Cristiano Ronaldos Wechsel zu Juventus Turin aus drei Blickwinkeln: Neuer Auftrag für CR7

Stefan Zieglmayer
11. Juli 201812:16
Cristiano Ronaldo verlässt Real Madrid nach neun Jahren und schließt sich Juventus Turin an.getty
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Nach Wochen wilder Spekulationen und dem Zickzackkurs der spanischen Insider-Presse steht Cristiano Ronaldos Wechsel von Real Madrid zu Juventus Turin fest. Vom Jahrhundert-Transfer ist die Rede. Die Folgen sind das Ende einer Zweckehe, ein Auftrag für CR7 und ein fliegender Neustart beim amtierenden Champions-League-Sieger.

SPOX blickt aus drei verschiedenen Blickwinkeln auf den Wechsel.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von CR7

Es ist noch gar nicht lange her, dass Ronaldo von einem Karriereende bei Real Madrid sprach. Das war im Winter 2017 in Paris. "Ich bin bei Real Madrid glücklich", sagte Ronaldo, der gerade seinen fünften Ballon d'Or gewonnen hatte.

Kiew, 171 Tage später: CR7 stemmte soeben erneut eine Trophäe in die Höhe. Zum dritten Mal in Folge gewann der Portugiese mit Real die Champions League. Anstatt ekstatischer Jubelhymnen, wie sie Sergio Ramos den mitgereisten Madridistas entgegenbrüllte, sagte Ronaldo im Post-Match-Interview nur: "Es war schön, bei Real Madrid gewesen zu sein."

Erstmals seit September 2012 äußerte Ronaldo wieder kryptische Abschiedsgedanken. "Ich bin traurig und das weiß der Klub. Und zwar aus beruflichen Gründen", hatte Ronaldo damals gesagt - ebenfalls in einem Moment des vermeintlichen Glücks, da er gerade einen Doppelpack gegen Granada erzielt hatte.

Damals wie heute rankten sich Gerüchte um Ronaldo, wonach der Portugiese ein höheres Gehalt forderte. Spekulationen. Es verstärkte jedoch den Eindruck einer Zweckehe zwischen den Königlichen und dem - neben Lionel Messi - besten Spieler der Welt.

Cristiano Ronaldos Verhältnis zu den Fans von Real Madrid

Seit seinem Wechsel von Manchester United 2009 in die spanische Hauptstadt gab es immer wieder Reibereien mit den Madridistas und zuletzt in höherer Frequenz mit Klubboss Florentino Perez. Ronaldo fühlte sich verkannt, klagte über fehlende Wertschätzung.

Seit der weltweiten Etablierung der Marke CR7 koexistierten in Madrid mit Real und Ronaldo zwei Brands. Das missfiel offenbar nicht nur den Fans, die zwar Ronaldos Tore liebten, nicht aber die Selbstinszenierung dahinter, die nun mal irgendwie zur Marke CR7 dazugehören. Sein Ritual vor jedem Freistoß, die hochgezogenen Shorts, der ikonische Pirouetten-Torjubel - darauf konnten die Madridistas gut und gerne verzichten.

Lief es beim Portugiesen mal nicht, wobei das Meckern auf sehr hohem Niveau ist (450 Tore in 438 Spielen bei Real), teilten einige Madridistas ihren Unmut direkt durch Pfiffe mit. "Gerade wenn es mal nicht gut läuft, braucht man die Unterstützung der Zuschauer und die haben wir manchmal nicht", zeigte sich Ronaldo enttäuscht. In Manchester habe es sowas nie gegeben.

Spannungen zwischen Cristiano Ronaldo und Florentino Perez

Auch Präsident Perez schien die Ronaldo-Show abseits des sportlichen Aspekts immer ein kleiner Dorn im Auge. Perez, der den Klub wohl tatsächlich als sein Eigen ansieht, sein Baby. Immerhin gestaltet er die Erfolgsgeschichte des Vereins seit 2000 mit. Er verdeutlichte immer wieder, der Klub und damit auch irgendwie sein Ego stehe über einzelnen Protagonisten wie Ronaldo. Auch die finanzielle Gesundheit von Real spiele dabei eine große Rolle.

