Ferdinand Tchouameni gefiel nicht, was er da sah. Er war nie der Typ, der Problemen aus dem Weg ging, sondern sprach sie offen an. Das ist er beste Weg. Schon damals, als er als Jugendlicher unbedingt Profifußballer werden wollte, aber irgendwann erkennen musste, dass die ganze Mühe umsonst ist, war es der einzig richtige Weg, sich der bitteren Wahrheit zu stellen.
Die Gewissheit, dass aus ihm kein Fußballer werden kann, half Ferdinand, einen neuen Weg zu gehen. Und so ist er heute sehr erfolgreich in der Medizinbranche unterwegs. Er hat ein Unternehmen mit aufgebaut, das sich auf die Entwicklung von Impfstoffen spezialisiert. Nicht die schlechteste Geschäftsidee, wie sich Jahre später herausstellte.
Er wollte auch diesmal keine falsche Harmonie aufkommen lassen und rief seinen Sohn Aurelien an: "Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn von Angesicht zu Angesicht sprechen will und er mir zwei Stunden Zeit geben soll."
Aurelien kam der Bitte nach, fuhr ins elterliche Haus, um sich anzuhören, was sein Vater ihm zu sagen hatte. "Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn zuletzt nicht wiedererkannt habe und dass aus ihm ein gewöhnlicher Fußballer geworden ist", erzählt Ferdinand.
Die Stationen von Aurelien Tchouameni
Zeitraum | Klubs |
2006 - 2011 | SJ D'Artigues |
2011 - 2018 | Girondins de Bordeaux Jugend |
2018 - 2020 | Girondins de Bordeaux |
01/2020 - 2022 | AS Monaco |
ab 07/2022 | Real Madrid |
Aurelien Tchouameni studierte noch, als er Profi wurde
Und wie reagierte Aurelien? "Am Ende der Diskussion? 'Vater, du wirst schon sehen.'"
Wie recht er doch hatte. Wenn Aurelien Tchouameni heute mit seinem Vater spricht, geht es nicht darum, dass er auf dem Weg ist, ein lausiger Fußballer zu werden, sondern darum, wie er fortan das Mittelfeld von Real Madrid verstärken wird. Die Spanier haben den Transfer am Samstsag perfekt gemacht.
Das Vater-Sohn-Gespräch aus dem Dezember 2020 beschreibt Aurelien ziemlich gut. Der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler von der AS Monaco ist eine einzige Erfolgsgeschichte, geschrieben von einem Jungen aus dem nordfranzösischen Rouen, der schon immer wusste was er wollte - und vor allem wusste, dass er es bekommen kann.
Geschrieben mit einer beeindruckenden Akribie ohne dem Auslassen von Details. Nichts dem Zufall überlassend. Gustavo Poyet, Tchouamenis erster Profitrainer bei Girondins Bordeaux, widmete auf seiner eigenen Webseite Tchouameni eine eigene Rubrik.
Dort beschreibt der einstige Top-Mittelfeldspieler aus Uruguay, wie er damals den erst 18-Jährigen erlebte: "Er war ein großer Junge, selbstbewusst am Ball und intelligent. Damals studierte er noch an der Uni. Er war immer daran interessiert, zu lernen und sich zu verbessern. Er war wirklich sehr aufmerksam. Wenn man ihn bittet, etwas zu tun, dann tut er es auch."
Monaco-Boss: "Er ist hochintelligent und akademisch"
Ähnlich klang Poyet zuletzt in englischen Medien: "Hervorzuheben ist sein Enthusiasmus, sich zu verbessern, zuzuhören und Fragen zu stellen, was für einen Trainer sehr wichtig ist. Ich habe ihn immer mit Lust und Intensität gesehen. Wir hatten einige Einzelgespräche, darunter auch eine Videosession, nach der wir uns verständigt hatten, was es zu verbessern gibt, und er war genauso begeistert wie ich."
Hört man in die Menschen hinein, die Tchouameni beschreiben, erzählen sie natürlich, welch großartiger Fußballer er ist und dass es völlig normal ist, dass er in Europa so begehrt ist. Um das zu sehen, reicht aber auch ein Besuch im Stadion oder ein Abo bei einem TV-Sender, der die französische Liga zeigt.
Viel bemerkenswerter ist das, was sie über den Tchouameni erzählen, den man nicht auf dem Platz sieht. Sie beschreiben, ähnlich wie Poyet, einen belesenen jungen Mann, der jeder Facette seiner Entwicklung mit Wissen und Wissenschaft begegnet.
