Die Entlassung von Sportdirektor Andoni Zubizarreta wirbelt beim FC Barcelona Staub auf, der lange unter den Teppich gekehrt wurde. Das Treiben von Präsident Josep Maria Bartomeu und Vorgänger Sandro Rosell wirft Fragen auf. Diese reichen von der FIFA über Katar nach Brasilien. Der letzte Ausweg: Neuwahlen.
Einer weniger. Die Entlassung von Sportdirektor Zubizarreta war für viele Fans des FC Barcelona ein Geschenk zum Dia de los Reyes, dem 6. Januar. Die "Sport" skizzierte ein Päckchen mit dem abgetrennten Kopf des ehemaligen Torhüters darin und forderte gleichzeitig weitere Präsente zum spanischen Feiertag.
Nach vier Jahren und sechs Monaten wurde der Baske aus der Führungsebene entfernt. So wie man es vom FC Barcelona kennt. Freundlich, glattgebügelt, undurchsichtig und mit standardisierten Aussagen des Präsidenten. Dass sich Zubizarreta am Vorabend praktisch selbst entlassen hatte, fiel dabei unter den Tisch.
Angesprochen auf die Transfersperre und das Schweigen der Verantwortlichen gegenüber den Medien hatte er im Anschluss an die Niederlage gegen Real Sociedad (0:1) erklärt: "Als das alles passiert ist, war Josep Maria Bartomeu der Vizepräsident Sport. Er weiß, wie die Situation ist, er weiß, wie das alles seinen Lauf nehmen konnte. Die Verantwortung zu tragen heißt, zu erklären, wie das passieren konnte, was sie entschieden haben. Aber darüber habe ich wenig zu sagen, weil der Vizepräsident Sport im Moment Präsident des Klubs ist."
Zubi als Sportdirektor überfordert
Diese Worte könnten der größte Verdienst Zubizarretas Amtszeit werden. Die Fans wurden mit dem legendären Torhüter in seiner Rolle als Sportdirektor nie warm. Im Juli 2010 übernahm er den Posten von Txiki Begiristain, der ihm große Fußstapfen hinterlassen hatte. Fußstapfen, die Zubizarreta in keinem Moment ausfüllen konnte. Die Transfers von Thomas Vermaelen und Douglas zu Beginn der laufenden Saison waren einer der vielen Nägel, die sich Zubizarreta selbst in den Sarg geschlagen hatte. Und auch wenn der Ursprung der Transfersperre vor seiner Zeit liegt, ist er im weiteren Verlauf des Falls als Sportdirektor zumindest nicht unbeteiligt daran.
Schlicht überfordert erschien der Mann aus dem baskischen Vitoria mit seiner Rolle. Regelmäßig verließen hochtalentierte Spieler den Klub, weil ihnen keine langfristige Perspektive aufgezeigt wurde. Jüngstes Beispiel ist Andre Onana, 19-jähriger Torhüter der kamerunischen Nationalmannschaft, der zu Ajax Amsterdam wechseln wird. Der Thiago-Verkauf geht ebenso auf seine Kappe, wie das völlig aus den Angeln gehobene Gehaltsgefüge der ersten Mannschaft.
Die zweite Mannschaft des FC Barcelona befindet sich in der 2. Liga im freien Fall, Coach Eusebio wirkt hilflos und griff zuletzt mit verwirrenden Maßnahmen durch, nur um teils blamable Niederlagen (0:7 gegen Real Valladolid) hinnehmen zu müssen. Es sind viele Makel auf der Liste Zubizarretas, die durchaus positive Ansätze, wie die durchgehend langfristigen Verträge aller Leistungsträger im Profiteam überdecken.
