Der kleine Gigio in der großen Welt

Gianluigi Donnarumma umarmt sein großes Idol Gigi Buffon
© getty

Nach einer beeindruckenden Auftaktsaison stehen die Interessenten bei Gianluigi Donnarumma schon jetzt Schlange, aber er bleibt seinem Herzensverein treu. Mit 17 Jahren soll er das Gesicht des AC Milan werden und den Klub wieder in eine erfolgreiche Ära führen - möglichst bis zum Karriereende. Eine romantische Vorstellung, die jedoch an Bedingungen geknüpft ist. Vor Milans Auftakt in die Serie-A-Saison gegen den FC Turin (Sa., 18 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) beleuchtet SPOX die Situation.

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"Wenn Sie für Ihrem Kollegen ein Auto aussuchen dürften, welches wäre das?" Der Kapitän des AC Milan, Riccardo Montolivo, saß Ende Juli gemeinsam mit seinem Torhüter Gianluigi Donnarumma in Chicago bei einer Talkrunde im Rahmen der US-Tour, als ihm diese Frage gestellt wurde.

Logisch, der Sponsor Audi ist Automobilhersteller, da sind solche Fragen zu erwarten. Doch Montolivo musste den Moderator enttäuschen: "Naja, keines, er darf ja noch nicht fahren", sagte er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

In Italien macht man erst mit 18 den Führerschein, Donnarumma hat noch keinen. Bei all dem Trubel um den Youngster könnte man vergessen, dass er im Februar erst 17 Jahre alt geworden ist.

Schließlich sind es die Gesichter eines Vereins, die bei einer solchen Tour an den Marketing- und Sponsorenterminen teilnehmen. Verdiente Spieler, langjährige Leistungsträger. Vom FC Bayern München saßen nicht etwa Timothy Tillman oder Niklas Dorsch auf dem Podium, sondern Xabi Alonso und Holger Badstuber.

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Gesicht des Vereins

Entsprechend groß ist das Zeichen, wenn neben Montolivo - 31 Jahre alt, über 350 Serie-A-TIM-Spiele, 62 A-Länderspiele, Kapitän - ein 17-Jähriger in die große Welt geschickt wird, um den Verein zu repräsentieren.

Milan positioniert Donnarumma als zentralen Baustein für eine sportlich erfolgreiche Zukunft. Strategisch macht es für die Reputation Sinn, den Youngster ins Rampenlicht zu rücken. In Zeiten des sportlichen Niedergangs (dreimal in Folge nicht in Europa), zahlreicher Trainerentlassungen inklusive Nachtreten und Unruhen um den Verkauf des Vereins benötigen die Rossoneri dringend positive Presse, um den Glanz vergangener Tage nicht gänzlich zu verlieren.

Und wenn Donnarumma seit seinem Profidebüt eines konstant geliefert hat, dann sind es positive Schlagzeilen.

"Besser als Neuer"

Beispiele gefällig? Christian Abbiati, der in diesem Sommer seine aktive Karriere beendete und bis dahin selbst Torhüter im Milan-Kader war, verglich Donnarummas Talent mit einer göttlichen Gabe: "Der Herr blickte auf ihn herab und sagte: Du musst Torhüter werden."

Ein anderer ehemaliger italienischer Nationaltorhüter ging nicht ganz so weit, verglich den 17-Jährigen jedoch mit dem amtierenden Welttorhüter: "Mich erinnert Donnarumma an Manuel Neuer", sagte Gianluca Pagliuca bei Sky Sport Italia: "Er ist sogar noch ansprechender und technisch stärker als der Deutsche."

Große Worte, die mit Vorsicht zu genießen sind. Doch die bisherige Geschichte von Gigio, wie Donnarumma in seiner Heimat gerufen wird, ist ohne Frage eine beeindruckende.

Jüngster Startelf-Torhüter

Donnarumma war seiner Zeit schon immer voraus. Begünstigt durch seine guten physischen Voraussetzungen mit einer Körpergröße von 1,96m spielte er bereits in den Jugendabteilungen des AC Milan stets eine Altersstufe über seiner eigentlichen.

Bei seinem Pflichtspieldebüt für die Profis im Oktober vergangenen Jahres unter Trainer Sinisa Mihajlovic gegen Sassuolo war Donnarumma mit 16 Jahren und acht Monaten der jüngste Keeper mit einem Startelfeinsatz in der Ligageschichte.

Mihajlovic' Schritt, Diego Lopez nach acht durchwachsenen Spielen aus dem Tor zu nehmen und nicht etwa den erfahrenen Abbiati aufzubieten, war mutig, die Zahlen der folgenden Monate geben ihm aber Recht.

Gute Werte

In seinen 30 Ligaspielen kassierte der Youngster nur 29 Gegentreffer, spielte elfmal zu Null. Zum Vergleich: Lopez hatte in den ersten acht Saisonspielen 14 Tore gefangen und seinen Kasten kein einziges Mal sauber gehalten.

Im Schnitt wehrte Donnarumma 2,4 Großchancen pro Partie ab - ein Wert, der besser ist als jene von Thibaut Courtois, David de Gea oder Jan Oblak. Sein Positionsspiel und seine Reflexe auf der Linie sind überdurchschnittlich.

Stärken und Schwächen

Beim Wegfausten von Flanken kann der Hüne seine ganze Spannweite nutzen. Insgesamt klärte er in der letzten Spielzeit auf diese Art 24 Bälle mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent, der viertbeste Wert in den großen europäischen Ligen.