"Aurelien ist hochintelligent und sehr akademisch. Er hat die Ansätze, die wir für seine Entwicklung entwickelt hatten, angenommen und sich von einer Fantasie in einen französischen Nationalspieler verwandelt", sagt auch Paul Mitchell.
Aurelien Tchouameni trainiert seine Psyche
Der Engländer arbeitete einst bei RB Leipzig als Chefscout und ist über Stationen in New York, Braganca Paulista und Brügge als Sportdirektor in Monaco gelandet. Er sieht seine Rolle nicht nur darin, die vorhandenen Mittel dafür zu nutzen, um Spieler zu holen, sondern auch vorhandene Potenziale auszuschöpfen. Das größte Potenzial in Monaco hat zweifelsfrei Tchouameni.
"Bei ihm ging es darum, ihn auf den Spitzenfußball vorzubereiten", sagt Mitchell: "Wir haben ihn mit Hilfe von Videoanalysen über seine Ernährung, seine Leistung, seinen Schlaf und seine Erholung aufgeklärt." Ein Ansatz, bei dem sie den richtigen Spieler gefunden hatten.
Es gibt Fußballer, die bei einem Wechsel ihren Bruder oder ihren Cousin mitnehmen und ihn als Voraussetzung für eine Unterschrift in ihrem neuen Klub unterbringen. Tchouameni nahm bei seinem Wechsel von Bordeaux nach Monaco in Cedric Quignon-Fleuret mit. Den Klub-Psychologen.
"Vor jedem Spiel besprechen wir die Ziele des Spiels. Alles, was damit zusammenhängt, und auch den Umgang mit den eigenen Emotionen. Es ist sehr wichtig, sich auf das zu konzentrieren, was man kontrollieren kann, und das hilft mir sehr", erzählt Tchouameni. Er lernt mit Quignon-Fleuret, wie er auf Rückschläge reagiert, wie er nach einer Gelben Karte trotzdem intensiv bleibt. Wie er Höhepunkte verarbeitet. Es hilft ihm auf dem Platz und in der Persönlichkeitsentwicklung ungemein.
Tchouameni mag die NBA, Barack Obama, Martin Luther King
Was Tchouameni auch hilft, ist das Schreiben. Der 22-Jährige hat einen Notizblock, auf dem er alles aufschreibt, was ihm in den Sinn kommt und was bei der Karriere behilflich sein könnte. "Ich habe Zitate von Spitzensportlern oder großen Persönlichkeiten der Welt aufgeschrieben", erzählt er: "Zitate, die mich inspirieren und von denen ich mich ernähre. Ich schreibe auch meine Ziele für jedes Spiel auf, je nach Gegner oder Kontext."
Von Gekritzel bis hin zu längeren Gedanken ist alles dabei, wie er verrät: "Ich versuche, so sorgfältig wie möglich vorzugehen. Ich beobachte sehr genau; alles, was ich höre, alles, was ich sehe. Ich habe Ziele mit Blick auf das Ende einer Saison, aber auch Ziele für meine Karriere." Wenn der Notizblock mal nicht in Griffweite ist, schreibt er seine Gedanken in die Notizen seines Smartphones.
Dabei geht es ihm nicht nur um den Sport. Sein Horizont reicht weit darüber hinaus. Er ist seit jeher von den USA begeistert: "Von klein auf war ich sofort von der amerikanischen Kultur begeistert, sei es durch große Sportler, große Musiker oder Persönlichkeiten aus der Geschichte dieses großen Landes wie Martin Luther King oder Barack Obama."
Er spricht hervorragendes Englisch, schon sehr lang und aus gutem Grund: "Ich habe sehr früh damit angefangen, die Sprache zu lernen, weil ich die Bedeutung der Musik, die ich hörte, verstehen wollte." Ein paar Rapper haben es ihm angetan, da muss man die Sprache verstehen. Und da ist eben noch die andere Begeisterung: die NBA. Er ist ein ausgeprägter Basketball-Fan, teilt seine Hingabe zur besten Basketball-Liga der Welt regelmäßig in den sozialen Medien und protzt ab und zu auch mit Angeberwissen. Wer kann, der kann.
