Die Rückkehr des Königs

Alex Truica
10. Januar 201321:21
Unter dem Beifall der Fans kehrt Eric Abidal nach seiner Lebertransplantation zurückGetty
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Im März 2011 bekam Barcelonas Verteidiger Eric Abidal den Schockbefund: Lebertumor. Nach zwei Operationen und dem Erhalt einer Spenderleber findet seine Leidensgeschichte nach eineinhalb Jahren langsam ein Ende.

Die Fans im Camp Nou erhoben sich, skandierten seinen Namen und klatschten aufmunternden Applaus. Es war die 22. Minute im Spiel zwischen dem FC Barcelona und dem FC Getafe im März 2011. Die komplette Minute widmete das Camp Nou einem Mann, dem Spieler mit der Rücknummer 22: Eric Abidal.

Abidal sah die Szenen im Krankenhaus - hier erholte er sich von einer Operation. Die Ärzte hatten wenige Tage zuvor einen Lebertumor beim Linksverteidiger diagnostiziert. Zwei Tage nach der Diagnose wurde Abidal operiert. Der Eingriff verlief nach Plan, der Tumor wurde entfernt.

Als Abidals ehemaliges Team Olympique Lyon und Real Madrid im Viertelfinale der Champions League aufeinandertrafen, trugen beide Teams T-Shirts, auf denen Sie Abidal viel Kraft wünschten. Seine Reha verlief danach überraschend gut. Und doch hätte niemand mit einer Rückkehr des Verteidigers noch in der gleichen Saison gerechnet. SPOX

Comeback nach sieben Wochen

Als er das erste Mal wieder den Trainingsplatz betrat, wurde er von seinen Mannschaftskameraden mit Standing Ovations begrüßt. Nur sieben Wochen nach dem Eingriff kehrte er auf den Rasen zurück. Eine bemerkenswerte Genesung, ein Zeichen von Stärke.

Am Tag seiner Rückkehr fand er in der Umkleidekabine auf Barcas Trainingsgelände tausende Briefe der Unterstützung vor. Die Nachrichten stapelten sich vor seinem Spind.

Von Anfang an hatte Abidal Kraft und Mut ausgestrahlt - etwas, was sich augenscheinlich auf die Mannschaft während der schweren Zeit übertrug. "Er hat mehr uns aufgemuntert als andersherum", gab Mittelfeldregisseur Xavi zu.

So ließ sich Abidal vor seiner OP nichts anmerken und strahlte wie immer Zuversicht aus: "Ich habe drei Kinder, ich musste ihnen sagen, dass alles okay sein wird. Genauso wie meiner ganzen Familie. Sie schauten mir in die Augen und ich musste so tun, als ob alles in Ordnung wäre. ‚Keine Sorge,' sagte ich Ihnen, ‚alles wird gut gehen.'"

Einwechslung im CL-Halbfinale

Alles war gut gegangen. Die symbolische Rückkehr gab dem Verein noch mehr Kraft, ausgerechnet im Spiel des Jahres kehrte er zurück: Beim Champions-League-Rückspiel am 3. Mai gegen Real Madrid wurde Abidal in der 90. Minute eingewechselt. Das gesamte Camp Nou flippte aus, so als hätte Barca gerade den entscheidenden Siegtreffer gegen den Erzrivalen erzielt. Das Spiel war freilich bereits gelaufen, die Katalanen zogen ins Finale ein.

Tage vor dem Wembley-Finale äußerte sich Abidal das erste Mal zu der schweren Zeit nach dem Eingriff: "Das alles hat mich tiefgreifend verändert. Nun weiß ich, was wirklich im Leben zählt und was nicht. Ich habe alle meine Autos verkauft, weil sie sinnlos sind. Jetzt investiere ich mein Geld in Krankenhäuser, in die Kinderhilfe."

Im großen Finale am 28. Mai gegen Manchester United stand der Franzose überraschend sogar in der Anfangself. Barca gewann 3:1, kurz vor der Überreichung des Pokals verblüffte der etatmäßige Kapitän Carles Puyol Abidal und die restliche Fußballwelt mit einer noblen Geste und übergab ihm die Kapitänsbinde. So durfte der Franzose den Pokal mit den großen Ohren in Empfang nehmen. In diesem Moment war der Krebs weit weg. Es schien, als hätte sich alles zum Guten gewendet.

Vertragsverlängerung im Februar

In der darauffolgenden Saison war der Linksverteidiger wieder Stammkraft bei Barca und kehrte ins Nationalteam zurück. Im Februar verlängerte er seinen Vertrag bis 2013, samt Option einer jeweils jährlichen Verlängerung bis 2015. Er schien endgültig geheilt, zurück in der Normalität des Fußballs.

