Sie nannten ihn Menschenfresser

Von Daniel Reimann
Ein Treffer oben, ein Treffer unten: Ronaldos Schlag-Tritt-Kombi gegen Edimar
© getty

Cristiano Ronaldos Ausraster gegen Cordoba zieht ein aberwitziges Echo nach sich. Spaniens Medien überschlagen sich in Beleidigung und Parteinahme. Alle beschäftigt eine zentrale Frage, die auch für das Meisterrennen von Relevanz sein könnte. Das Sportliche dagegen geht unter.

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Wenn in Spanien ein Spieler wie Cristiano Ronaldo die Nerven verliert, steht der eigentliche Wahnsinn erst noch aus: Ein teils aberwitziges, teils bedenkliches Potpourri aus medialen Reaktionen zwischen Empörung und Parteinahme. Seit Samstag, 17.40 Uhr genießt CR7 eine selbst für seine Verhältnisse spektakuläre Omnipräsenz in den spanischen Medien.

Besonders in der Real eher weniger wohlgesonnenen katalanischen Presse wird dabei auf derbes Vokabular zurückgegriffen. Von "Prolet" oder "Menschenfresser" ist die Rede. Unter anderem "Sport"-Redakteur Lluis Mascaro ließ ordentlich Dampf ab.

Er charakterisierte Ronaldo in einem Meinungsstück als jemanden, "der aufgrund seiner fußballerischen Ohnmacht die Nerven verlor und nach der Roten Karte die gegnerischen Fans mit einer dreisten Geste verspottete." Mascaros Fazit: "Einfach nur erbärmlich."

Dass er schon zum vierten Mal wegen einer Tätlichkeit vom Platz flog, würde das Bild abrunden. Nicht ohne erwähnt zu lassen, dass Lionel Messi dies noch nie passiert sei...

Etwa zweieinhalb Tätlichkeiten auf einmal

Von aller Polemik, Beleidigungen und humorvollen Spitznamen abgesehen muss sich Ronaldo sämtliche sachliche Kritik gefallen lassen. Seine Aktion(en) im Spiel gegen Cordoba waren grob unsportlich. Schon zuvor im Spiel hatte er Jose Angel Crespo bei einer Rangelei beinahe einen Schlag verpasst, in der 82. Minute brannten ihm dann endgültig die Sicherungen durch.

In einer flüssigen und koordinativ durchaus beachtlichen Bewegung trat er Edimar von hinten in die Beine und versetzte ihm gleichzeitig mit der flachen Hand einen Schlag ins Gesicht.

Cordobas Crespo, der ihm dafür umgehend die Leviten las, schob er mit Hilfe seines Ellbogens mit ordentlich Schwung zur Seite. Macht in der Summe und je nach Interpretation etwa zweieinhalb Tätlichkeiten auf einmal.

Dass er auf dem Weg gen Katakomben noch demonstrativ das goldene Wappen auf dem Trikot, das für den Gewinn der Klub-WM steht, streichelte und liebkoste, brachte ihm nicht unbedingt weitere Fürsprecher ein.

"Er hat mich an Mund und Beinen berührt"

Nachdem sich im unmittelbaren Anschluss der erste Aufschrei gelegt und die ersten Memes auf Twitter die Runde gemacht hatten, drehte sich der Diskurs schnell in eine Richtung: Wie lange wird Ronaldo gesperrt? Und welche Strafe wäre angemessen?

Ein zentraler Aspekt dabei ist die Frage nach Vorsätzlichkeit der Aktion. Schiedsrichter Ajejandro Hernandez Hernandez sah zumindest keine Aggression darin. Er notierte in bemerkenswerter Trockenheit:

"In der 83. Minute wurde der Spieler Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro (7) aus folgendem Grund vom Platz gestellt: Verüben eines Schlages gegen einen Gegenspieler ohne in der Nähe des Balles zu sein." Ob diese Beschreibung der Aktion letztlich gerecht wird, ist zumindest diskutabel.

Zuspruch erhält Ronaldo, der sich via Twitter bereits entschuldigt hat, auch von Seiten des Opfers: "Ich verzeihe ihm. Ich bin ihm nicht böse", sagte Edimar nach dem Spiel und attestiert Ronaldo "keine vorsätzliche Aggression". In beinahe Schiedsrichter-reifem Duktus gab er zu Protokoll: "Er (Ronaldo) hat mich am Mund und an den Beinen berührt, mehr nicht." Bei ihm kommt Ronaldo geradezu als Unschuldslamm weg.

Sperre gegen Atletico Madrid?

Wie viel Schwung, Härte und Aggression in jenen "Berührungen" lag, muss nun das Gericht des spanischen Fußball-Verbandes bewerten. Die katalanische "Mundo Deportivo" lieferte sogleich ein paar Vergleichswerte und listete verschiedene Tätlichkeiten und die dafür fälligen Sperren aus der bisherigen Saison auf.

Wer Ronaldos Schlag-Tritt-Kombination einordnen möchte, kann sich bei Rodrigo de Paul (vier Spiele Sperre) Paco Alcacer (zwei Spiele Sperre) und Co. inspirieren lassen.

Dass die Härte der Strafe in diesem Fall so außerordentlich vehement diskutiert wird, liegt auch an einem enorm wichtigen Termin, der unmittelbar bevorsteht: Die anstehenden Partien gegen Real Sociedad und Sevilla kann er sich wohl abschminken, aber schon danach gastiert Real Madrid bei Stadtrivale Atletico. Ein Spiel, das für das Meisterschaftsrennen von enormer Bedeutung sein könnte.

Wird Ronaldo also länger als zwei Spiele gesperrt, muss er im Vicente Calderon zusehen. Und schon wird wild spekuliert, ob der spanische Verband an einem Fehlen Ronaldos bei dieser großen Partie überhaupt Interesse haben könne. Dass es in Spanien bei der Sanktionierung von Tätlichkeiten offensichtlich einen großen Spielraum gibt, wurde in der Vergangenheit schon manches Mal eindrucksvoll bewiesen.

Das Sportliche geht unter

Was in der ausufernden Debatte um Ronaldo dagegen untergeht, ist das Sportliche. Die Tatsache, dass Madrid beim 2:1-Sieg eine außergewöhnlich schlechte Leistung zeigte und einzelne Spieler weit unter ihren Möglichkeiten blieben - den farb- und inspirationslosen Ronaldo mal außen vor gelassen.

Sami Khedira lieferte einen seiner schlechtesten Auftritte im Trikot der Königlichen, hatte in 64 Minuten 15 Ballverluste und kam auf einen Passgenauigkeit von lediglich 76 Prozent. Doch auch als Kollektiv tat sich Real in Cordoba ungewohnt schwer.

Die Gäste leisteten sich fast 50 Prozent mehr Ballverluste (149) als im bisherigen Saisondurchschnitt (103), der Ballbesitzanteil lag 13 Prozent unter dem Mittelwert. Antriebslosigkeit im Angriff und die Passivität der Viererkette führten dazu, dass Cordoba sogar zu mehr Torschüssen kam als Madrid (16:13).

Doch all diese Zahlen gehen an diesem Sonntag unter. An einem Tag, an dem die "Marca" lediglich auf der Startseite für den Suchbegriff "Cristiano" im Browser schon satte 31 Treffer ausspuckt. Auch in den nächsten Tagen wird lediglich eine Zahl relevant sein: Die der Spiele, die Ronaldo pausieren muss.

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