"Ich bin am Boden zerstört, dass meine Zeit bei Chelsea zu Ende gegangen ist. Dies ist ein Verein, in dem ich mich sowohl beruflich als auch persönlich zu Hause gefühlt habe. Ich fühle mich geehrt, ein Teil der Geschichte dieses Vereins gewesen zu sein, und was auch immer die Zukunft für mich bereithält, die Erinnerungen an die letzten 18 Monate werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben."
Das waren die Worte Thomas Tuchels, nachdem man ihm nach nur wenigen Spielen der Saison 2022/23 den Stuhl vor die Tür gestellt hatte. Der Mann, dem man das Potenzial attestiert hatte, bei Chelsea eine Ära zu prägen, wie es Sir Alex Ferguson (Manchester United), Arsène Wenger (FC Arsenal) und Jürgen Klopp (FC Liverpool) in ihren Vereinen taten, war nach dem ersten Zwist mit seinen neuen Chefs entlassen worden.
Aber durch eine Laune des Schicksals - oder eine Laune des Trainerkarussells - könnte sich Chelsea in diesem Sommer auf der Suche nach einem neuen Cheftrainer wiederfinden, während Tuchel auf der Suche nach einem neuen Job ist. Mauricio Pochettino ist bei den Blues angezählt und Klubchef Todd Boehly winkt die Chance, die bisher schlechteste Entscheidung seiner Amtszeit zu korrigieren.
Nächster verpasster Titel für Mauricio Pochettino mit Chelsea
Am Sonntag hatte Chelsea ein Spiel, das Pochettino gewinnen musste. Seine Schützlinge waren gut drauf, Gegner Liverpool trat wegen zahlreicher verletzter Spieler nur mit einer Rumpftruppe an. Die Gelegenheit also für Poch, seinen Ruf als liebenswerter Verlierer loszuwerden und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Spekulationen um seinen Verbleib im Sommer verstummen.
Daraus aber wurde nichts. Chelsea ließ einige gute Chancen liegen und nach dem Siegtreffer Virgil van Dijks für die Reds in der 118. Minute herrschte Frust pur. Angesichts der miserablen Leistungen in der Premier League bahnt sich ein zähes Ende der Saison an, ein Titel oder die Qualifikation für einen Europapokal sind in weiter Ferne.
Ein Lichtblick ist einzig der FA Cup. Hier ist Chelsea noch im Rennen, zählt aber kaum zu den Favoriten, da auch Liverpool, Manchester City und Manchester United allesamt noch mitmischen.
FC Chelsea: Schwierige Ausgangslage für Mauricio Pochettino
Die Leistungen auf dem Platz haben in erster Linie dafür gesorgt, dass Pochettino in der Kritik steht. Nicht verschwiegen werden darf aber auch, dass der ehemalige Tottenham-Coach von Anfang an einen schweren Stand bei großen Teilen der eigenen Fans hatte. Seine Vergangenheit beim Londoner Rivalen Spurs war eine schwere Hypothek, die er bisher nicht abzuschütteln vermochte.
Und dies, obwohl der Job, aus einer jungen, hochtalentierten Mannschaft ein Spitzenteam zu schmieden, eigentlich genau seinem Profil entspricht. Mit dünnhäutigen Auftritten bei Pressekonferenzen und fragwürdigen Einschätzungen zu Spielverläufen sorgte Pochettino, der noch bis 2025 unter Vertrag steht, immer wieder für Stirnrunzeln.
Den dringend benötigten Stimmungsumschwung nach der chaotischen Spielzeit 2022/23 hat der 51-Jährige nicht geschafft. Im Gegenteil: Die Stimmung bei den Spielen an der Stamford Bridge gilt als schlecht wie lange nicht mehr.
Thomas Tuchel könnte den FC Chelsea einen
Erfolglosigkeit, schlechtes Standing beim eigenen Anhang, ein Umbruch, der nur schleppend vorangeht - das sind die Zutaten für eine vorzeitige Trennung im Sommer. Es gilt als wahrscheinlich, dass dies die Entscheidung der Verantwortlichen im Sommer sein wird, sollten sich die Leistungen der Mannschaft nicht deutlich verbessern.