Im Februar traf Abidal mit Frankreich in Bremen im Freundschaftsspiel auf Deutschland. Hier verletzte sich der Verteidiger an der Hüfte - nichts Gravierendes. Trotzdem waren drei Wochen Pause angesagt. Es sollte bis heute seine letzte Partie bleiben.

Bei einer Routineuntersuchung im April der erneute Schock: Der Krebs war zurück. Diesmal konnte der Tumor nicht wieder entfernt werden. Eine Lebertransplantation war unumgänglich. Der Verein verkündete, die Operation sei "eine Option, die seit Beginn der Behandlung vor einem Jahr in Erwägung gezogen wurde." Der Krebs hatte scheinbar gesiegt.

Pique: Abidal ist "ein Vorbild für alle"

Der FC Barcelona, wie auch die gesamte Fußballwelt waren betroffen. Sein Teamkollege Gerard Pique twitterte sofort aufmunternde Worte: "Du wirst zurückkommen und wie immer der Beste sein. Du bist ein Vorbild für alle!" Carles Puyol erinnerte an Abidals Kraft und untermauerte dessen wichtigen Status für die Mannschaft: "Es ist wirklich er, der uns motivierte. Er ist so stark - das hat er letzte Saison gezeigt. Ich bin mir sicher, er zeigt das erneut. Dinge wie diese lassen uns näher zusammenrücken."

Ein Spender war glücklicherweise schnell gefunden: Abidals Cousin Gerard stellte einen Teil seines gesunden Organs zur Verfügung. Im April wurde Abidal operiert.

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Zeitgleich zum Eingriff bestritt der FC Barcelona am Abend ein Ligaspiel. Es war eine Dublizität der Ereignisse: Erneut traf man im heimischen Camp Nou auf den Madrider Vorortklub FC Getafe. Und wieder wurde in der 22. Minute - in Anlehnung an Abidals Rückennummer - dem Franzosen gedacht.

Barca gewann komfortabel mit 4:0. In den schweren Stunden rückte das Team zusammen und siegte für ihren Linksverteidiger. Nach dem Spiel äußerte sich Barcas damaliger Coach Pep Guardiola auf der Pressekonferenz: "Wir wollen den Sieg Abidal widmen. Es war ein besonderer Tag für uns."

Neunstündige Operation

Wenige Kilometer entfernt dauerte Abidals Operation neun Stunden. Seine Frau Hayet richtete direkt nach dem Eingriff aus, alles sei gut verlaufen, ihr Mann und Cousin Gerard seien wohlauf. Seine Heilung verlaufe gut. Über einen Monat verbrachte Abidal unter Aufsicht der Ärzte im Krankenhaus. Nach 40 Tagen wurde er entlassen, um den Genesungsprozess zu Hause fortzuführen.

Vier Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenbett gewann Barca gegen Athletic Bilbao die Copa del Rey. Es sollte der einzige Titel der Katalanen bleiben, und sie feierten ihn in der ihnen eigenen Manier: Indem sie ein Trikot von Abidal über den Pokal stülpten. Eine Hommage an ihren verhinderten "Rey Abi", ihren König, wie sein Spitzname zuweilen lautet.

Abidal erzielte bis heute erst zwei Tore in Blaugrana, beide im prestigeträchtigen Pokal. Vor einem Jahr traf er just gegen Bilbao zu seinem allerersten Tor überhaupt für Barca. Ein Treffer, der das Team damals ins Finale hievte. Am darauffolgenden Tag titelten die katalanischen Sportzeitungen übereinstimmend von "Rey Abi" - und bildeten ihn mit einer Krone ab.

Das Bild schaffte es sogar an seinen Spind. Es sind diese kleinen Geschichten, die die Verbundenheit im Team zeigen, den Charakter der Mannschaft. In schweren Stunden soll Barca immer zusammenstehen. Keiner wird vergessen.

Seite 2: Abidals Kampf zurück - und die nächste Hiobsbotschaft für den FC Barcelona

Nichtsdestotrotz schien Eric Abidals Karriere vorbei. An Fußball war nicht zu denken, es ging um mehr, um alles: Sein Leben. Zu diesem Zeitpunkt dachte niemand an eine Rückkehr; Abidal konnte damit nicht rechnen und sein Verein ebenso wenig. Im Sommer verpflichteten die Katalanen also den aufstrebenden spanischen Nationalspieler Jordi Alba als Linksverteidiger.

Im Juni ließen die Ärzte das erste Mal vorsichtig durchblicken, dass Abidal eines Tages vielleicht doch wieder Fußball spielen könnte. Sein operierender Chirurg Dr. Garcia-Valdecasas sagte: "Es liegt an ihm. Ich würde ihn nicht aufhalten, die Zeit wird es zeigen. Wenn Eric gut [auf die Spenderleber] reagiert, gibt es keinen Grund, warum er nicht zurückkehren sollte."