Tätscheleien und klare Vereinskante wechselten sich bei Perez im Umgang mit Ronaldo ab. Die einst innigen Umarmungen und die lockere Atmosphäre zwischen den beiden wich einer geschäftlichen Distanz. Perez' öffentlicher Flirt mit Neymar und anscheinend nicht eingehaltene Vertragsversprechungen erhöhten diese Distanz.

Es schien, als gingen beide Charaktere für den übergeordneten Erfolg eine professionelle Liaison ein. Ronaldos Ehrgeiz und Titel-Gier hielten ihn wohl in Madrid.

Juventus Turin wie geschaffen für Cristiano Ronaldo

Zudem verließ mit Zinedine Zidane ein weiterer Wohlfühlfaktor die Königlichen. Der Zeitpunkt für einen möglichen Wechsel war gekommen. Mit drei CL-Titeln in Serie und insgesamt 16 Trophäen verabschiedet sich Ronaldo mit dem Status eines Alfredo di Stefano.

Nicht außer Acht lassen darf man die wiederkehrenden Steuerprobleme des Portugiesen. Seit 2013 hatte Ronaldo immer wieder Probleme mit dem spanischen Fiskus. 2015 ging es um die Abrechnung von Sponsoren-Prämien. Ende 2017 warf die Behörde Ronaldo vor, 2010 bewusst eine Geschäftsstruktur zur Verbergung von Erlösen durch Bild-Rechte aufgebaut zu haben.

In dieser Angelegenheit einigte sich Ronaldo Mitte Juni mit den spanischen Behörden auf eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung und eine Nachzahlung in Höhe von 18,8 Millionen Euro. Die Lebensumstände für Ronaldo in Spanien sind also zumindest nicht rosiger geworden.

Bereits vor drei Jahren hatte Ronaldo mit einem Wechsel geliebäugelt. Nun passte alles zusammen. Mit Juventus bemühte sich ein Traditionsklub um Ronaldo, der Titel garantiert und das Zeug für die Königsklasse hat. Noch dazu könnte CR7 nach Portugal, England und Spanien auch Italien erobern. Sympathien zwischen Ronaldo und der Alten Dame keimten ja schon nach Ronaldos Fallrückzieher-Tor im Juventus Stadium auf, als die Bianconeri anerkennend Beifall klatschten.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von Juventus Turin

Juventus verpflichtete Ronaldo mit einem klaren Auftrag: Der fünfmalige Weltfußballer soll endlich den Henkelpott zurück nach Turin holen. Erst zweimal gewann Juve den wichtigsten Klub-Wettbewerb Europas, 1985 und 1996.

Der Ronaldo-Transfer ist ein klarer Fingerzeig. Juventus will die lange Durststrecke beenden. Es scheint, als wollte der italienische Rekordmeister ein Statement setzen, koste es, was es wolle. Seit dem letzten Triumph in der Königsklasse verloren die Bianconeri schließlich fünf (!) Finals.

Juventus Turin: Alle Finalspiele des Pokals der Landesmeister bzw. der CL

JahrSiegerFinalgegnerErgebnis
1973Ajax AmsterdamJuventus Turin1:0
1983Hamburger SVJuventus Turin1:0
1985Juventus TurinFC Liverpool1:0
1996Juventus TurinAjax Amsterdam5:3 n.E.
1997Borussia DortmundJuventus Turin3:1
1998Real MadridJuventus Turin1:0
2003AC MilanJuventus Turin3:2 n.E.
2015FC BarcelonaJuventus Turin3:1
2017Real MadridJuventus Turin4:1

Juventus Turin: Ronaldo-Transfer entbehrt jeder Grundlage für Kritik

Ronaldo mag mit seinen 33 Jahren vermeintlich über seinem Zenit sein, seine Professionalität, seine Disziplin und seine Hingabe für den Erfolg sprechen jedoch dafür, dass er noch mehrere Jahre auf dem unglaublichen Niveau abliefern kann, auf dem er über Jahre hinweg mit Messi um den GOAT-Titel ringt. Er wirkt fünf Jahre jünger als er eigentlich ist. Nicht ohne Grund proklamierte Ronaldo nach seiner Vertragsverlängerung 2016 (bis 2021), dass dies erst sein vorletzter Vertrag sei.