Die Chelsea-Bosse um Boehly müssten also in kurzer Zeit zum fünften Mal einen neuen Teammanager suchen. Priorität sollte dabei jemand haben, der die Fans wieder vereinen und eine Bindung zwischen Trainerteam, Spielern und Klubführung herstellen kann.
Thomas Tuchel könnte genau das!
Der Deutsche wird trotz der nach unten zeigenden Formkurve während der zweiten Hälfte seiner Amtszeit von Chelseas Fans verehrt - nicht zuletzt dank des bemerkenswerten Champions-League-Triumphs im Jahr 2021 und seines besonnenen Umgangs mit einer der schwierigsten Perioden in der modernen Geschichte des Klubs, als dieser nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine vor zwei Jahren aufgrund von Regierungssanktionen gegen den ehemaligen Eigentümer und Oligarchen Roman Abramovich einen erzwungenen Eigentümerwechsel vollzog.
"Super Tommy Tuchel", wie er genannt wurde, traf einfach den Nerv der Anhänger. Laut Medienberichten fühlte er bei Chelsea eine engere Bindung zum Verein als bei seinen anderen Trainerstationen. Das lag zu einem Großteil an der Zuneigung der Fans, die ihn für die perfekte Besetzung hielten. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie ihn nun mit offenen Armen empfangen würden.
Todd Boehly spielt nicht mehr die Hauptrolle beim FC Chelsea
Ein wesentlicher Faktor für die Trennung im Herbst 2022 war Tuchels Zusammenarbeit mit dem damals selbst ernannten Sportdirektor Boehly. Der erfolgreiche Geschäftsmann hatte in diesem Amt keine Erfahrung, was Tuchel zu spüren bekam.
"Ich stehe täglich in direktem Kontakt mit Todd, manchmal sogar mehrmals täglich", sagte Tuchel seinerzeit. "Mein Anliegen ist es, dass die Mannschaft konkurrenzfähig ist. Darauf muss mein Fokus liegen. Dafür müssen wir sehr viel Zeit investieren und sehr aktiv sein. Es gibt keinen anderen Weg."
Tuchel deutete aber an, dass er einige Zeit der Kaderplanung lieber auf dem Trainingsplatz verbracht hätte: "Es ist sehr zeitaufwendig. Es ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung, und auf lange Sicht muss der Schwerpunkt auf dem Coaching liegen, denn das ist der Grund, aus dem ich hier bin."
Die Aufgabenverteilung wäre nun anders, da Boehly nach einem ziemlich katastrophalen Transferfenster im letzten Sommer mehr in den Hintergrund getreten ist. Der Großteil der Verantwortung für das Geschehen auf dem Transfermarkt liegt nun bei den Sportdirektoren Lawrence Stewart und Paul Winstanley, Boehly segnet in der Regel nur noch ab.
Pochettino hat zwar erklärte, dass auch er "jeden Tag" in Kontakt mit den Sportchefs stehe, aber Tuchel sollte davon ausgehen, dass er in dieser neuen Struktur weniger Verantwortung tragen muss und mehr im Tagesgeschäft operieren kann.
FC Chelsea: Eine Mannschaft nach Thomas Tuchels Geschmack
Ein weiterer Knackpunkt für Tuchel war, dass er in jenem berühmt-berüchtigten Transferfenster im Sommer 2022 nicht das bekam, was er wollte. Chelsea verpasste in jenem Sommer mehrere Wunschspieler wie Frenkie de Jong (blieb beim FC Barcelona) und Raphinha (wechselte zum FC Barcelona).
Nach der 0:4-Klatsche gegen Arsenal in den USA, einem Vorgeschmack auf eine schreckliche Saison 2022/23, sagte Tuchel: "Ich bin alles andere als entspannt. Wir waren einfach nicht gut genug und sind nicht konkurrenzfähig. (...) Wir haben zwar zwei gute Spieler geholt, aber so sind wir trotzdem nicht wettbewerbsfähig."
Ironischerweise legten Chelseas Besitzer, fast schon als Eingeständnis ihres von Tuchel angeprangerten Versäumnisses, eine rücksichtslose Entschlossenheit an den Tag, ihre Topspieler nach Tuchels Abgang Anfang 2023 an Land zu ziehen. Mehr als eine Milliarde Euro pumpte das das Boehly-Clearlake-Konsortium in den Kader.