Barcas neuer Trainer Tito Vilanova machte Abidal bei Barcas Saisoneröffnung Mut: "Wenn du dich stark fühlst und es willst, warten wir so lange es nötig ist [auf deine Rückkehr]. Dein Kampf ist unsere Quelle der Stärke."

Anstoß im Pariser Prinzenpark

Im August begleitete Abidal den FC Barcelona nach Paris, wo das Team ein Freundschaftsspiel gegen Paris St-Germain bestritt. Symbolisch dufte er sogar den Anstoß im Prinzenpark ausführen und bekam dabei Standing Ovations. Der Franzose war glücklich, wieder im Kreise der Mannschaft zu sein, mit ihr zu reisen und die Atmosphäre zu genießen.

Er äußerte erste Ziele, wieder zurückzukehren: "Ich habe angefangen im Fitnessstudio zu trainieren und fühle mich gut. Ich befolge die Schritte und bin auf dem richtigen Weg. Mal schauen, ob ich vor Dezember wieder spielen kann."

Das Statement sorgte für Aufsehen. Bis dato war nicht klar, ob der mittlerweile 33-Jährige jemals wieder gegen den Ball treten würde, selbst wenn die Ärzte ihm das prognostizierten. Die Zuversicht war zu spüren, Abidals Mut zurückgekehrt.

Erstes Training in den Pyrenäen

Am 9. Oktober folgte sein erster großer Tag zurück in der (Fußball-)Normalität: Mit einem kleinen Betreuerstab des FC Barcelona reiste Abidal zum Einzeltraining in den Pyrenäen. Der hauseigene Sender "BarcaTV" filmte ihn dabei."Ich hoffe schon seit langem, in den Fußball zurückzukehren, heute ist der erste Tag", sagte der Franzose. In dem Beitrag joggt er Berge hoch, genießt die Natur und jongliert sogar wieder mit einem Ball. Der erste große Schritt zu einem Comeback. Nach der Einheit sagte er, er sei "müde, aber glücklich."

Dem Video fehlt sichtlich die Leichtigkeit eines Fußball-Profis. Wie schwer ihm die Trainingseinheit in Wirklichkeit fiel, ist nur zu erahnen. Dass Abidal aber überhaupt wieder trainieren kann, gleicht einem Wunder. Ein Profi-Fußballer mit einer Spenderleber - so etwas hat es noch nie gegeben.

Der FC Barcelona veröffentlichte das Video auf seiner Homepage. Anschließend bekam der Klub viele Zuschriften und Einträge - nicht nur von den eigenen Fans. Die Nachricht bewegte auch außerhalb Barcelonas.

Steiniger Weg zurück

In den folgenden Wochen merkte Abidal erst, wie schwierig der Weg zurück auf den Platz sein wird. "Fußball war alles für mich. Jetzt ist das wichtigste für mich, gesund zu sein. Das Ziel ist nicht, wieder zu spielen." Abidal ruderte zurück, nahm Abstand von dem tollkühnen Plan, im Winter zurückzukehren.

Im Dezember machte er weitere Fortschritte, bleibt aber noch vorsichtig: "Ich wollte vor dem Ende des Jahres wieder spielen, aber es ist nicht so leicht. Ich muss geduldig sein. Die Ärzte entscheiden." Und diese gaben dem Franzosen letztlich tatsächlich grünes Licht für eine Rückkehr auf den Fußballplatz.

Am 18. Dezember bekam er die Neuigkeiten von seinen Ärzten verkündet. Ab sofort darf der Franzose uneingeschränkt trainieren und sich auf seine Rückkehr ins Spielgeschehen vorbereiten. Acht Monate nach seiner Lebertransplantation trainierte Abidal erstmals wieder mit der Mannschaft.

Vilanovas Erkrankung überschattet Rückkehr

Fast zeitgleich zu der tollen Nachricht bekam der FC Barcelona direkt die nächste Hiobsbotschaft: Bei Trainer Tito Vilanova brach der Krebs in der Ohrspeicheldrüse wieder aus. Die Rückkehr Abidals ins Mannschaftstraining wurde von der Erkrankung Vilanovas überschattet.

Abidal, glücklich wieder mit dem Team trainieren zu können, fühlte mehr als jeder andere mit seinem Trainer. "Ich hoffe, schnell auf den Fußballplatz zurückkehren zu können. Aber ich kann nicht aufhören, an unseren Trainer Tito Vilanova zu denken. Ich wünsche ihm und seiner Familie sehr viel Tapferkeit."

Jene Tapferkeit, die Abidal eineinhalb Jahre selbst eisern beibehielt. Bis er es wieder zurück in sein altes Leben schaffte.

Eric Abidal im Steckbrief