Rosell noch immer gegenwärtig
Seine Entlassung, die man angesichts der öffentlichen Kritik an Bartomeu durchaus als Rücktritt verstehen darf, bewegte wohl auch seinen Assistenten Carles Puyol zum Abschied. Dieser hatte erst vor kurzem seine Ausbildung zum Sportdirektor abgeschlossen. Beide könnten dem Verein damit einen Dienst geleistet haben, der erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Denn sie wirbeln Staub auf, der in den letzten Jahren immer und immer wieder unter den Teppich gekehrt worden war.
Der Verein stinkt vom Kopf herab bis tief in die letzten Winkel. Undurchsichtige Zahlen, geschönte Wahlergebnisse, Beeinflussung von Mitgliedern, sehr kreative Auslegungen der Klublinien und zahlreiche Gerichtsverfahren ziehen sich in der Amtszeit des Präsidenten Sandro Rosell durch den Klub. Dass dieser Anfang des Jahres seinen Rücktritt erklärte, hat seinem Werk noch lange kein Ende bereitet.
Zwar mag er nicht mehr der Kopf sein, die von ihm eingesetzte Führungsebene ist aber weiterhin im Amt - und klammert sich mit aller Kraft an die Macht. Der FC Barcelona droht gerade an den Ränkespielen zu ersticken, die auch schon Trainer Pep Guardiola mehr als nur ein Dorn im Auge waren.
Kommerz ist Fluch und Segen
Rosell hat seinen Plan nie bestritten. Der FC Barcelona war unter Ex-Präsident Joan Laporta zwar sportlich einer der besten Klubs der Welt, finanziell allerdings weit hinter der Spitze. Rosells Wahlkampagne war deutlich auf die Punkte finanzielle Besserung, mehr Kommerzialisierung, mehr Einnahmen und weniger Verbindlichkeiten ausgerichtet. Er wurde mit dem Rekordergebnis von 61,35 Prozent der Stimmen gewählt.
Diese Ziele hat er größtenteils erfüllt, allerdings auf oft fragwürdige Art und Weise. Einen Tag nach Amtsantritt trennte er sich von Klub-Legende Johan Cruyff. Unter Berufung auf die Klubordnung nahm er dem Ehrenpräsidenten sein Amt, der Titel war ihm von Vorgänger Laporta ohne Zustimmung in Form von Mitglieder-Wahlen verliehen worden. "Technisch korrekt", erkannte Cruyff an und verzichtete auf die ihm angebotene Wahl.
Undurchsichtige Verflechtungen
Zum gleichen Zeitpunkt begannen die ersten Verhandlungen des Klubs mit Katar. Während seiner Zeit bei Nike und als Betreiber einer eigenen Agentur hatte sich Rosell zahlreiche Beziehungen in den Wüstenstaat erarbeitet. Es ging darum, mit dem "aufstrebenden Staat", wie er ihn selbst bezeichnete, den vermeintlich größten Trikotsponsoring-Deal der Fußballgeschichte auszuhandeln.
Doch es ging vermutlich noch um viel mehr, die Vergabe der WM 2022. "France Football" deckte komplexe geschäftliche Beziehungen zwischen Rosell, seiner Agentur, Florentino Perez, dessen Firma ACS und Katar auf. Im Gegenzug erhielt Rosells Agentur den Zuschlag für ein Länderspiel in Katar und ACS zahlreiche Bauaufträge für die Weltmeisterschaft.
Zwei Millionen Euro sollen laut "Telegraph" auf dem Konto der zehnjährigen Tochter von Ricardo Teixeira gelandet sein. Vermeintlicher Auftraggeber: Sandro Rosell. Teixeira stimmte für eine WM in Katar und ist aufgrund seiner Skandale mittlerweile auf der Flucht vor dem brasilianischen Justiz. Auch gegen Rosell wird ermittelt.
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Brisant wurde die Sache aus Sicht der Mitglieder des FC Barcelona, als der Deal mit der Qatar Foundation öffentlich wurde. 30 Millionen Euro pro Jahr wurden angepriesen, in Wirklichkeit waren es 15. Der Rest verteilte sich auf diverse andere Werbung - und damit deutlich weniger als Manchester United, das zu dieser Zeit für Trikotwerbung 22 Millionen Euro von AON kassierte.
