Peter Zeidler steht als Cheftrainer des FC Sochaux vor dem absoluten Karriere-Highlight. In der dritten Runde der Coupe de France trifft sein Team auf das große Paris Saint-Germain (06.02., 21.05 Uhr live auf DAZN).
Ein Gespräch über Außenseiterchancen, die Entwicklungen im Französischen Fußball und warum französische Top-Talente plötzlich in die Bundesliga wechseln.
SPOX: Herr Zeidler, Racing Straßburg und Olympique Lyon sind die einzigen beiden französischen Klubs, die PSG in dieser Saison schlugen. Was verbindet Sochaux mit Straßburg oder Lyon?
Peter Zeidler: Wir sind natürlich krasser Außenseiter. Aber es gibt ein französisches Sprichwort: "Wenn etwas zweimal passiert ist, dann passiert es auch dreimal." Paris wird in dieser Saison nochmal verlieren. Warum also nicht gegen uns? Ansonsten verbindet uns gar nichts, die genannten Vereine spielen in der ersten Liga, wir in der Ligue 2.
SPOX: Im Interview mit SPOX sprachen Sie vor dem Champions-League-Spiel von PSG gegen den FC Bayern über die Stärken und Schwächen der Pariser. Jetzt dürfen sie mit der eigenen Mannschaft gegen Neymar, Cavani und Co. ran. Glauben Sie wirklich an ein Weiterkommen?
Zeidler: Sprüche wie "der Pokal hat seine eigenen Gesetze" sind eigentlich Phrasen, aber im Endeffekt ist etwas dran. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Zweitligist die Sensation gegen einen Erstligisten schafft. Doch wir spielen nicht gegen irgendeinen Erstligisten, sondern gegen die absolute Übermannschaft in Frankreich. PSG hat die letzten 47 Spiele im Pokal alle gewonnen. Die Chance ist trotzdem da. Erst vor ein paar Wochen haben wir 6:0 in der Coupe de France gegen Amiens gewonnen, das ist ein Erstligist. C'est la coupe.
gettySPOX: Um PSG intensiver zu beobachten, waren Sie im Prinzenpark. Sie kennen die Spieler in und auswendig. Wie kann Sochaux das Offensiv-Trio Neymar, Mbappe und Cavani stoppen?
Zeidler: Wir möchten unseren Prinzipien treu bleiben und im Spiel aktiv bleiben. Auch während der langen Ballbesitzperioden des Gegners. Das ist eine Philosophie, die ich aus Hoffenheim und Salzburg mitgenommen habe. Wir werden attackieren, wir werden hart spielen und mit der nötigen Aggressivität zur Sache gehen, jedoch immer mit fairen Mitteln. "Foul bricht Pressing" lautete unser Leitsatz in Hoffenheim, mit einem Foulspiel macht man nur sein eigenes Pressing kaputt.
SPOX: PSG-Spieler wie Neymar und Cavani gelten als offensive Zauberer, die die Defensive aber oftmals vernachlässigen würden. Ist das die große Schwäche von PSG?
Zeidler: Ganz im Gegenteil! Neymar, Cavani und Mbappe sind auch im Gegenpressing unheimlich gut. Man darf sich da nicht täuschen lassen, sie wissen sehr genau, wie richtiges Defensivverhalten nach einem Ballverlust auszusehen hat. Trotzdem sehen wir unsere Chance. Wenn wir die Bälle gut holen, werden wir die eine oder andere Möglichkeit zum Kontern bekommen, das traue ich uns zu. Wir wollen zeigen, dass wir auch einen schönen Ball spielen können.
SPOX: Die Bilanz von Sochaux gegen PSG in der Coupe de France ist perfekt. Am 28.02.2007 schlug Sochaux die Pariser im Viertelfinale mit 2:1. Kann man die beiden Teams von damals mit den heutigen vergleichen?
Zeidler: Im Jahr 2007 hatte Sochaux als Erstligist ein Budget von ca. 40 Millionen Euro, Paris kam ungefähr auf das Doppelte. Jetzt, zehn Jahre später, haben wir ein Budget von ca. 16 Millionen Euro und Paris liegt geschätzt bei über 500 Millionen. Das sind Welten. 2014 hat Paris wegen einer Niederlage gegen Sochaux übrigens die Meisterfeier verschieben müssen und schon damals war der Klub mit Zlatan Ibrahimovic das Überteam.
