Die Serie A TIM hat drei neue Vereine - und die könnten unterschiedlicher nicht sein. Der FC Crotone aus dem ärmlichen Kalabrien vollendete einen sagenhaften Aufstieg - mit mafiösen Verbindungen. Bei Delfino Pescara sitzt mit Massimo Oddo ein alter Bekannter auf der Trainerbank und Cagliari Calcio greift nach dem einjährigen Betriebsunfall Serie B mit renommierten Spielern an.
FC Crotone
Die Symptome sind immer andere, die Patienten wollen sich ja nicht verdächtig machen. Mal klagen sie über Herzrasen, mal über Schwindelanfälle oder auch akute Halsschmerzen. So geht das in Crotone jedes zweite Wochenende, erzählt man sich zumindest. Entscheidend sind sie ja auch nicht, die Symptome, entscheidend ist die Konsequenz. Und die lautet: Krankenhausaufenthalt.
Jedes zweite Wochenende ist das örtliche Krankenhaus wohl der beliebteste Aufenthaltsort in Crotone. Das Ospedale San Giovanni di Dio ragt nämlich direkt neben dem Stadio Ezio Scida empor. Die Sicht in die marode Spielstätte des FC Crotone ist angeblich von nirgendwo besser als von den Fenstern des Krankenhauses. Dass die Fans die Spiele ihrer Mannschaft dann auch noch umsonst verfolgen können, macht den Spitalaufenthalt noch verlockender. Für viele schlicht auch erst möglich.
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Crotone zählt zu den ärmsten Städten Italiens. Ganz im Südosten des Landes, in Kalabrien gelegen, plagt die 60.000-Einwohner-Stadt nicht nur eine hohe Arbeitslosigkeit, sondern auch die Macht der Mafia. Und die reicht irgendwie auch bis zum FC Crotone. Klubpräsident Raffaele Vrenna ist nicht nur steinreich, er ist auch der Enkel eines berüchtigten Clan-Gründers. Mafiöse Verbindungen sind trotz aller Dementis omnipräsent. Ab dieser Saison auch in der Serie A.
Wundersamer Aufstieg
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist jedenfalls ähnlich wundersam wie es die Krankheits-Symptome der Bürger sind. Nach einem Konkurs wurde der FC Crotone 1993 neugegründet; in den Niederungen des kalabrischen Amateur-Fußballs stieg er wieder ins Ligensystem ein - und kämpfte sich innerhalb von sieben Spielzeiten bis in die Serie B empor. Vergangene Saison glückte dann der erstmalige Aufstieg in die Eliteklasse. Bereits drei Spieltage vor Saisonende durfte gefeiert werden.
Die starken Leistungen weckten aber Begehrlichkeit. Und zwar im komplett entgegengesetzten Winkel Italiens, im Nordwesten. Das kroatische Erfolgsduo der vergangenen Saison, Trainer Ivan Juric und Top-Torjäger Ante Budimir, verließ den Verein nach dem Aufstieg in Richtung Genua. Exakt zehn Jahre nachdem Juric als Spieler vom FC Crotone zum FC Genua gewechselt war, schlug er 2016 auch als Trainer diesen Weg ein. Davide Nicola, zuletzt Trainer in Bari, übernahm den freigewordenen Posten in Crotone.
Top-Torjäger Ante Budimir ging den selben Weg wie sein Trainer, ihn zog es aber zum Lokalrivalen Sampdoria. Einst bei St. Pauli nicht glücklich, schoss Budimir Crotone in der vergangenen Saison mit 16 Treffern zum Aufstieg. Ersetzen soll ihn nun Simmy. Fast eine Million zahlte Crotone für den nigerianischen Hünen von fast zwei Metern. Seine Bewerbungsunterlagen? 20 Treffer für den portugiesischen Zweitligisten Gil Vicente FC.
Bald im Amphitheater
Ähnlich teuer wie Simmy war Leonardo Capezzi, ein verheißungsvolles Mittelfeld-Talent. Gemeinsam mit seinem U21-Nationalteamkollegen Nicolo Fazzi wechselte Capezzi vom AC Florenz gen Süden. Dort trifft das Duo auch auf Aleksandar Tonev, einen weiteren Neuzugang mit Länderspiel-Erfahrung. Der 26-Jährige absolvierte gar schon 22 Spiele für die bulgarische Nationalmannschaft; einst wollte ihn Thomas Eichin zu Werder Bremen lotsen.