Rosell ließ darüber nicht abstimmen, der Deal wurde ohne Zustimmung der Mitglieder abgeschlossen. Ein klarer Verstoß gegen die Satzung des Klubs. Schließlich gehört der Klub seinen Socios, den Mitgliedern. Entscheidungen dieser Tragweite müssen sie absegnen - wie der Präsident selbst beim Abschied von Cruyff angemahnt hatte.
Immerhin erreichte "Consulta Qatar", eine Faninitiative gegen Rosell, ein Zwischenziel. Sie sammelten 5.736 Unterschriften der 12.000 stimmberechtigten Mitglieder und erzwangen eine Abstimmung, mit der sie den Deal hätten kippen können.
"Wollt ihr ein kleiner Klub sein?"
Zur Abstimmung wurden vom Klub 4.000 Mitglieder geladen, es erschienen 850, von denen später 687 für Katar stimmten. Rosell hatte es mit Drohungen wie: "Wollt ihr ein kleiner Klub sein?" oder "sonst bekommt Real das Geld" geschafft, den Stolz der Katalanen anzusprechen. 687 Stimmen reichten aus, um alle Werte des 112 Jahre alten Klubs auf einmal zu kippen. Dass "Consulta Qatar" eine Rede auf der Versammlung verweigert wurde, ging nicht ins Protokoll ein.
Die Kommerzialisierung, gegen die sich Barcelona bis zuletzt sträubte, hatte begonnen. Inwiefern dies in Zeiten von millionenschweren Verträgen und des Fußballs als bedeutendem Wirtschaftsfaktor mit den alten Werten Barcelonas zu vereinbaren ist, ist und bleibt umstritten.
Fakt ist aber eine zunehmende Verbesserung der finanziellen Situation. Der Bau des neuen Stadions, beziehungsweise die Renovierung des Camp Nou mitsamt vermarktetem Namen, ist nur eine weitere Treppenstufe auf dem Weg zum Kommerz-Thron, auf dem bisher Manchester United sitzt.
Spielstil wird zur Marketingstrategie
Das Image des Klubs soll zu Geld gemacht werden. Barcelona, das sind die Guten. Die, die attraktiven Fußball, mit ihrer Jugend schon "Tiki-Taka" spielen, die mehr als nur ein Klub sind. Das sind die, die UNICEF auf dem Rücken tragen, deren Spieler Krankenhäuser besuchen und an Weihnachten Geschenke im Heimatland verteilen. Der Klub profiliert sich gerne mit solchen Aktionen seiner Spieler wie Alexis Sanchez oder Dani Alves.
Das von Rosell gewünschte Bild Barcas wird auch auf die sportliche Ebene durchgedrückt. Ex-Trainer Gerardo Martino bekam das zu spüren, als er Barcelona direkter und physischer ausrichtete und teilweise sogar weniger Ballbesitz hatte als der Gegner. Seine Änderungen am Team verschwanden zusehends, bis die Mannschaft sich wieder im alten Trott befand.
Der Verein klammert sich an die Erfolge unter Pep Guardiola, ohne inzwischen das richtige Personal dafür zu haben. Die nach Ballbesitz ausgerichtete Spielweise ist zentraler Bestandteil der Marketing-Strategie Rosells und darf nicht verloren gehen. Dass sie in der Historie immer wieder für große Erfolge sorgte, ist unbestritten, behindert Trainer aber auch in ihrer Arbeit und verhindert eine zeitgemäße Anpassung.
Rücktritt lenkt Aufmerksamkeit um
Kurzzeitig konnte Rosell diese Punkte durch seinen Rücktritt entwerten und die Aufmerksamkeit der Medien und Fans auf andere Dinge lenken. Der noch immer umstrittene Neymar-Transfer und das verlorene Gerichtsverfahren über 100 Millionen Euro gegen MCM Renting, aufgrund eines nicht eingehaltenen Vertrags, fanden mit dem (Schein-)Ende Rosells auch ein jähes Ende in der Berichterstattung.