SPOX: Ganz Frankreich schaut nach Sochaux, der Klub hätte zwei Stadien ausverkaufen können, der Andrang ist riesig. Das französische Fernsehen überträgt die Partie live. Sind alle Franzosen während dieser 90 Minuten Sochaux-Fans?
Zeidler: Der Franzose drückt generell dem Underdog die Daumen und hat Sympathien für die Kleineren. Es kann gut sein, dass wir im Pokal einige Sympathisanten mehr haben. Natürlich mögen nicht alle PSG, doch letztendlich sind sie ein französischer Klub. Sie repräsentieren das Land auch international. In der Champions League sind alle für Paris.
SPOX: Wo immer PSG in Frankreich spielt, sind die Stadien restlos ausverkauft. Alle wollen das Starensamble sehen. Wie erleben Sie den Hype um PSG?
Zeidler: Im Februar steigt in der Champions League das ganz große Spiel: PSG gegen Zinedine Zidane, gegen Real Madrid. Seit der Auslosung dieser Paarung geht es in den Medien jeden Tag um dieses Spiel. Der Aufriss um PSG ist riesig. Als Neymar in Paris seinen Geburtstag feierte, waren nicht nur der Staatspräsidenten Brasiliens und Lewis Hamilton anwesend, sondern auch die gesammelte französische Presselandschaft.
SPOX: Jupp Heynckes schätzte in einem Interview mit Goal CL-Gegner Real Madrid für zu stark für PSG ein. Teilen Sie diese Einschätzung?
Zeidler: Ich habe allerhöchsten Respekt vor dem Grand Monsieur Heynckes, doch hier teile ich seine Einschätzung nicht. Paris hat eine gute Chance, weil sie unglaublich fokussiert auf den Erfolg in diesem Wettbewerb hinarbeiten. Das fällt ihnen in dieser Saison leichter, weil sie die Meisterschaft sicher gewinnen werden. Mit Neymar und Mbappe haben sie nochmal eine andere Dimension erreicht mit der klaren Ansage dahinter, endlich die Champions League zu gewinnen.
SPOX: Wie Dauerhaft ist diese Entwicklung für den französischen Fußball? Drohen über Jahre Langeweile im Meisterschaftsrennen mit einem Dominator an der Spitze wie in der Bundesliga?
Zeidler: Im Moment stellt es für die anderen Klubs eine wahnsinnige Motivation dar, gegen Paris zu bestehen. Kommt PSG, ist es immer das Spiel des Jahres. Langeweile befürchte ich nicht, das hat das letzte Jahr gezeigt, als Monaco Meister wurde. In drei Jahren müsste man diese Frage vielleicht nochmal stellen, aber im Moment tut jeder Gastauftritt von PSG dem französischen Fußball gut.
SPOX: Besteht in Frankreich die Möglichkeit, eine zweite Kraft neben PSG zu etablieren?
Zeidler: Die sehe ich durchaus. Standorte wie Lille oder St. Etienne haben unheimliches Potential, Nizza und Nantes haben mit Lucien Favre und Claudio Ranieri tolle Trainer und dann gibt es immer noch Marseille und Lyon.
SPOX: Sochaux steht in der ewigen Tabelle der französischen Ligue 1 deutlich vor Paris, war bis vor kurzem noch der Verein mit den meisten Jahren in der ersten französischen Spielklasse. Wie sind die Erwartungen in der Stadt bezüglich eines Wiederaufstiegs? Im Moment fehlen auf den Relegationsplatz nur zwei Pünktchen.
Zeidler: Mit dem Verkauf des Klubs während der Autokrise kam der Bruch. Sochaux, der traditionsreiche Werksklub des Autobauers Peugeot, stürzte in die Zweitklassigkeit und spielte auch in den ersten Jahren in der Ligue 2 nur gegen den Abstieg. Damit sank die Erwartungshaltung. Blickt man auf den Etat, sind wir nur mehr im Mittelfeld angesiedelt. Wir setzen auf unser Jugendzentrum und sind stolz auf die Jungs aus der eigenen Jugend. Natürlich schielen unsere Fans auf den Wiederaufstieg und wir haben den Ehrgeiz, dieses Ziel auch irgendwann zu schaffen. Es wäre sensationell, wenn wir schon in diesem Jahr die Relegation erreichen könnten.