Aurelien Tchouameni: Der Vergleich mit N'Golo Kante
Aber die NBA ist nicht nur Spaß, sondern auch ein wichtiger Lernstoff: "NBA-Spieler müssen sich gut ernähren und ein sauberes Leben führen, weil sie manchmal jeden zweiten Tag spielen. Wenn man so oft spielt, muss man sich diese Anforderungen selbst auferlegen, und das versuche ich auf meinen Sport zu übertragen."
Der "junge König": So haben ihn die Kollegen in Monaco oft genannt, in Anlehnung an LeBron James, dem König aus Akron. Zu dem schaut er gerne auf, kennt die Geschichte, wie dieser neben den Trainingseinheiten seiner Teams selbst ein Team aufgebaut hat, um noch besser und sogar der Beste zu werden. Tchouameni will es ihm nachtun.
Er hat aber auch viele andere Spitznamen. Monacos Social-Media-Abteilung nennt ihn gerne mal "Monster", die französischen Medien tauften ihn "Oktopus", weil es seiner sehr weitreichenden Spielweise gerecht wird. Viele ähnliche Einfälle gab es schon, die alle irgendwie stimmen.
Und was gefällt Tchouameni? Er lacht, wenn er die Frage hört und antwortet: "TchouaNgolo." Teamkollegen gaben ihm einmal diesen Spitznamen, weil er wie N'Golo Kante Bälle stehlen kann. Aus den aussichtslosesten Situationen gibt es Ballgewinne für Monaco, weil Tchouameni zu einer perfekt getimten Grätsche ansetzt und die Kugel ohne Foul gewinnt. "Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, Bälle zurückzuholen. Ich weiß gar nicht, wie er das macht", sagt Ex-Trainer Poyet.
Aber Tchouameni mag es nicht gerne, nur auf seine defensiven Fähigkeiten reduziert zu werden. Er hat sich rasant entwickelt, was den Spielaufbau angeht. Er hat schon ein sehr starkes Passspiel, kann aber auch hervorragende Diagonalbälle spielen. Natürlich alles kein Zufall, weil er sich Videos der besten Mittelfeldspieler der Welt ansieht und sie studiert. Er zählt die Namen Patrick Vieira, Sergio Busquets und Clarence Seedorf auf, aber vor allem haben es ihm Paul Pogba und Spitznamengeber Kante angetan.
Aurelien Tchouameni wechselt zu Real Madrid
Didier Deschamps hat Tchouameni aus gutem Grund schon vor einem Jahr die Einladung für die Nationalmannschaft geschickt, der Jungstar hat schon ein paar Spiele für die Equipe Tricolore gemacht. Der Nationaltrainer will nicht um den heißen Brei reden: "Er ist ein kompletter Spieler." Deschamps haben besonders "sein Kopf und die nötige Reife" beeindruckt.
Das gilt auch für die Kollegen in der Nationalmannschaft. Als Pogba nach einem Länderspiel zum jungen Neuankömmling befragt wurde, sagte er: "Er ist kein Junge, er ist ein Mann. Es ist eine Ehre, mit ihm zu spielen. Er bringt sehr viel Energie mit, also wirklich sehr viel Energie. Außerdem hat er eine tolle Technik und eine tolle Physis."
In einer Nationalmannschaft mit dem brutalsten Konkurrenzkampf der Welt hat er seinen Platz sicher und wird auch bei der Weltmeisterschaft in Katar dabei sein. Inzwischen ist auch klar, welchen Klub er bei der WM vertreten wird: Real Madrid. Die Ablöse wird nach Informationen von SPOX und GOAL rund 100 Millionen Euro betragen. Tchouameni hat im Bernabeu einen Sechsjahresvertrag bis 2028 unterschrieben.
Ganz schön viel Geld für einen Youngster, der seit Monaten im Fokus der Topklubs steht. "Das stört mich nicht", sagte Tchouameni kürzlich über die ständigen Gerüchte um seine Person, "denn das ist eine Situation, in der ich schon immer sein wollte. Wenn die besten Klubs hinter mir her sind, bedeutet das, dass ich etwas Gutes tue."
Es ist der Lohn für all das, was er sich bisher erarbeitet hat und wer so talentiert ist, hart arbeitet und sich Wissen aneignet, weiß auch, dass es so kommen würde, dass ihn die besten Klub haben wollen.
Als er in Bordeaux 2018 nach seinem Pflichtspiel-Debüt in der Europa-League-Qualifikation gegen den FK Ventspils von allen Seiten gelobt wurde, schüttelte er sich und sagte laut Augenzeugen in der Kabine: "Das ist erst der Anfang."