Angesichts der 50 Saisontore und der Qualität, die Juventus mit Ronaldo bekommt, entbehrt der Deal aus Juve-Sicht jeglicher Grundlage für Kritik. Für die Ablösesumme ist er sogar noch ein echtes Schnäppchen, berücksichtigt man die aktuelle Marktentwicklung und Ronaldos Vertragslaufzeit bei Real. Zudem refinanziert sich der Transfer in großen Teilen sowieso durch die bevorstehenden Trikotverkäufe und andere Marketingeinnahmen. Ronaldo verleiht der Alten Dame eine ganz neue Strahlkraft, die den Verein im internationalen Vergleich deutlich in den Fokus rückt.

Juventus wäre auf nationaler Ebene auch ohne Ronaldo Topfavorit auf den Scudetto, den achten in Folge. Doch CR7 kann der Alten Dame die fehlenden fünf Prozent geben, die in den vergangenen Jahren zum CL-Triumph fehlten. Dass die Mannschaft die Qualität hat, bewies sie in den vergangenen Jahren eindrucksvoll. Mit Ronaldo steigt die Chance auf den Titel noch einmal enorm. Er kann Spiele durch Einzelaktionen entscheiden. In den fünf Champions-League-Endspielen, in denen Ronaldo stand, erzielte er vier Treffer und bereitete einen vor.

Die Erfolgsquote von Mr. Champions League bekam Juventus nun schon zwei Mal hintereinander zu spüren. Nun soll der Spieß umgedreht werden.

Cristiano Ronaldos Rolle bei Juventus Turin

Massimiliano Allegri würde seine Mannschaft wohl um den neuen Superstar herumbauen. Eine Rückkehr Ronaldos auf den Flügel gilt als unwahrscheinlich. Er könnte in einer Doppelspitze agieren oder eben als alleinige Spitze in Allegris Lieblingssystem 4-3-3 gefüttert werden.

Generell ist noch unklar, ob Allegri die teils minimalistisch anmutende Spielphilosophie seiner Mannschaft anpassen will und mehr Offensivbewusstsein fordert.

Fraglich ist, ob Juventus noch den einen oder anderen Spieler abgibt. Mit Gonzalo Higuain, Paulo Dybala, Douglas Costa, Mario Mandzukic, Federico Bernardeschi und Juan Cuadrado hat Juve schon fast ein Überangebot im Angriff.

Gibt Juventus noch einen Angreifer ab?

Die Financial-Fairplay-Situation bei Juve ist ziemlich undurchsichtig. In den Tagen vor der Ronaldo-Verkündung kursierten jedoch immer wieder Gerüchte um dessen ehemaligen Teamkollegen Higuain. Offenbar gibt es Überlegungen, den Argentinier zugunsten der Transferbilanz noch abzugeben.

Italienischen Medienberichten zufolge kokettiert Higuain mit einem Wechsel zum FC Chelsea, sollte dort Maurizio Sarri für Antonio Conte übernehmen. Der Ex-Coach vom SSC Neapel gilt als fußballerische Vaterfigur des 30-Jährigen.

Gonzalo Higuain wechselte für 90 Millionen Euro zu Juventus Turin.getty

Selbst der Verkauf von Dybala wäre denkbar. Der 24-Jährige offenbarte vor allem in der abgelaufenen Spielzeit immer wieder Probleme, sich ins Spielsystem zu integrieren. War er von defensiven Aufgaben entbunden und auch in der Offensive vogelfrei, also nicht an eine Grundordnung gekettet, blühte er teilweise auf, zeigte aber starke Leistungsschwankungen.

Cristiano Ronaldos Wechsel aus der Perspektive von Real Madrid

In Madrid bricht mit dem Verkauf von Ronaldo eine neue Ära an. Neun Jahre lang prägte er den Klub. In einer Mannschaft voller Superstars war er stets der Super-Superstar. Dachte man an Real, dachte man automatisch auch an Ronaldo.

Selbstverständlich hätten die Madrilenen gerne weiterhin mit Ronaldo geplant. Nochmal: Er erzielte 450 Tore in 438 Spielen für die Königlichen. Eine weitere Zusammenarbeit wäre aufgrund des Ehrgeizes und der Professionalität des Portugiesen ohne Zweifel problemlos möglich gewesen. Die Nebengeräusche wurden jedoch immer lauter.