Auch im Eins-gegen-eins zeigte der Torwart regelmäßig, dass er seinen Körper bereits sehr gut einzusetzen weiß.

Demgegenüber stehen nur wenige Schwächen. Auffällig war in der vergangenen Saison, dass Donnarumma immer wieder Probleme offenbarte, wenn er ins Aufbauspiel eingebunden war. Besonders unter Druck neigte er eher zu wilden Befreiungsschlägen als dazu, kühlen Kopf zu bewahren. Mehrfach hatte er Probleme bei der Ballannahme und -verarbeitung.

Während das Wegfausten von Bällen in der Luft zu seinen Stärken gehört, hat Donnarumma beim Abfangen von Flanken noch Verbesserungspotential. Hin und wieder rutschten ihm Bälle durch die Finger.

Förderer Mihajlovic mahnte zur Geduld: "Der Junge ist erst 17. Er darf noch Fehler machen und für sein Alter macht er sehr wenige."

Nachfolger von Buffon?

Wer sich als junger italienischer Torhüter mit starken Leistungen ins Rampenlicht spielt, muss für die Vergleiche mit der aktuellen italienischen Nummer eins nicht selbst sorgen - zumal er sogar den Vornamen mit Gianluigi Buffon teilt.

Für Pagliuca ist Donnarumma der legitime Nachfolger des Squadra-Azzurra-Kapitäns: "Ich glaube, wenn Buffon aufhört zu spielen, ist sein Erbe bereits gefunden: Donnarumma!"

Angesprochen auf die Vergleiche mit Buffon, gab sich Donnarumma im Gespräch mit SPOX in Chicago demütig: "Gigi ist mein Idol, seitdem ich ein Baby war. Zu versuchen, so gut wie er zu werden, bedeutet, jeden Tag hart zu trainieren und alles zu geben. Ich habe erst angefangen zu spielen, für solche Vergleiche ist es noch zu früh. Aber es ist immer schön zu hören, wenn Leute sagen, ich könnte ihn einmal beerben."

Im Gespräch wirkte Gigio schüchtern, gab kurze Antworten, die Augen beinahe immer zum Boden. Ein anderes Gefühl, als wenn Buffon einen Raum betritt und ihn mit seinem Charisma sofort einnimmt. Die Strahlkraft seines großen Idols hat Donnarumma noch lange nicht, aber wie auch? Als Buffon debütierte, war er noch nicht einmal geboren. Um die Persönlichkeit für die Buffon-Nachfolge zu entwickeln, hat er noch ausreichend Zeit.

Im Dunstkreis der Nationalmannschaft ist Donnarumma ohnehin. Im März 2015 debütierte er für die U21 - auch hier als jüngster Spieler aller Zeiten.

Klubs stehen Schlange

Die Leistungen des Youngsters blieben den europäischen Scouts nicht verborgen. Es gab kaum einen internationalen Spitzenklub, dem kein Interesse an Donnarumma nachgesagt wurde.

Chelsea, Liverpool, Manchester United - alle wurden sie genannt. Der FC Barcelona hat angeblich Bereitschaft signalisiert, 35 Millionen Euro auf den Tisch zu legen.

Peanuts, wenn es nach Donnarummas Berater geht: "Er ist 170 Millionen Euro wert", sagte dieser. Und der muss es wissen: Es handelt sich nämlich um keinen geringeren als Mino Raiola, der erst kürzlich am 105-Millionen-Euro-Deal um Paul Pogba beteiligt war.

Sempre Milan?

Für Donnarumma selbst kommt ein Wechsel ohnehin nicht in Frage: "Ich war schon immer Milan-Fan, es ist der Verein meines Herzens. Deswegen ist es für mich eine große Ehre, als Torhüter für diesen großen Klub zu spielen. Ich will solange hier bleiben, wie ich kann, wenn möglich für immer", sagte er zu SPOX.

Aussagen, die Milan-Fans runtergehen wie Öl. Diese träumen noch immer von sportlichen Ikonen wie Paolo Maldini oder Franco Baresi, die ihre komplette Laufbahn über das rot-schwarze Trikot trugen und den Verein von Erfolg zu Erfolg führten. Andere Größen wie Alessandro Costacurta, Gianni Rivera oder Mauro Tassotti verbrachten den Großteil ihrer erfolgreichen Karrieren im Verein.

Milan war immer ein Klub des Personenkults. Ein Klub, in dem sich Spieler aufgehoben fühlten, den Spieler nur ungern verließen.

Glanz und Gloria

Doch Milan war auch immer ein Klub der Trophäen. Ohne Meisterschaften, Champions-League-Titel, Glanz und Gloria wären wohl auch die Maldinis und Baresis nicht ihre ganze Karriere geblieben. Will man ein Talent wie Donnarumma halten, müssen sich kurz- bis mittelfristig die großen Erfolge wieder einstellen.

Donnarumma und andere vielversprechende Spieler wie Alessio Romagnoli, Mattia de Sciglio, Davide Calabria und Manuel Locatelli sollen das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft bilden. Sie zu halten wird jedoch nur unter der Bedingung klappen, dass sich bei Milan wieder etwas entwickelt. Der neue Trainer Vincenzo Montella soll das Team in die Erfolgsspur führen.

Klappt das nicht, wird sich wohl auch Donnarumma trotz aller Treuebekenntnisse die Angebote der internationalen Konkurrenz anhören. Vielleicht geht es dann schneller in die große Welt, als es allen im Milan-Umfeld lieb ist. Bis dahin könnte er wohl auch selbst mit dem Auto fahren...

Gianluigi Donnarumma im Steckbrief

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