Es ist weitestgehend ein Team der Namenlosen, das den Klassenerhalt schaffen und das lokale Krankenhaus füllen soll. Ab 2019 wird damit aber Schluss sein. Präsident Vrenna hat wohl genug vom Eintritts-Gemogel. Er will ein neues Stadion bauen - und zwar in Form eines griechischen Amphitheaters, womit an die hellenischen Ursprünge der Stadt Crotone erinnert werden soll. Gewöhnliche Spielstätten? Nicht in Crotone.
Delfino Pescara
Viel mehr geht eigentlich nicht: Weltmeister, Champions-League-Sieger, Meister, Pokalsieger. Massimo Oddo gewann in seiner Spieler-Karriere so ziemlich alles, wovon er als kleiner Bub bei seinen ersten Schussversuchen in einer Vorstadt von Pescara geträumt hat. Ob er damals auch davon geträumt hat, mal beim FC Bayern zu spielen, sei dahingestellt. Getan hat er es später trotzdem. Zwar nur sehr kurz, unter Trainer Jürgen Klinsmann und auch reichlich unerfolgreich - aber immerhin. Für einige Monate lebte er in der Stadt des Oktoberfests. Eine Tatsache, die in Italien wohl höchste Anerkennung hervorruft.
Heute träumt Oddo womöglich davon, einmal als Trainer eine WM oder eine Champions League, eine Meisterschaft oder einen Pokal zu gewinnen. Bei diesem Weg ist er aber noch ganz am Anfang. Und wieder zurück in Pescara. Der Start seiner Trainerkarriere ist jedenfalls verheißungsvoll. In seiner ersten vollen Saison als Coach von Delfino Pescara führte er den Klub direkt zum Aufstieg in die Serie A.
Die Hauptrunde schloss die Mannschaft von der Adria-Küste auf Rang vier ab, im Play-Off bewies sie Nervenstärke. Das Halbfinale gegen Novara endete mit dem Gesamtscore von 6:2, das Finale gegen Trapani 3:1. Pescara ist nach drei Jahren Abstinenz wieder erstklassig.
WM-Gestählt
In den vergangenen Jahren machte sich Pescara einen Namen als Talentschmiede. Unter anderem wurden Marco Verratti und Juan Quintero geformt und gewinnbringend an Paris Saint-Germain und den FC Porto verkauft. Die talentiertesten Spieler suchen nach dem Durchbruch schnell das Weite. So nun auch Gianluca Lapadula. In der vergangenen Saison verbuchte er in der Serie B sensationelle 38 Scorerpunkte. Jetzt spielt er für Milan.
Immerhin können die Fans von Pescara seinen Sturmpartner der Aufstiegssaison, Gianluca Caprari, noch eine weitere Spielzeit lang bewundern. Dann kehrt der 22-Jährige zu seinem Stammklub Inter Mailand zurück. Bereits in der Saison 2012/13 schnupperte er mit Pescara Erstligaluft, der Durchbruch gelang Caprari aber erst in der abgelaufenen Saison. 25 Scorerpunkte sprechen für sich.
Während er sich dann erstmal in den wohlverdienten Urlaub stürzte, musste sein albanischer Teamkollege Ledian Memushaj noch eine Dienstreise absolvieren. Es ging nach Frankreich, zur Europameisterschaft. Zwei der drei Gruppenspiele absolvierte der Mittelfeldspieler über 90 Minuten, für den Achtelfinal-Einzug reichte es knapp nicht.
Aus Mailands Talent-Schmieden
Zurück in Pescara trifft Memushaj nun auf zwei neue Gesichter. Vielversprechende Gesichter. Mit Cristiano Biraghi und Bryan Cristante sicherte sich Pescara zwei spannende Akteure. Der 23-jährige Linksverteidiger Biraghi wurde einst bei Inter Mailand ausgebildet und spielte für diverse italienische U-Nationalmannschaften. Zuletzt war er Stammspieler beim FC Granada in der Primera Division, Pescara zahlte vier Millionen Euro Ablöse.