SPOX: Sie waren lange als Co-Trainer in der Bundesliga aktiv. Was unterscheidet den französischen vom deutschen Fußball und wie schätzen Sie die Ligue 2 im Vergleich zur 2. Bundesliga ein?
Zeidler: Ich sehe das Niveau zwischen beiden zweiten Ligen als gleich an. Lens, Auxerre und Nancy sind Vereine mit einem Erstliga-Etat. Der Unterschied ist die Zuschauerzahl. Als wir letzten Dienstag in Lens gespielt haben, waren zwar über 20.000 im Stadion, doch das ist schon die große Ausnahme.
SPOX: Welchen Stellenwert hat der deutsche Fußball in Frankreich?
Zeidler: In den letzten Jahren gab es in dieser Hinsicht ein klares Umdenken. Das freut mich als Verfechter der deutsch-französischen Freundschaft und als ehemaligen Französischlehrer natürlich besonders. Die Franzosen sprechen mit großem Respekt und mit Begeisterung, ja fast schon mit Sympathie über den deutschen Fußball. Die Lokomotive dieser Entwicklung ist die deutsche Nationalmannschaft.
SPOX: Eine Folge davon ist, dass talentierte, junge Franzosen wie Ousmane Dembele oder Kingsley Coman nach Deutschland wechseln. Wie äußert sich das konkret im Tagesgeschäft?
Zeidler: Als ich von 2008 bis 2011 in Hoffenheim tätig war, war es noch äußerst schwierig, französische Spieler nach Deutschland zu holen. Wir haben uns damals mit allen hoffnungsvollen Talenten Frankreichs getroffen, u.a. mit Loic Remy, Anthony Modeste und Hartem Ben Arfa. Die Gespräche waren gut, aber keinen dieser Spieler haben wir damals bekommen. Es war für mich äußert interessant, diese hochveranlagten Spieler an der Seite von Ralf Rangnick zu treffen.
SPOX: Später haben Sie mit Rangnick auch in Salzburg zusammengearbeitet. Dort glückten einige Transfers.
Zeidler: In Salzburg haben wir Sadio Mane aus Frankreich verpflichtet, dann Naby Keita, dann Upamecano. Ein Ousmane Dembele hat mir 2015 in Salzburg geschrieben: "Trainer, ich will nur zu Ihnen, ich will sofort kommen." Der Transfer scheiterte aber knapp, im Sommer darauf ging er nach Dortmund. Auch das zeigt, dass die Bundesliga inzwischen einen ganz anderen Stellenwert in Frankreich genießt.
gettySPOX: Wie sehen Sie Ihre persönliche Entwicklung seit der Zeit in Salzburg?
Zeidler: In Hoffenheim und Salzburg habe ich viel gelernt, bevor ich dann in Sion den nächsten großen Schritt als Trainer machte. Zusammen mit einem tollen Trainerstab haben wir den Verein vom letzten Tabellenplatz bis auf Platz zwei in der Super League geführt und standen außerdem im Pokalfinale. Im Januar 2017 haben wir nicht mehr alles gewonnen, rutschten auf den dritten Platz ...
SPOX: ... und Sie wurden durch den als Exzentriker bekannten Klubchef Christian Constantin überraschend freigestellt.
Zeidler: Die Entlassung kam aus dem Nichts und hat mich sehr getroffen, da ich wahnsinnig gerne im Wallis gearbeitet habe. Jetzt ist der Klub wieder Letzter. Keine Ahnung, was da über ihn gekommen ist, inzwischen hat er den Fehler ja auch öffentlich eingestanden. Genugtuung fühle ich jedoch keine, die ganze Zeit in Sion war insgesamt sehr lehrreich und äußerst positiv.
SPOX: Was sind Ihre persönlichen Ziele in Sochaux?
Im Winter gab es schon ein paar Anfragen von anderen Klubs, aber darum geht es jetzt nicht. Wenn wirklich einmal der Moment gekommen ist, im Hier und Jetzt zu leben, dann am heutigen Tag. Wer mich kennt, weiß, wie besonders das Spiel gegen PSG für mich ist. Vor 30 Jahren bin ich als Jugendtrainer des VfB Stuttgart aufgrund meiner Frankreich-Affinität immer wieder an Pfingsten mit der U12 zu Turnieren bei Paris Saint-Germain gefahren. Jetzt darf ich mich als Trainer gegen die Profis von PSG messen. Das ist etwas ganz Großes.