Mitverantwortlich dafür war sicherlich Ronaldos Berater Jorge Mendes. Dem wird schon länger nachgesagt, er habe das Band zwischen ihm und Real zerschnitten. Jose Mourinho, Fabio Coentrao, Angel Di Maria, Pepe, James Rodriguez - sie alle brachte Mendes zu Real. Nun war nur noch Ronaldo übriggeblieben.

Die ständigen Spekulationen um einen Ronaldo-Abschied aus der spanischen Hauptstadt wurden, so heißt es, nicht selten von Mendes selbst in Umlauf gebracht oder zumindest befeuert. Reines Kalkül, um für sich und seinen Klienten den einen oder anderen Groschen mehr herauszuschlagen.

Cristiano Ronaldo post mit dem silbernen Schuh für den Rekordtorschützen der Klubgeschichte mit seinem Berater Jorge Mendes.getty

Julen Lopetegui verpasst Real Madrid einen Neuanstrich

Präsident Perez wurde das Gesamtpaket Ronaldo/Mendes nun offenbar endgültig zu viel. Wieso also nicht den Neustart mit Trainer Julen Lopetegui nutzen und das angespannte Verhältnis mit Ronaldo einigermaßen im Guten beenden? Der Verlust eines der beiden besten Spieler der Welt tut weh. Für Real ist es dennoch der geeignete Zeitpunkt, in eine neue Ära zu starten. Der Großteil der Mannschaft bleibt zusammen.

Mit Lopetegui kommt ein Trainer, der auf Nachhaltigkeit bedacht ist und das Kollektiv fördert. Zwar proklamierte er bei seiner offiziellen Vorstellung, er würde Ronaldo immer gern an seiner Seite wissen, inwieweit die beiden jedoch miteinander klargekommen wären, ist fraglich. Der Baske outete sich in jüngster Vergangenheit als bekennender Messi-Fan. "Für mich ist er der Beste", sagte er.

Der ehemalige Nationaltrainer gilt zudem als Cruyffista, Anhänger des von Johan Cruyff initiierten Voetbal Total, der seit Jahrzehnten - mal mehr, mal weniger - in Barcelona zelebriert wird. Ein Spielstil, der nicht unbedingt zu den Anlagen Ronaldos passt.

Real Madrid hat weiterhin genügend Glamour

Es ist die Chance für die Fokussierung der Marke Real Madrid. Auch ohne Ronaldo versprüht der spanische Rekordmeister noch genügend Glamour und Anziehungskraft. Real Madrid ist wieder Real Madrid und nicht mehr Ronaldos Real.

Der Verkauf des Portugiesen schaufelt zudem eine beträchtliche Summe von der Gehaltsliste, die Real mehr Handlungsspielraum auf dem Transfermarkt und in der eigenen Kaderplanung verschafft.

Aus taktischer Sicht ändert sich wohl im Vergleich zu Lopeteguis Philosophie während seiner Zeit als spanischer Nationaltrainer nicht allzu viel. Ronaldos Weggang könnte von Isco oder Marco Asensio kompensiert werden. Dahinter ließen sich weitere vielversprechende Nachwuchsspieler wie der aus Rio geholte Vinicius Junior heranführen.

Neymar und Eden Hazard als Ersatzkandidaten bei Real Madrid

Aber auch der ganz große Coup wie der viel diskutierte Wechsel von Neymar zu den Königlichen scheint möglich. Der Brasilianer stand bereits mehrmals in Kontakt mit Real. Medienberichten zufolge fühlt sich der 26-Jährige noch immer nicht wohl in Paris.

Das seit Jahren immer mal wieder kolportierte Interesse von Chelseas Eden Hazard an einem Wechsel zu Real könnte ebenso wieder aufpoppen. Die Spekulationen um einen aufsehenerregenden Transfer werden in den nächsten Wochen jedenfalls nicht weniger werden.

Doch mit oder ohne Neymar, mit oder ohne Hazard: Real steht nicht vor einem Trümmerhaufen, geschweige denn vor einem radikalen Neustart. Vielmehr ist es ein fliegender Neustart, in dem vieles möglich ist, aber noch nicht alles klappen muss. Eine gut durchmischte Mannschaft mit einem taktisch sehr versierten Trainer ist auch ohne Ronaldo Mitfavorit auf den Ligatitel und darüberhinaus weitere Trophäen. Andere Spieler werden die entstandene Lücke gemeinsam füllen.