kumpels wollte Griffin gegen die Misere ankämpfen, 2019 schufen sie die Ashburton Army. Benannt nach dem Viertel Ashburton Grove, inspiriert von kontinentaleuropäischen Ultras. "Die Gruppe wurde gegründet, um die Atmosphäre zu verbessern und Arsenal einen Hauch dieses fanatischen Lebensstils zu bieten."
Mitte des vergangenen Jahrhunderts galt England in Sachen Stadion-Atmosphäre noch als weltweiter Branchenführer. Es gab zwar keinen Dauersupport, dafür aber spielbezogene und gerne auch humorvolle Chants. Immer laut, immer lebhaft. Meist machte nicht nur die Hintertortribüne mit, sondern das ganze Stadion. Im Laufe der 1970er und 1980er Jahre entwickelte sich aber eine Hooligan-Kultur, geprägt von gewaltvollen Zusammenstößen zwischen Fanlagern.
Als Konsequenz auf die Stadionkatastrophen von Heysel und Hillsborough wurden Stehplätze abgeschafft und Ticketpreise erhöht. Damit verschwand zwar das Hooligan-Problem, mit ihm vielerorts aber auch die Stimmung. Normale Arbeiter konnten sich keine Tickets mehr leisten, freie Plätze nahmen betuchte Touristen ein. Die einst berühmte englische Atmosphäre kommt seitdem nur mehr sehr vereinzelt bei besonderen Spielen auf.
Wer elektrisierende Stimmung sucht, wird aktuell eher in Kontinentaleuropa fündig. Auch Ultras sind zwar gelegentlich gewaltbereit, stehen aber in erster Linie für Dauergesang, Choreografien und Pyrotechnik. Diese Art der Unterstützung wollten Griffin und seine Mitstreiter ins Emirates bringen.
FC Arsenal: "Die Stimmung ist besser als je zuvor"
Dabei gab es aber einige Probleme: Die Pandemie verhinderte phasenweise Stadionbesuche, die Positionierung der neuen Gruppe im Emirates koordinierten Support. Mitglieder der Ashburton Army hatten anfangs Sitzplätze, verstreut irgendwo hoch oben auf den Tribünen. "Wir haben den Klub kontaktiert und unsere Ideen dargelegt", erinnerte sich Griffin. Ihr Wunsch nach zusammenhängenden Plätzen wurde tatsächlich erfüllt. Clock End, Block 25. Hier befindet sich nun der Stimmungskern.
Schon im Laufe der vergangenen Saison habe sich die Atmosphäre im Emirates merklich verbessert, sagt Akhil Vyas vom Arsenal Supporters Trust zu SPOX und GOAL: "Seit den letzten Spielen der Vorsaison ist die Stimmung fantastisch, besser als je zuvor. Die Ashburton Army macht einen sehr guten Job. Ich bin froh, dass sie der Klub dabei unterstützt."
Mittlerweile zählt die Ashburton Army etwa 200 Mitglieder. "Wir wachsen immer weiter", sagt Griffin. "Und auch Fans außerhalb unserer Gruppe sind aktiver als früher." Laut Vyas spielen beim Stimmungsumschwung auf den Rängen des Emirates auch noch andere Faktoren eine Rolle: Etwa die beliebte neue Hymne "The Angel", die Arbeit einer Fan-Vereinigung namens Red Action und das Vorgehen des Klubs gegen Dauerkartenbesitzer, die ihr Abo nicht konsequent genug nutzen.
Ashburton Army: Benefizaktionen und Choreo-Crowdfunding
Das bisher stimmungsvollste Spiel der Saison war das North-London-Derby gegen Tottenham Hotspur im Oktober, da sind sich alle einig. Beim Einlauf der Mannschaften zeigte die Ashburton Army eine kleine Choreografie, finanziert war sie über eine Crowdfunding-Aktion. "We Came, We Saw, We Conquered" und "North London Is Red Since 1913" hieß es dazu auf Spruchbändern, eine Anspielung auf Arsenals kontroversen Umzug vor über 100 Jahren ins traditionelle Tottenham-Land im Norden Londons.
Arsenal schlug den Rivalen souverän mit 3:1, Arteta sprach anschließend von der "wahrscheinlich besten Atmosphäre seit ich beim Klub bin" - und das ist er als Spieler und Trainer immerhin schon über ein Jahrzehnt lang. Das Aufkommen der Ultras sorgt laut Vyas bisher ausschließlich für positive Rückmeldungen: "Ich habe noch nichts Schlechtes über die Gruppe gehört."
Wie viele kontinentaleuropäische Ultras setzt sich auch die Ashburton Army für gemeinnützige Zwecke ein. Kurz vor Weihnachten veranstaltete sie beispielsweise eine Benefizaktion zu Gunsten von psychisch kranken Menschen. Gleichzeitig wird permanent Geld für Choreografien gesammelt. Beim West-Ham-Spiel am Boxing Day war es wieder so weit: Nach dem vielgefilmten Pyro-Aufmarsch vor dem Stadion durchzogen beim Einlauf der Mannschaft rote und weiße Bänder das Clock End.
Zur Vorbereitung der Choreografie gewährte der Klub den Ultras Zutritt zum Stadion, ein ungewöhnlicher Vorgang in England. Als nächsten Schritt zur Stimmungsverbesserung im Emirates wird die Einführung eines Stehplatzbereichs hinter dem Tor vorangetrieben - so wie es seit der Legalisierung im vergangenen Jahr unter anderem bereits der FC Chelsea, Tottenham und die beiden Manchester-Klubs City und United getan haben. Aktuell muss die Ashburton Army noch vor Sitzschalen singen, trommeln und klatschen.
Premier League: Die obere Tabellenhälfte
Platz | Team | Sp. | Tore | Diff | Pkt. |
1. | Arsenal | 17 | 40:14 | 26 | 44 |
2. | Manchester City | 17 | 45:16 | 29 | 39 |
3. | Newcastle United | 18 | 32:11 | 21 | 35 |
4. | Manchester United | 17 | 27:20 | 7 | 35 |
5. | Tottenham Hotspur | 18 | 37:25 | 12 | 33 |
6. | Fulham | 19 | 32:28 | 4 | 31 |
7. | Liverpool | 17 | 34:22 | 12 | 28 |
8. | Brighton & Hove Albion | 17 | 32:25 | 7 | 27 |
9. | Brentford | 18 | 30:28 | 2 | 26 |
10. | Chelsea | 18 | 21:21 | 0 | 25 |