Die Karriere von Cristante liest sich ähnlich wie die von Biraghi. Auch Cristante hat seine fußballerischen Ursprünge in Mailand, beim AC. Auch er sammelte in U-Nationalteams Erfahrungen und auch ihn zog es dann ins Ausland. Zwei Jahre lang spielte der Mittelfeldspieler für Benfica Lissabon, konnte sich aber nicht durchsetzen. Per Leihe schnupperte der 21-Jährige in der vergangenen Rückrunde Serie-A-Luft bei Palermo, nun wurde er für eine Spielzeit an Pescara weitergereicht.
Diese jungen, entwicklungsfähigen Spieler haben mit Massimo Oddo vielleicht den idealen Trainer. Mit all seiner Erfahrung kann er sie anleiten - und zur Unterhaltung vielleicht auch mal Oktoberfest-Geschichten erzählen.
Cagliari Calcio
Ginge es nur um die Zahlen, dann müsste sich Cagliari Calcio gar keine Sorgen machen, ob der Klassenerhalt gelingen wird. 43 Millionen Euro. So viel ist der Kader des Zweitliga-Meisters aktuell wert. Und damit ist er wertvoller als die Aufgebote der beiden Mitaufsteiger Crotone und Pescara zusammen. Auch alteingesessene Serie-A-Teams lässt Cagliari in diesem Ranking hinter sich.
Ein alteingesessenes Serie-A-Team ist Cagliari aber eigentlich auch selbst. Die vergangene Saison in der Serie B kann getrost als Betriebsunfall bezeichnet werden. Elf Jahre lang kickte das Team von der Insel Sardinien in der Eliteklasse. Dann kann man sich schon mal die Ehre geben, in der Serie B schnell einen Meistertitel mitzunehmen.
46 Jahre ist es her, dass Cagliari Calcio schon einmal schnell einen Meistertitel mitnahm. Damals aber in der Serie A. Der sagenhafte Stürmer Luigi "Gigi" Riva schoss die Sarden zum größten Triumph der Vereinsgeschichte. 13 Jahre lang spielte Riva für Cagliari, 164 Treffer erzielte er und wurde so zum ewigen Idol des Vereins.
So namhafte Spieler wie Riva, der mit Italien 1968 auch Europameister wurde, stehen aktuell nicht im Kader. Anders als die beiden Mitaufsteiger verfügt Cagliari jedoch über mehrere international bekannte Akteure. Sie sind gewissermaßen die Erben des großen Luigi "Gigi" Riva.
Brasilianische Bomber
Da wäre Innenverteidiger Bruno Alves, portugiesischer Europameister mit Champions-League-Erfahrung bei Zenit St. Petersburg und dem FC Porto. Da wäre auch Mittelfeldspieler Simone Padoin, mehrmaliger italienischer Meister mit Juventus Turin und ebenfalls Champions-League-erfahren. Da wäre Mittelfeldmann Artur Ionita, moldawischer Nationalspieler und für 4,5 Millionen Euro von Hellas Verona verpflichtet.
Beigetragen zum Aufstieg haben diese Recken aber nichts, sie wechselten erst in dieser Transferperiode nach Sardinien. Zum Aufstieg schoss Cagliari Calcio ein brasilianisches Duo. Es besteht aus den Kickern mit den klingenden Namen Diego Farias und Joao Pedro. 47 Scorerpunkte sammelten die beiden Offensivspieler.
Während der 26-jährige Farias vornehmlich über die rechte Seite kommt, gibt der 24-jährige Joao Pedro den Regisseur im zentralen, offensiven Mittelfeld. Dahinter sichert für gewöhnlich Kapitän Daniele Dessena ab, der in der vergangenen Saison jedoch monatelange wegen eines Schienbeinbruchs passen musste. 261 Serie-A-Spiele hat Dessena bereits hinter sich.
Cagliari Calcio ist kein gewöhnlicher Aufsteiger. Der Klassenerhalt sollte kein Problem sein, die langfristige Etablierung in der Eliteliga wieder gesichert werden. Gekommen, um zu blieben. Im Namen von "Gigi" Riva.
Der Spielplan der Serie A TIM