Nach vielen Jahren im Nachwuchs des FC Bayern wechselte Rico Strieder 2015 von der Münchner Reserve zum FC Utrecht. Sein alter, neuer Trainer Erik ten Hag, mittlerweile bei Manchester United tätig, nahm ihn einfach mit. Dort in den Niederlanden traf Strieder auf zwei damals eher unbekannte Talente: Den ruhigen Sebastién Haller und den aufbrausenden Sofyan Amrabat.
"Trotz seines jungen Alters ist Amrabat damals sehr frech aufgetreten. In der Kabine war er lautstark und auch auf dem Platz hat er Kommandos gegeben. Von älteren, erfahrenen Spielern hat er sich nichts sagen lassen", berichtet Strieder im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Das hat in der Mannschaft manchmal für Verwunderung gesorgt."
Amrabat kam als Sohn marokkanischer Eltern in den Niederlanden zur Welt. Früh wechselte er nach Utrecht, wo er kurz vor Strieders Ankunft im Alter von 18 Jahren für die Profis debütierte. Während sich der Münchner Neuzugang im defensiven Mittelfeld sofort einen Stammplatz eroberte, kam Amrabat zunächst nur zu Kurzeinsätzen. In ihrer zweiten gemeinsamen Saison waren die beiden in ten Hags 4-4-2-System mit Raute gesetzt. Strieder als alleiniger Sechser, Amrabat seitlich als Achter. Meist rechts, manchmal links.
"Er hat schon damals sehr körperbetont gespielt, war lauf- und zweikampfstark, ein klassischer Mentalitätsspieler. Im technischen und taktischen Bereich und auch im Spielaufbau hatte er aber große Defizite", erinnert sich Strieder. Amrabat selbst sah das offensichtlich ganz anders: "Trotzdem hat er sich auch am Ball für einen super Fußballer gehalten und ist entsprechend aufgetreten."
Sofyan Amrabat: Sein Weg ins WM-Halbfinale
Mit Strieder, Amrabat, Haller sowie Trainer ten Hag absolvierte Utrecht zwei starke Spielzeiten. Die Mannschaft landete auf den Tabellenplätzen fünf und vier. Im Sommer 2017 wechselte Amrabat für vier Millionen Euro zum Topklub Feyenoord Rotterdam, Strieder hatte "Zweifel, ob er dort Einsatzzeiten bekommt".
Tatsächlich erkämpfte sich Amrabat bei Feyenoord keinen unumstrittenen Stammplatz, auch bei seiner nächsten Station Club Brügge gelang ihm das nicht. Nach einer starken Saison mit Hellas Verona wechselte er 2020 für 19,5 Millionen Euro zur AC Florenz und entwickelte sich dort zum Leistungsträger.
Zuletzt kam er beim Conference-League-Finalisten wahlweise als einziger Sechser in einem 4-3-3 oder auf der Doppelsechs im 4-2-3-1 zum Einsatz. Seine Herangehensweise offenbart ein schneller Blick auf seine Florenz-Statistiken: ein Tor, ein Assist, 29 Gelbe Karten. In Italien kamen schon Vergleiche mit dem legendären Raubein Gennaro Gattuso auf.
International erstmals für Aufsehen sorgte Amrabat bei der WM in Katar, als er Marokko zu einem historischen Halbfinal-Einzug führte. "Da ist mir aufgefallen, dass er mittlerweile nur mehr das macht, was er wirklich kann", sagt Strieder, mittlerweile 30 und beim Regionalligisten SV Heimstetten unter Vertrag. "Es hat mich überrascht, dass er so diszipliniert gespielt und immer seine Position gehalten hat. Er ist nicht nach links oder rechts ausgebrochen und auch nicht zu weit nach vorne gerannt. Er hat gelernt, seine Stärken gezielt einzusetzen."
Amrabat zum FC Bayern? Zweifel aus verschiedenen Gründen
Positiv aufgefallen ist Amrabt bei der WM nicht nur Rico Strieder, sondern auch dessen Ex-Klub FC Bayern. Neben Declan Rice, Moises Caicedo und Pierre Emile Höjbjerg wurde Amrabat zuletzt als potenzieller neuer Sechser gehandelt. Sein Vertrag in Florenz läuft nur noch bis 2024, als Ablösesumme werden deshalb verhältnismäßig geringe 25 bis 30 Millionen Euro gehandelt.
Laut Bild hat ihn Michael Reschke seinen ehemaligen Kollegen sogar aktiv angeboten: Reschke arbeitete einst als Technischer Direktor in München und ist mittlerweile für Amrabats Berater-Agentur CAA Stellar tätig, die außerdem noch Manchester Citys Jack Grealish und Real Madrids Eduardo Camavinga betreut. Neben dem FC Bayern gelten auch der FC Barcelona und Atletico Madrid als Amrabat-Interessenten.
Sind Reschkes Empfehlungen durchaus von Eigeninteresse angetrieben, dürften die von Lothar Matthäus objektiver sein: Auch der Rekordnationalspieler und TV-Experte legte dem FC Bayern jüngst eine Verpflichtung von Amrabat nahe.
Laut seines ehemaligen Kollegen Strieder ist Amrabat "als defensiver Part einer Doppelsechs" am besten aufgehoben: "Als Abräumer vor der Abwehr, der alle Wege zuläuft und bei eigenem Ballbesitz auf die Restverteidigung achtet. Joshua Kimmich würde beim FC Bayern im Mittelfeld ein Partner mit diesen Stärken guttun." Es ist eigentlich exakt das Anforderungsprofil, das der FC Bayern bei seiner Suche nach einem neuen Mittelfeldspieler ausgegeben hat. Aber? Aber!
Die Bayern-Bosse befürchten bei Amrabat dem Vernehmen nach dennoch zu große Ähnlichkeiten mit Kimmich. Strieder sieht dagegen ein anderes Problem: "Meiner Meinung nach hat Amrabat nicht die nötige fußballerische Qualität, um bei Bayern mitzuhalten. Seine Schwächen am Ball kann man im heutigen Fußball auf höchstem Niveau nicht mehr so kaschieren, wie es ein Mark van Bommel oder ein Javi Martinez früher konnten."
Sofyan Amrabat: Seine Karriere-Stationen
Zeitraum | Klub | Pflichtspiele | Tore | Assists | Gelbe Karten |
2014 bis 2017 | FC Utrecht | 54 | 1 | 10 | 10 |
2017 bis 2018 | Feyenoord Rotterdam | 33 | 2 | 2 | 6 |
2018 bis 2019 | Club Brügge | 30 | 1 | - | 5 |
2019 bis 2020 | Hellas Verona | 34 | 1 | 2 | 10 |
seit 2020 | AC Florenz | 107 | 1 | 1 | 29 |