Chelsea Mannschaft strotzt mittlerweile vor ungenutztem Potenzial und wäre genau nach Tuchels Geschmack. Wenngleich im Sommer wieder an einigen Stellschrauben gedreht werden soll. Stichwort Financial Fairplay (FFP) und die Gewinn- und Nachhaltigkeitsregeln der Premier League (PSR). Beides könnte zum Problem werden, vor allem wenn der Europapokal verpasst wird.
Thomas Tuchel ist nach dem angekündigten Abschied vom FC Bayern heiß begehrt
Sollte sich Chelsea ernsthaft um Tuchel bemühen, wenn dieser den FC Bayern im Sommer verlässt, wäre die Konkurrenz allerdings groß. Der Krumbacher ist trotz seines holprigen Jahres in München begehrt.
Zuletzt hieß es, er strebe eine Rückkehr in die Premier League an und Rekordmeister ManUnited wurde als mögliches Ziel gehandelt. Dort steht die Zukunft Erik ten Hags nach der Übernahme durch INEOS in den Sternen. Auch beim FC Liverpool ist der 50-Jährige im Gespräch.
Barcelona ist eine weitere Möglichkeit. Xavi hat bereits seinen Rücktritt für das Saisonende angekündigt, und Tuchel ist aufgrund seiner Erfahrung in der Champions League - einem Wettbewerb, den die Blaugrana seit 2015 nicht mehr gewonnen haben - einer von mehreren Kandidaten. Ob Tuchel seine Karriere in einem ähnlich politischen Umfeld wie bei den Bayern fortsetzen möchte, bleibt jedoch abzuwarten.
Thomas Tuchel und der FC Chelsea: Wie tief sind die alten Wunden?
Über allem steht bei einer möglichen Rückkehr nach London die Frage, wie sehr Tuchels Beziehung zu Chelseas Entscheidungsträgern beschädigt ist. Ihm wird ein angespanntes Verhältnis zu Miteigentümer Behdad Eghbali nachgesagt und Boehly soll die Zusammenarbeit mit dem Deutschen laut The Athletic gegenüber einem anderen Premier-League Funktionär als "Albtraum" beschrieben haben.
Tuchel war derweil auch verärgert über die Entscheidung, Direktorin Marina Granovskaia und Berater Petr Cech zu entlassen.
Tuchels Führungsqualitäten schienen sich im Laufe der Zeit bei Chelsea zu verschlechtern, was vielleicht darauf zurückzuführen war, dass der zermürbende Übernahmeprozess auf ihm lastete und seine Ehe abseits des Spielfelds in die Brüche ging.
Außerdem, so der Vorwurf damals, habe er es versäumt, das Beste aus einer Reihe von extrem teuren, talentierten Offensivspielern wie Romelu Lukaku, Kai Havertz, Christian Pulisic und Timo Werner herauszuholen.
Trotz alldem soll Tuchel nicht vorgehabt haben, von sich aus zu gehen, weil er sich an der Stamford Bridge so wohl fühlte und sich als Teil der Zukunft sah.
FC Chelsea: Können Boehly und Tuchel über ihre Schatten springen?
Mit den Spielern besteht die Chance auf einen echten Neuanfang, denn die Mannschaft ist eine ganz andere als die, die er hinterließ. Er genießt dort immer noch das gleiche Ansehen wie José Mourinho und Antonio Conte, und - trotz seiner Schwierigkeiten bei Bayern - wäre es ein Coup, wieder einen Trainer zu haben, der in seiner Zeit in der Premier League als ebenbürtig mit Klopp und Pep Guardiola angesehen wurde.
Die Messlatte ist an der Stamford Bridge so niedrig gelegt worden, dass Chelsea nur noch besser werden kann, und mit den Fans im Rücken ist eine Rückkehr in die Spitzengruppe realistisch.
Sollten die Beteiligten über ihren Schatten springen können, hätte es viel von einer Win-Win-Situation für Boehly-Clearlake und Tuchel: Über allem steht die Chance, einen großen Fehler zu korrigieren und mit einem absoluten Spitzentrainer wieder in die Gefilde zurückzukehren, wo der Verein sich selbst sieht.