Das änderte sich wieder mit der Kritik Zubizarretas. Nach der Entlassung des ehemaligen Teamkollegen meldete sich Hristo Stoichkov bei "Cadena Cope" zu Wort und sprach vielen Fans aus der Seele: "Bartomeu ist kein Präsident, er ist ein Funktionär. Auch ihn wird es treffen, weil ein Feigling (Rosell, Anm. der Redaktion) das Weite gesucht hat."
Wie es weitergeht, entscheiden die Neuwahlen am Ende der Saison, die Bartomeu auf einer Pressekonferenz am Mittwoch ausrief. Für viele Beobachter der einzige Ausweg, um den Klub wieder auf die richtige Spur zu bringen.
Zukunft auf lange Zeit verbaut
Aussichtsreichster Kandidat ist Ex-Präsident Laporta, der 2010 ausschied, als er nicht mehr zu den Wahlen antreten durfte. Der Machtkampf zwischen ihm und Rosell wird einen neuen Höhepunkt erreichen. Noch hat Laporta nicht offiziell bestätigt, bei den Wahlen gegen Bartomeu anzutreten - seine jüngsten Äußerungen legen diesen Schluss aber nahe.
Auch Agusti Benedito, der 2010 die Wahlen als Zweiter abschloss, will zurück. Er hat bereits angekündigt, Barcelona vom "Geschwür Katar" befreien zu wollen. Allerdings wartet viel Arbeit auf den neuen Präsidenten und sein Team. Die Zeit Rosells ist tief verankert im FC Barcelona, Sponsorenverträge wie der mit Katar sind langfristig bindend.
Die Transfersperre wird nicht aufgehoben werden, einem neuen Sportdirektor und selbst einer neuen Führung sind lange die Hände gebunden. Einige der talentiertesten Jugendspieler mussten den Klub bereits verlassen oder werden ihn verlassen - dürfen sie doch seit dem FIFA-Urteil nicht mehr am Spielbetrieb teilnehmen.
Wer wird Sportdirektor?
Auf dem Platz werden die Leistungsträger des Teams immer älter, eine Generation, die Xavi, Andres Iniesta oder die kürzlich gegangen Victor Valdes und Carles Puyol ersetzen kann, muss noch gefunden werden. Auch auf der Trainerposition ist die große Lösung nach Guardiola noch nicht gefunden.
Luis Enrique gelang es bisher nicht, dem Team einen generellen Matchplan zu vermitteln und der Asturier fiel zuletzt auch mit eher fragwürdigen Methoden in Sachen Teamführung auf. Probleme mit Lionel Messi bestreitet der Trainer zwar vehement, redet dabei aber gegen eine erdrückende Anzahl an Indizien an.
Die Hoffnung der Fans ruht auch im teaminternen Bereich auf einem neuen Sportdirektor, den der neue Präsident mitbringen wird. Ramon Rodriguez Verdejo, kurz Monchi, ist der erste Name in einer langen Liste. Der Vertrag des ehemaligen Torhüters beim FC Sevilla läuft demnächst aus, er gilt als einer der kompetentesten Funktionäre Spaniens. Gleiches gilt für Eduardo Macia, derzeit beim AC Florenz, der Wunschkandidat von Bartomeu sein soll.
Die Entscheidung kann aber erst fallen, wenn nach den Neuwahlen klare Verhältnisse herrschen. Dass diese früher als von Bartomeu angekündigt stattfinden, ist unwahrscheinlich. Dazu müssten sich Teile der Mitglieder organisieren. Rosell hat die Prozentzahl der dafür benötigten Stimmen wenige Tage nach seinem Antritt von fünf Prozent auf 15 Prozent erhöht.
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